Susanne Heinrich (15)

Schneebilder

»Gibt es«,

fragt sie zaghaft,

»wirkliche Schönheit?«

Er lächelt, was sie nicht sieht, und drückt ihre Hand fester.

Wenn er jetzt an früher denkt, wiederholt sich die Szene, die ihm sanft, aber beinahe glanzlos erscheint.

Es geht ein leichter Wind, der ihr dünnes Haar erfasst.

»Sag«,

hebt sie erneut an und drückt seine Hand derb. Ihre Augen fassen seine nicht.

»Darf ich…?«

Sie legt ihre Hand auf sein Gesicht.

Seine Stirn ist jung und kühl, keine Sorge hat Kerben hinterlassen, kein Weinen hat Linien gezeichnet, keine Stunde der Angst die feine, ädrige Haut gefurcht.

Was er bemerkt, ist ihr heißer und stoßender Atem an seiner Wange.

Die Augen liegen tief und traurig in den Höhlen. Sie spürt die Schönheit ihrer Düsternis und das ängstliche Zittern darin.

Seine Nase schmal, die Nasenflügel heben und senken sich gleichmäßig und sanft.

Die klaren Wangenknochen zeichnen kränklich knochige, aber ebenso die feinen, jünglingshaften Züge.

Das schmale Kinn legt knabenhaft ein wenig Trotz und Scham in das zerbrechliche Gesicht.

Es ist bewegt, trotz der bildhaften Zartheit –

Er kann beobachten, wie sie die Stirn in Falten legt und die Augen zusammenzieht, der verblühte Mund zitternd –

Flüchtig und angstvoll drückt sie ihre auf seine schmalen, kühlen Lippen. Im selben Moment, da sie zurück zuckt, stößt er sie ein wenig von sich.

Jetzt ist es bedrückend still.

Sie wippt mit dem Fuß, um irgendetwas zu tun.

Er nickt mit dem Kopf, um irgendetwas zu tun.

Sie haben genug geschwiegen –

Er räuspert sich.

Etwas bricht in ihrem Gesicht, etwas zerreißt so endlos still und tonlos, und sie beginnt zu rennen.

Er hält den Moment noch in der Hand, aber der Wind trägt den süßen Duft fort…

Eine Weile bewegt er sich nicht.

Als er die Augen öffnet, läuft sie noch immer und stolpert und rennt und er wünscht sich, sie würde fallen und er könnte sie einholen und ihren Duft genießen und ihre weiche Hand drücken.

Was er sehen kann, ist, dass sie in einen zerfetzten Abendhimmel rennt.

Ob sie es wohl weiß, fragt er sich und noch viel mehr, und vielleicht wünscht er in diesem Moment nichts inniger und sehnlicher, als halten zu könne, was jetzt noch bleibt.

Alles zu zeichnen, was bisher…

In seiner Nähe fällt ein Ast.

Ein letzter Vogel singt das dumme, aber ehrlich traurige Lied.

Und der Wind bricht.

Eine Wolke kämpft und verliert. Ihr schmutziges Weiß verläuft sich in den spielenden Windfingern, fasrig fallen die Augen und der blässliche Schatten rauft noch bis zuletzt…

Sie fällt, ein Stück entfernt. Er sieht sie liegen und lächelt sanft und traurig.

Er läuft zu ihr, ohne zu denken, sieht, dass sie blass geworden ist und erschrickt über seinen durchdringenden Blick.

Er zögert und schweigt.

Sie bleibt liegen und eigentlich, denkt er, gibt es die Schönheit, und sie sieht weiß und blass und fein aus mit dem dunklen Haar.

Wieder träumt er den Traum, zeichnen zu können und sie jetzt festzuhalten –

Ihre rauhen Lippen müde –

Das schwarze Haar auf weißem Boden –

Er hat noch nie geweint, und jetzt schämt er sich, auch wenn sie schweigt und ihn vielleicht nicht hört, und seine erste elende Träne ungesehen bleibt. Er spürt das Salz auf der Haut. Und die Faust an seinem Arm und das Wallen seines Blutes. Und er sieht ihre Lippen und schweigt.

Wie hatte sie rennen können, ohne zu sehen?

»Ist der Sommer schon vorbei?«

Sie lacht leise.

Er antwortet nicht.

Schnee fällt.

Er legt sich zu ihr und nimmt sie in den Arm, denn sie zittert.