Katharina Hammler (15)

Schlagzeilen

Lag es an einem Sturm, an einem Erdbeben, an der mangelhaften Konstruktion oder einfach am fehlenden Gottglauben des Hausherren –

Eines Tages stürzte eine schicke Villa am Stadtrand ein. Und begrub die gesamte fünfköpfige Familie (inklusive Hund). Ein gefundenes Fressen für sensationswütige Journalisten, die die Tage darauf frei nach dem Motto »Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten« den Trümmerhaufen belagerten, sicher auch mit dem Hintergedanken, doch als möglichst erster einen geborgenen Überlebenden oder, noch besser weil medienwirksamer, einen sich selbst in letzter Minute Rettenden vors Objektiv zu bekommen.

Sie warteten aber vergeblich, nach etwa einer Woche wurde die fünfköpfige Familie (inklusive Hund) zwar aus dem Trümmerhaufen gezogen, aber kein einziger von ihnen war mehr fähig für ein Exklusiv-Interview. So schoss man ein paar Photos der Leichen, druckte Paten und Beileidserklärungen und vergaß die ganze Sache nach einiger Zeit wieder.

Doch einige Jahre nach dem Unglück tauchten Gerüchte auf, wonach die gesamte fünfköpfige Familie (inklusive Hund) ihre ewige Ruhe nicht finden könne und versuchen würde, sich ihre Zeit dadurch zu vertreiben, die Bewohnern des Stadtviertels (vornehmlich Nachbarn und Bekannte, die sie noch nie leiden konnten) zu ärgern. Was viele Leute Anfangs für Spinnereien hielten, nahm die Presse gerne auf. Immer mehr Blätter druckten seitenlange Reportagen mit Titeln wie »Gespenst oder Hirngespinst?« oder »Ich seh etwas, was du nicht siehst« und Ähnlichem. Um das Grundstück der fünfköpfigen Familie (inklusive Hund) entstanden sogar richtige Zeltdörfer, voll mit nach Sensationen geifernden Journalisten, die stets bereit waren, im Notfall ihre Kollegen mit einem gezielten Schlag auf den Kopf auszuschalten, um selbst in der ersten Reihe stehen zu können, und die, wenn überhaupt, nur mit Finger am Auslöser schliefen.

Sie reisten allerdings fast alle wieder enttäuscht ab – die Geister ließen sich nicht blicken, und auch Augenzeuge konnte keiner gefunden werden. Eines Tages jedoch gelang einem jungen, hochmotivierten Journalisten des Stadtblattes die Sensation: Er präsentierte ein Photo, das, schwer erkennbar, da offenbar in der Nacht aufgenommen, das Grundstück zeigte, auf dem ein weiß-bläulich schimmernder Nebelfleck zu sehen war. Dieser sah, zugegeben mit etwas Phantasie, dem Hund der fünfköpfigen Familie ähnlich. Und schon ratterten die Druckmaschinen wieder los. Die Auflage des Blattes stieg aufs Neue, die Hotels im Umkreis einiger Kilometer waren wieder ausgebucht.

Die Wissenschaft stürzte sich auf die Bilder, und in Pressekonferenzen erläuterten Professoren die Wichtigkeit dieses Dokumentes. Doch als die erste Analyse gestellt werden sollte, waren die Negative einfach verschwunden. Dies war aber für die Zeitungen noch lange kein Grund, aufzugeben. Im Gegenteil: Höhere Gewinne erhoffte man sich nun dadurch, exklusiv über den Betrug aufzuklären und geradezu zu versuchen, sich mit den wüstesten Beschimpfungen und Anschuldigungen zu übertreffen.

Der junge Journalist wusste indes zu berichten, dass ihn die gesamte fünfköpfige Familie (inklusive Hund) nachts in seiner Wohnung besucht hätte; er hätte sich zu Tode gefürchtet, vor Schreck wäre er aus dem Bett gefallen und hätte sich die Hand gebrochen. Zum Beweis zeigte er seinen Gips. Doch niemand glaubte ihm mehr – noch schlimmer: Er geriet in Verruf, und es blieb ihm gar nichts anderes mehr übrig, als die Stadt zu verlassen.

Nach einiger Zeit wollte sein Jugendfreund ihn besuchen, um wieder einmal über die guten alten Zeiten zu plauschen. Doch als er die Stube betrat, fand er ein kreidebleiches Etwas, das röchelnd am Boden lag. »Sie waren wieder da«, keuchte der Journalist mit letzter Kraft – und starb.

Der Besucher witterte eine volle Geldbörse und verkaufte schnell die Informationen über den Tod und die Adresse seines Freundes an interessierte Reporter.

Und noch bevor die Gerichtsmedizin auch nur begonnen hatte, die Leiche zu untersuchen, waren die Meldungen schon wieder dominiert von Schlagzeilen, die mutmaßten, dass der Mann doch recht gehabt haben könnte. Sie feierten ihn als Märtyrer, denn es war offensichtlich, dass die Geister der fünfköpfigen Familie (inklusive Hund) sich nur dafür gerächt hatten, dass er ihre Existenz bewiesen hat.

Der Chefredakteur der weitverbreiteten Zeitung Tagesjournal ging sogar soweit, der fünfköpfigen Familie (inklusive Hund) zu unterstellen, sie haben die Negative verschwinden lassen, und schlug vor, dem Jungjournalisten auf deren Grundstück ein Denkmal zu setzen.

Das allerdings löste unter seinen Kollegen Empörung aus, denn: Was zuviel ist, ist zuviel, vor allem, wenn die Idee von der Konkurrenz stammt. Eine öffentliche Diskussion entbrannte, man sprach sogar von einer Volksbefragung. Schließlich lud ein TV-Sender die Chefredakteure der wichtigsten Blätter zu einer Live-Diskussion ins Studio ein. Anfänglich verlief das Gespräch ruhig, doch bald begann die Stimmung sich aufzuheizen. Eine Beleidigung folgte der anderen, und als schließlich ein Redakteur einen anderen aufforderte, seinen Posten zu verlassen, war das Maß voll: Die Männer fielen übereinander her und begannen sich zu prügeln.

Erst, als allesamt ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, wurde beschlossen, das Denkmal doch nicht aufzustellen, denn es war eindeutig: Die Geister der fünfköpfigen Familie (inklusive Hund) hatten sich dagegen gewehrt.