Thera Töglhofer (15)

Regenrache

Das Silberpapier der Schokoladentafel knisterte, als sie sich wieder ein Reihe abbrach und langsam kaute. Schokolade macht glücklich, angeblich. Bei ihr schien es heute jedenfalls nicht zu wirken.

Seit Tagen regnete es ununterbrochen. Der Himmel bot ein gewaltiges Farbenspiel an verschiedenen Grautönen. Kleiner Schnürlregen, große, schwere Tropfen, manchmal spritzte der Regen vom Wind gesteuert auch gegen das Fensterglas. Es schien so, als würde der Regen ihre Stimmung begleiten.

Sie stand auf, ging unruhig im Zimmer auf und ab. Vom Schreibtisch zum Wandschrank, vom Wandschrank zum Bett, vom Bett zum Fenster, von dort schließlich wieder zum Schreibtisch.

»Fuck, Fuck, Fuck!« dachte sie nur und erschrak selbst über ihre Ausdrucksweise. Das einzige, was sie denken konnte, war »Fuck«. Sie unternahm nicht einmal den Versuch, den Versuch zu unternehmen, an etwas Anderes zu denken, sie hatte ohnehin keine Kontrolle über ihre Gedankengänge, und außerdem tat es irgendwie gut.

Es war ungerecht! Wieso sollte sie sich mies fühlen wegen etwas, das er getan hatte? Schon wieder wurde sie wütend. Wütend, weil sie sich mies fühlte. Sie holte ihr Tagebuch, aber sie konnte nichts schreiben. Konnte nicht schreiben, was für ein schleimiger Typ er war. Was für ein minderwertiger Komplex, der gelbe Eitertupfen eines entzündeten Pickels, Dreck unter ihren Fingernägeln. Jetzt wurde sie ja schon beinahe poetisch. Aber es tat weh, so zu denken, über den Jungen, mit dem sie noch vor zwei Tagen Hand in Hand durch den Regen gegangen war. »Dieser gefühlvolle Küsser mit der wunderbarsten Zunge dieser Welt!« stand da in ihrem Tagebuch. Und: »Warum passieren die schönsten Liebesszenen eigentlich immer im Regen?«

Sie kam sich vor, wie die Hauptdarstellerin eines schlechten Herzschmerzfilms ohne Happy-End. Beinahe hätte sie die Seite aus dem Tagebuch gerissen, sah dann aber ein, dass es keine Sinn hatte, sich an ihr selbst zu rächen. Wer Rache verdiente, war eindeutig er, denn es gehörte wohl ein gewaltiges Maß an Blödheit, Überheblichkeit und krankhaftem Mitteilungsdrang dazu, der halben Schule persönlich zu erzählen, wie tief seine Zunge in ihrem Hals gesteckt hatte und was für ein hervorragender Küsser er seiner Meinung nach war. Jedes einzelne Detail hatte er jedem geschildert, der es hören wollte und auch jedem, den es nicht interessierte. Noch eine halbe Stunde schwelgte sie im Selbstmitleid. Ein wunderbar dummer, sinnloser Einfall tauchte auf und zog Kreise in ihren Gedanken. Und als die Idee erst eine vage Ahnung zuließ, hatte sie bereits beschlossen, diese auszuführen.

Sie rannte durch die Straßen. Es regnete noch immer, kleinen Schnürlregen, große, schwere Tropfen. Schließlich war sie dort und läutete. Wie gewöhnlich streckte er den Kopf aus seinem Zimmerfenster, das gleich über der Eingangstür lag, um zu sehen, wer unten war. Er war sichtlich überrascht, sie zu sehen.

»Was machst du hier?« wollte er wissen.

»Selbsttherapeutische Maßnahmen rief sie, ging drei Schritte zurück, hob die Faust und streckte feierlich den Mittelfinger aus.