Thera Töglhofer (15)

Schreiben – Himmel und Hölle

Schreiben ist ein Krampf. Ein Krampf, bei dem man, im Drang, einen plötzlich gesponnenen Gedanken möglichst schnell festzuhalten, einen Stift umklammert und übers Papier kratzt. Und man muss schnell sein. Solche unerwarteten Blitzgedanken könnte man mit diesen Gepäckbeförderbändern am Flughafen vergleichen. Wenn man nicht schnell genug seine Koffer packt und sie vom Förderband zerrt, verschwinden sie hinter der schwarzen Kunststoffklappe und es dauert eine Ewigkeit, bis sie wieder kommen, falls überhaupt.

Schreiben ist eine Krankheit, so wie eine Art Allergie, die einen völlig unerwartet überfällt. Das Gegenmittel sind Stift und Papier, in jedem Papierwarengeschäft erhältlich. Und hat man das nicht zur Hand, so können auch Zeitungsränder, Taschentücher und Handflächen Abhilfe schaffen. Ansteckend ist diese Krankheit auf jeden Fall, bisher wurde aber noch kein Impfstoff dagegen entwickelt. Infizierend kann so ziemlich alles sein, angefangen von Korkenziehern über Blumenwiesen bis hin zu frisch gestrichenen Wänden. Aber nicht nur visuelle Anreize, auch ein gutes Lied, das Rücken von Stühlen, eine beschlagene Brille, ein eingeschlafener Fuß, das Läuten eines Handys, der Geruch von nassen Socken in einer Turntasche und jede andere, beliebige Sache kann zu den oben beschriebenen Symptomen führen: Man wird von dem unmittelbaren Drang zu Schreiben befallen.

Dieser wunderbare, erste Gedanke ist bereits am Papier festgehalten, die Quelle ist versiegt. Man lehnt sich aufatmend zurück, es fällt einem der Stift aus der Hand. Ein absoluter Glückszustand, der aber bald in Ratlosigkeit übergeht. Nun sitzt man da mit dem fast gänzlich unbeschriebenen Blatt vor sich, auf dem dieser eine, erste Geistesblitz notiert ist, ansonsten wunderbares, unschuldiges Weiß. Wie geht es jetzt weiter? Meistens geht es gar nicht weiter! In etwa achtzig Prozent aller Fälle wird der Möchtegern-Goethe noch weitere zehn Minuten gedankenlos vor sich hin starren, bis er schließlich resigniert und beschließt, seinen, im Nachhinein gesehen, gar nicht mehr so grandiosen Gedankengang der Nachwelt für immer vorzuenthalten. Der Zettel mitsamt seiner Notiz wandert in den Papierkorb, wo ihm schon von weitem das reine Unschuldsweiß seiner Artgenossen entgegenstrahlt, allesamt von einem hoffnungsvollen, geschichtsträchtigen Jahrhunderttext zu Altpapier degradiert.

Mit einem gewissen Idealismus und der, mit der Wiederholung des Vorgangs zunehmenden Immunität gegen die Resignation, kämpft der Hartnäckige weiterhin gegen die Leere im Kopf an, in freudiger Erwartung des nächsten Geniestreichs. Doch mit der Bereitschaft zum Warten alleine ist es noch lange nicht getan. Es kommt nämlich äußerst selten vor, dass einem ein Zeichen von oben oder gar göttliche Eingebung widerfahren. Gott hält sich prinzipiell aus solchen Sachen heraus!

Erst dann, wenn es scheint, keine Aussicht auf Erfolg mehr zu haben, nähern sich die Geistesblitze in Meilenstiefeln. Wörter und Sätze bilden sich, werden durcheinander gewirbelt, neu gereiht. Verzweifelt sucht man nun nach dem Stift, der irgendwo am Boden liegt und beginnt hektisch zu kritzeln, hat man ihn endlich gefunden. Das Ganze beginnt zu fließen, harmonisch bewegt man den Kopf zu den Schwüngen des Stiftes, Sätze ergeben sich ganz von selbst und werden aneinandergereiht. Rhythmisch klopft man mit dem Fuß den Takt der Silben, leise murmelt man die Sätze vor sich hin, liebevoll streicht man mit den Händen über den Schreibblock, glättet Eselsohren.

Diesen Zustand bezeichnet man in Insiderkreisen als Schreibwahn, und es kann einem nichts Besseres passieren. Kein Zivilschutzalarm, kein Wasserrohrbruch und kein Zimmerbrand können einem vom Schreiben abhalten, ist man dem Wahn verfallen.

So war mancher oft nahe daran, Amok zu laufen, wurde er durch das Abbrechen einer Bleistiftmine oder das Stören eines Mitmenschen brutal in die Realität zurückgeholt. So schreibt man und denkt und streicht durch, ist man am Rande der Verzweiflung, nahe am Aufgeben, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Bis man schließlich am Grund alles Schreibens angelangt ist, besser gesagt, beim Grund des Schreibens: das Ende.

Man schreibt nicht wegen dem Schreiben an sich, man schreibt wegen diesem schwer zu beschreibenden Glücksgefühl, das man hat, ist man am Ende einer Geschichte angelangt. Manche nennen es einen literarischen Orgasmus, aber das stimmt nicht. Es ist besser!

Man könnte jetzt behaupten, Schreiben sei eigentlich nur Hirnwixerei. Aber wer das tut, sollte bedenken, dass es jeden treffen kann, von einem Moment auf den anderen, zu jeder Zeit und überall. Jeder kann der Nächste sein!