Christina Barth (15)

Werden wir uns wiedersehen?

Die schwachen Strahlen der Morgensonne scheinen stumm auf dein Grab. Ein Tautropfen fällt auf den kalten Granit und glitzert kurz auf.
Ich bin die ganze Nacht bei deinem Grab gelegen. Ich habe bei dir geschlafen, kann nicht begreifen, dass du mich verlassen hast.
Ich lese immer wieder die Schrift auf deinem Grabstein, die goldenen Buchstaben auf schwarzem Marmor. Darunter habe ich dir weiße Lilien in die neue Erde gepflanzt, deine Lieblingsblumen. Hast du es gemerkt?
Ich wollte dir doch kein Leid zufügen! Als wir damals im Auto saßen, ging alles so schnell. Ich habe nur kurz die Kontrolle über den Wagen verloren… Wieso hätte nicht ich an deiner Stelle sterben können? Was würde ich für dein Leben geben.
Deine Eltern und Verwandten haben dir Blumen und Kränze gebracht. Sie duften noch ganz frisch.
Ich habe versucht, mich bei deiner Mutter zu entschuldigen. Aber ich verstehe, dass sie mich nicht sehen will. Welche Mutter verzeiht dem Mörder ihres einzigen Kindes? Mord, ich habe dich doch nicht ermordet? Es war doch ein Unfall… bitte glaube mir!
Die Last liegt auf mir, wie eine Kette um meine Seele. Sie zieht mich hinunter, lässt mich nicht mehr auftauchen, aus dem Meer der Schuld.
Ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst, dass du, falls wir uns eines Tages wiedersehen, mir vergeben hast. Ich habe nicht nur einen Menschen getötet, ich habe dich, meinen besten Freund, verloren. Gibt es irgendwo eine Zukunft für uns?
Ich kann und will dich nicht verlassen, will nicht glauben, dass dies alles wirklich geschah!
Bitte verzeih mir!