Magdalena Werl (14)

 Angst

Es war dunkel auf den Straßen, nur einige Laternen versuchten den unheimlichen, grauen Nebel mit ihren kalten Lichtern zu erleuchten. Es war kurz vor Mitternacht, der Mond war als heller, verschwommener Fleck am Himmel zu erkennen eine dichte, graue Nebelwand verhinderte, dass es die Nacht erhellte.

Samuel schluckte. Es war unheimlich, eine Gänsehaut jagte über seinen Rücken, er zitterte. Eine Maus flitzte über seinen rechten Fuß, nur mit Mühe konnte Samuel einen Aufschrei unterdrücken.

Zögernd setzte er zu einem Schritt an, aber dann lauschte er noch einmal in die Stille. Ein Lautes Krachen, dem ein anhaltendes Scheppern folgte ließ ihn einen Satz nach vorne machen. Er fuhr herum und versuchte, mit seinen Blicken den Nebel und die Dunkelheit zu durchbohren.

Er konnte nichts erkennen. War es Einbildung? Er lauschte noch einmal. Das Geräusch war verstummt. Es war so leise, dass die Stille bereits in seinen Ohren zu dröhnen begann. Er drehte sich wieder um und holte tief Luft.

Dann drang er weiter in die Dunkelheit ein. Nach einigen Metern begann die nächste und letzte Laterne, die den Weg vor ihm noch erleuchtete, zu flackern und ging dann aus. Samuel sah über die Schulter zurück. Hinter ihm war es wesentlich heller als da, wo sein eigentliches Ziel lag. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, einfach umzukehren. Aber dann erinnerte er sich an sein Vorhaben.

Er wollte seine Angst vor der Dunkelheit überwinden! Es war nun endgültig genug. Er konnte nicht ewig das Licht brennen lassen, wenn er schlafen ging, oder sich weigern, nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal das Haus zu verlassen. Und alles hatte in dieser Straße angefangen, also musste es auch hier enden!

Zögernd setzte er seinen Weg fort, sein Blick irrte bald nach links, bald nach rechts, immer wieder sah er hinter sich. Er wusste, wenn er das Ende der Gasse erreicht hatte, würde er seine Angst überwunden haben.

Aber schon allein der Gedanke an die Nacht vor zwei Jahren, in der alles angefangen hatte, genügte, um grauenhafte Erinnerungen herauf zu beschwören. Er hatte sich damals auf seinen Streifzügen die er am liebsten nachts machte hierher verirrt, an den Ort, der ihm seitdem in sämtlichen Alpträumen vorschwebte.

Er erinnerte sich noch gut an die dunkle Gestalt, die sich damals auf ihn gestürzt hatte, an die riesigen Schwingen, an die roten, glühenden Augen, an den heißen, grauenvollen Atem des Wesens.

Mit einem Aufschrei stürzte Samuel zwei, drei Schritte weiter. Er hielt an, die Erinnerung an damals verblasste, je mehr er sich abzulenken versuchte. Aber er wusste, dass sie nur auf einen Moment seiner Schwäche wartete, um dann hervor zu kommen und ihn in Panik zu versetzen.

Schweiß brach ihm aus, gleichzeitig zitterte er am ganzen Körper, eine Gänsehaut jagte die andere. Einen Moment lang war er sicher, dass er aufgeben und umkehren würde, aber er schaffte es, sich selbst von diesem Gedanken abzubringen. Nachdem sein Atem nicht mehr keuchend und stoßweise ging, ging er weiter.

Starr hatte er den Blick geradeaus gerichtet, obwohl er versuchte, nichts wirklich wahrzunehmen. Mit aller Kraft dachte er an die schönsten Dinge die ihm einfielen, aber dann packte ihn für einen Moment die Angst, als erneut eine Ratte oder eine Maus über seine Füße huschte.

Der Moment der Unachtsamkeit reichte. Die finsteren Erinnerungen der Vergangenheit stürzten sich hervor und in plötzlicher Panik stürzte Samuel weiter. Aus dem Augenwinkel nahm er ein rotes Glühen war, schreiend presste er die Lider aufeinander, bis er plötzlich gegen etwas prallte und zurücktaumelte. In einer grotesken Haltung stürzte er zu Boden und blieb einem Moment benommen liegen. Dann rollte er sich zur Seite, die Augen immer noch fest geschlossen. Wimmernd blieb er liegen, nur einige Sekunden lang, aber seine Phantasie malte ihm die schrecklichsten Dinge aus, die er sich nur vorstellen konnte. Er wartete darauf, dass sich gleich etwas auf ihn stürzen würde, ihn zerfetzen oder in der Luft zerreißen würde vergeblich. Nichts geschah.

Nach einer Weile hob er vorsichtig den Kopf, Panik flackerte in seinen Augen, als er sich umsah. Und plötzlich fiel sein Licht auf die kleine rote Lampe, die ihren Umkreis spärlich erhellte. Sie hing über einer Tür, die schief in den Angeln hing. Schrecklicher, heißer Gestand kam aus dem Raum oder dem Gang hinter der Tür. Anscheinend lag irgendein Pub dahinter, das wohl nicht zu den feinen Geschäften gehörte ...

Und plötzlich begann Samuel zu lachen. Er lachte so laut, dass es unheimlich in der leeren Gasse widerhallte, kringelte sich am Boden und für einen Moment beschlich ihn die Angst, er könnte verrückt geworden sein. Als er sich nach scheinbar unendlich langer Zeit wieder beruhigte, hatte er schreckliche Bauchschmerzen.

Er erhob sich, sah noch einmal auf das rote, flackernde Licht und wandte sich dann ab, um nach Hause zu gehen. Schmutzig und einen üblen Gestank verbreitend, aber lächelnd, stapfte er durch die Dunkelheit. Kein Schatten konnte ihm nun mehr etwas anhaben ...