Susanne Müller (16)

Stummfilm.
Eine Entfremdung.

Ein mittelgroßer, schlichter Raum, unauffällig, in hellem Licht. Holzboden, weiße, ungeschmückte Wände. Einfach eingerichtet. Im Vordergrund steht ein schmaler, rechteckiger Tisch, Holz, ungedeckt, dahinter zwei Stühle. Im Hintergrund, an der linken Wand, ein kleiner Schrank. An der hinteren Wand zwei Türen, eine links, eine rechts.

ER und SIE sitzen nebeneinander auf den Stühlen, Er links, Sie rechts, nach vorne gewandt. Sie ist kleiner als Er, hat langes, offenes Haar. Sie sind schlicht, unscheinbar, aber nicht altmodisch gekleidet. Beide sitzen, unbewegt, die Füße auf dem Boden, den Rücken leicht gebeugt, haben die Ellbogen aufgestützt und den Kopf auf die gefalteten Hände gelegt. Sie sehen einander an. Ihr Gesichtsausdruck wirkt zufrieden und entspannt. Es ist still.

SIE blinzelt Ihn an und lächelt kaum merklich.
ER nickt Ihr zu.
SIE Das Lächeln wird breiter und tief. Zufrieden. Legt den Kopf schief.

So sitzen sie eine Weile. Nichts rührt sich.

ER legt die Arme auf den Tisch, wendet den Kopf. Blickt ruhig geradeaus.
SIE lässt ihre Augen auf Ihm ruhen.
ER wirft Ihr einen Blick zu, einen Moment nur, starrt wieder geradeaus. Seufzt unterdrückt.
SIE schaut auch nach vorne.

Ein paar Sekunden rühren sich beide nicht.

ER steht jäh auf; der Stuhl wackelt, fällt aber nicht um. Er hält kurz inne und geht dann mit bedächtigen Schritten hinter dem Tisch hin und her. Bleibt kurz hinter Ihrem Sessel stehen, streckt die Hand in Ihre Richtung aus, nimmt sie aber auf halbem Wege wieder zurück.
SIE setzt sich gerade hin, verharrt in abwartender Haltung.
ER beginnt mit langsamen Schritten, die Hände auf dem Rücken verschränkt, um den Tisch zu gehen.
SIE folgt Seinen Bewegungen, zuerst mit den Augen, eine Runde lang.
ER bleibt, Ihr schräg gegenüber, stehen, schiebt verlegen die Hände in die Taschen. Zieht kurz die Schultern hoch und lässt sie wieder fallen. Einen Moment bleibt er so stehen, setzt dann seinen Weg fort.
SIE bewegt jetzt den Kopf mit. Bei Seiner dritten, noch langsameren Runde dreht sie den ganzen Körper mit. Runzelt schließlich die Stirn, starrt Ihn an.
ER hält inne.
SIE schaut geradeaus, alarmierter Gesichtsausdruck. Dreht sich dann vorsichtig zu Ihm um, sieht Ihn fragend an, mit leicht schief gelegtem Kopf.
Steht dann mit einem Ruck auch auf.
ER schreitet wieder um den Tisch herum, wie in Gedanken versunken, grübelnd.
SIE verfolgt einen Augenblick lang Seinen Weg, setzt dann zaghaft Fuß vor Fuß, setzt mit kleinen Schritten an, Ihm zu folgen.

Beide gehen um den Tisch, Er grübelnd, wie mit sich beschäftigt, Sie auf seine Bewegungen bedacht, unsicher, vorsichtig. Ihrer beider Bewegungen sind langsam. Ihre Schritte werden größer, schließlich hat Sie Ihn fast eingeholt. Sie setzt dazu an, Ihre Arme auszustrecken, hält sich aber zurück.

Nebeneinander drehen sie eine Runde. Schlendern fast, kurzfristig harmonisch. Bleiben dann ein Stück weit hinter dem Tisch stehen.

ER bleibt stehen. Hört dann Ihren stolpernden Schritt, mit dem Sie stehenzubleiben versucht, wendet sich um. Sucht Ihren Blick.

Sie stehen einander gegenüber, Sie links, Er rechts, ein paar Schritte auseinander.

SIE hebt langsam den Kopf, sieht zu Ihm hoch, fragend, ein wenig abschätzend, einschätzend.
ER weicht einen Schritt zurück. Sein Gesicht drückt Abwehr aus.
SIE nickt Ihm zu, wirft die Haare nach hinten, wie bekräftigend, behält ihre gerade Haltung bei, die Hände am Rücken.
ER bleibt abwartend stehen, regungslos.
SIE zieht ein wenig furchtsam die Augenbrauen hoch, nickt eindringlicher.
ER schüttelt den gesenkten Kopf, die Hände in die Hüften gestützt.
SIE steht abwartend.
ER runzelt die Stirn, zuckt abwehrend die Schultern.
SIE weicht einen Schritt zurück. Senkt dann den Kopf. Schaut Ihn schräg von unten an, etwas unsicherer jetzt.
ER schürzt verärgert die Lippen, hebt die Arme und lässt sie wieder sinken, schüttelt dann mit ratlosem Blick den Kopf. Geht wieder einen Schritt auf Sie zu. Holt tief Luft.
Er versucht Ihr in die Augen zu sehen, legt mit unsicheren Gesten seiner Hände dar, schreitet dabei um Sie herum. Bleibt schließlich ein wenig hinter Ihr stehen.
SIE schüttelt langsam den Kopf, dreht sich um, mit drängend fragenden Augen.
ER runzelt unglücklich die Stirn, zuckt die Schultern. Setzt erneut an, mit den Armen zu erklären, weist von sich, halbherzig bald. Lässt nach einer Weile die Arme sinken und steht schweigend.
SIE starrt Ihn sichtlich getroffen an. Seufzt. Dann verschränkt sie die Arme, den Blick zwar auf Ihn, aber weit weg gerichtet, durch Ihn hindurch.

Sie stehen einander gegenüber, mitten im Raum, nicht ganz nahe beieinander, und verharren stumm, Er mit halb gesenktem Blick und hängenden Armen, den Rücken geknickt gebeugt, Sie in einer Starre, beinahe gerade, mit verschränkten Armen, den Blick wie durch Ihn hindurch.

Erst nach langen Sekunden wieder bewegtes Bild.

SIE dreht sich um. Steht mit dem Rücken zu Ihm.
ER macht einen großen Schritt nach vor, wie um Sie einzuholen, legt Ihr die Hand auf die Schulter.
SIE reagiert nicht.
ER versucht Ihren Blick zu fangen, schaut Ihr eindringlich in die Augen. Deutet auf Sie, dann auf sich. Nickt Ihr auffordernd zu.
SIE hält immer noch die Arme verschränkt vor der Brust, schüttelt beharrlich den Kopf.
Löst sich schließlich aus Seinem Griff, macht einige halbschnelle Schritte in die Richtung der linken hinteren Ecke. Wendet sich dann zu Ihm um, den Blick halb verzweifelt und vorwurfsvoll, halb abwehrend.
Strafft dann den Rücken, schüttelt kurz den Kopf.
ER wartet noch einen Augenblick, dann dreht er sich schulterzuckend um, geht mit kleinen, tastenden Schritten nach rechts. Schiebt die Hände, die Schultern hochgezogen, tief in die Hosentaschen.
SIE hat sich vor dem Kästchen niedergekniet, die Fußspitzen aufgestellt, die Schublade aufgezogen und wühlt eine Weile lang mit gesenktem Kopf, die langen Haare halb vor dem Gesicht, als würde sie etwas suchen. Dazwischen ein Räuspern in die Stille hinein, einmal, ein zweites Mal deutlicher.
ER setzt plötzlich zu einem Schritt auf Sie zu an, setzt den Fuß auf den Boden, hält inne.
SIE schüttelt, den Blick weiterhin an die Wand gerichtet, den Kopf, mehr und mehr, bis die Haare fliegen. Dann starrt sie wieder an die Wand.

Innehalten. Es ist ganz still, ein Atemanhalten. Sie kniet. Er steht, zu Ihr gewandt, an der gegenüberliegenden Seite. Licht ist hell auf jeden von ihnen gerichtet.

ER wendet sich mit winzigen, beinahe trippelnden Schritten schräg, halb nach vorne und zur Wand. Er steht gerade, die Füße nahe beieinander, die Arme hängend, mit ausdruckslosem Gesicht. Bewegt dann, ganz zart, die Lippen, lautlos.

Es ist ein kleiner Moment eines Auflebens. Seine Augen blinzeln. Zugleich räuspert Sie sich noch einmal, deutlicher. Als Sie den Kopf ein wenig weiter vorbeugt, fallen die Haare wie ein Vorhang völlig vor Ihr Gesicht.

Dann kehrt Stille ein. Sie kniet auf der linken Seite, Er steht auf der rechten Seite. Vorne in der Mitte, verlassen, der Tisch. Beide regungslos, ein Bild.

In die Stille hinein hebt Er ein wenig den Kopf, holt tief Luft und stößt einen durchdringenden, alles enthaltenden, verzweifelten und enttäuschten

SCHREI

aus.

Ab. Sie durch die linke, er durch die rechte Tür.