Thera Töglhofer (15)

Britta – Die Frauen schlagen zurück

Es fing alles mit Britta an. Britta, diese Frau mit einem außergewöhnlichen Ehrgeiz und einer noch außergewöhnlicheren Oberweite. Sie hatte es bis zum Topmodel gebracht. Sie war Liebling der Boulevard-Presse, Glitzerstern der Modewelt und Besitzerin ihres eigenen Beauty-Konzerns. Aber Schönheit ist vergänglich, und mit ihr auch der Ruhm. Das wusste Britta, und es reichte ihr nicht, auf zahlreichen Motorhauben und von zahllosen Titelseiten zu lächeln. Die Frauen liebten sie, die Männer beteten sie an. Aber, wie erwähnt, Britta hatte einen besonderen Ehrgeiz. Es war ihr nicht genug, ein platinblondes Busenwunder zu sein, sie wollte mehr…

Als sie ihre erste Absage bekam, merkte Britta, dass der Höhepunkt ihrer Karriere überschritten war. Sie wusste, ihr blieb nun nicht mehr viel Zeit, bevor sie in Vergessenheit und ihre Modefotos in die Archive geraten würden. Wollte sie noch etwas Weltbewegendes erreichen, dann musste sie ihre Popularität ausnützen. Wenn etwas geschehen sollte, musste es jetzt geschehen.

Sie begann nachzudenken, womit sie eigentlich in die Weltgeschichte eingehen wollte. Und sie hatte ja genügend Zeit zum Nachdenken, während sie Stunde um Stunde bei der Visagistin und beim Schönheitschirurgen verbrachte. Singen, das konnte sie nicht, und auch vom Schauspielen hatte sie wenig Ahnung. Nein, es musste etwas sein, was alle betraf, was alle interessierte, was alle etwas anging. Und so kam Britta auf die Idee, Feministin zu werden.

Ihre große Chance bot sich schon ein Monat später, als sie einen Werbevertrag mit Loreal abschloss. Sie sollte für eine neue Natural-Beautylook-Pflegeserie werben, durch die sich die Firma Millionengewinne erhoffte. Wie immer behielt Britta es sich vor, ein paar kleine Änderungen im Werbetext vorzunehmen und die Werbebotschaft auf ihre besonders einzigartige Art zu präsentieren. Dieser Spot sollte nicht wie all die unzähligen anderen sein. Etwas Besonderes sollte es werden, das stand fest für Britta. Aber sie konnte wohl kaum ahnen, dass das nur die Spitze eines riesigen Eisberges sein würde. Die Titanic würde sinken – es war nur mehr eine Frage der Zeit…

Bereits nach kurzer Zeit war der Spot abgedreht und konnte schließlich ausgestrahlt werden:

"Meine Botschaft gilt allen Frauen, in dieser von Männern dominierten Welt, in diesem von Männern bestimmten System. Seit Jahr Millionen herrscht der Mann auf dieser Erde. Er hat das Feuer entdeckt und Hund und Frau domestiziert. Jahrtausend um Jahrtausend wurden wir unterdrückt und waren dem unbändigen Herrscherwillen des Mannes ausgesetzt. Nur wenige, zu wenige, haben es geschafft, Gerechtigkeit zu erringen und dem Mann seinen Platz zu weisen. Auch heute, in diesem scheinbar emanzipierten Zeitalter, wird die Frau nach wie vor unterdrückt, wenn auch nicht mehr so offensichtlich, mit raffinierteren Methoden der seelischen, geistigen und körperlichen Unterdrückung. Make-up – weil man Mann gefällt mit einem farbenfrohen Gesicht und dem Verstecken jeglicher Natürlichkeit. Doch kehren wir zum Ursprung zurück. Die Unterdrückung muss ein Ende haben, fangen wir hier und jetzt damit an. Kehrt eure innere Schönheit nach außen, mit der neuen Natural-Beautylook-Pflegeserie von Laboratoire Garnier Paris. Natürliches Aussehen – wie ungeschminkt. Der Wille des Mannes ist nicht dein Weg.

L‘Oreal – weil sie es nicht wert sind.

Tausende Frauen saßen an diesem Abend gebannt vor den Fernsehschirmen. Gefangen von der unbestreitbaren Logik in Brittas Botschaft. Es war dieser Fingerzeig, der Anstoß, auf den viele schon lange gewartet hatten. Der Spot hatte eine Aufbruchsstimmung ausgelöst, den Aufbruch in eine neue Ära der Gleichberechtigung und Emanzipation der Frau. Nachbarinnen, Freundinnen, Mütter, Schwestern… man telefonierte, man traf sich. Überall, auf Parkbänken und an Straßenecken, waren angeregt diskutierende Frauen zu beobachten. Tausende Männer versuchten, ihre Frauen zu bremsen, zu besänftigen, zur Gelassenheit zu bewegen, und tausende Männer verbrachten diese Nacht auf der Wohnzimmercouch.

Britta hatte damit gerechnet, dass dieser Werbespot für Aufregung sorgen würde. Aber solche Reaktionen, davon hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt.

Der nächste Tag war ein Montag, und als um Punkt acht Uhr die Kaufhäuser öffneten, konnten sie sich kaum gegen den Massenandrang wehren. Hysterische Frauen stürmten die Kosmetikabteilung. Es gab Handgemenge, sogar kleine Schlägereien um das letzte Natural-Beautylook-Set. Innerhalb weniger Stunden stiegen die Preise um ein Vielfaches, was die Kaufkraft der Kundinnen aber keineswegs schmälerte. Die Männer wussten nicht so recht, was sie von der ganzen Sache halten sollen. Manche fanden es lächerlich, manche waren in Sorge um ihr bequemliches Cochpotatoleben, und alle hofften, es sei nur eine Phase, und bald werde alles wieder beim Alten sein.

Und das war es dann auch. Die erste Euphorie war über Nacht in Ratlosigkeit übergegangen. Keiner wusste so recht, wie man sich weiterhin verhalten sollte, und so war alles wie bisher. Auch der NBL-Trend hielt sich nicht lange, weil die meisten Frauen bald herausfanden, dass man ebensogut um viel weniger Geld ohne Schminke gleich aussah, wie mit NBL. Also schminkten sich viele Frauen gar nicht mehr. Aber weil sie sich ungeschminkt so unnatürlich vorkamen, griffen sie wieder in den Farbtopf.

Bald blieb NBL in den Regalen liegen. Britta wurde aus ihrem Werbevertrag entlassen, und die Pflegeprodukte wurden vom Markt genommen. Dieser kleine Kalkulationsfehler hätte beinahe den Ruin eines großen Wirtschaftsimperiums bedeutet. Es hatte sich also rein gar nichts verändert, das musste auch Britta erkennen. In ihr machte sich eine gewisse Mutlosigkeit breit, aber ihr Ehrgeiz dachte nicht ans Aufgeben. Sie musste an die Sache nur anders herangehen, musste Frauen und Mädchen Schritt für Schritt zeigen, wie sie die Welt verändern sollten, nur wusste sie selbst noch nicht so genau, wie. Also begann sie wieder nachzudenken, und dazu hatte sie jetzt noch mehr Zeit als früher, weil nur junge, willenlose Busenwunder auf Motorhauben posieren sollten und kein reifes Feministen-Model, das auf die 30 zuging. Und auch von den emanzipierten Frauenzeitschriften wurde sie nicht engagiert, weil die nur Frauen von 50 aufwärts abbildeten, um keinem Mann die Chance eines visuellen Anreizes zu bieten.

Eine Woche später hatte Britta einen Auftritt in einer der populärsten Fernsehshows des Landes. Groß wurde sie als Stargast angekündigt, denn ihre Beliebtheit war trotz dem absehbaren Ende ihrer Karriere weiterhin ungebrochen. Und sie enttäuschte ihre Fans nicht. Im kürzesten, anliegendsten Minirock und im knäppsten Bikinioberteil hüpfte sie die Showtreppe hinab, und mit ihr hüpfte ihr Wunderbusen. Lüstern wurde sie vom Showmaster und dem großteils männlichen Publikum gemustert, ehrfürchtig von ihren weiblichen Fans betrachtet. Die ersten fünf Minuten beantwortete sie geduldig die Fragen des Showmasters und plauderte über ihr Privatleben. Dabei wirbelte sie die Haare durch die Luft, spähte durch halbgeschlossene Augenlider und beugte sich weit vor, um einen Schluck aus dem Wasserglas zu nehmen.

Der Showmaster hatte bereits seine Krawatte gelockert und drei Hemdknöfpe geöffnet – sie war die Verführung in Person. Als er kurz davor war, auf die Knie zu fallen und sie zu bitten, seine Frau zu werden, meinte Britta, dass es nun an der Zeit sei, auf den eigentlichen Grund ihres Besuches zurückzukommen. Sie erhob sich und ließ nun auch noch ihren Mini an ihren schier endlosen Beinen hinabgleiten. Da stand sie in knapp bemessenenn weinroten Spitzendessous und war so wunderschön und so sexy wie nie zuvor.

Die Sanitäter gingen durch das Publikum und verteilten Beruhigungstabletten. Noch ein letztes, verführerisches Lächeln, dann, von einer Sekunde auf die andere, wechselte ihre Mimik zu einem ernsthaft-feierlichem Gesichtsausdruck. Sie ging zu einer blauen Holzkiste, die dort stand, und bei jedem Schritt, den sie machte, spürte man förmlich das Knistern der Spannung, denn dass jetzt etwas Besonderes geschehen sollte, das war klar. Britta entnahm der Kiste einen bodenlangen Rock und schlüpfte hinein. Ein graues Baumwollshirt folgte. Kleidungsstück um Kleidungsstück holte sie aus der Kiste, bis sie schließlich in Tennissocken, Mantel und Baseballkappe im gleißenden Scheinwerferlicht stand. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und die Kontaktlinsen durch eine Brille ersetzt.

Sie hatte jede Schönheit und jeden Sexappeal sorgfältig versteckt, die männlichen Hormone beendeten ihre Irrfahrt und erstarrten.

"Jeder kennt mich von Modefotos, Titelseiten und Motorhauben. Jeder kennt meine endlos langen Beine, meine grandiose Wespentaille, meine unbeschreibliche Oberweite und meine einzigartigen Gesichtszüge!" begann Britta mit unverkennbarer Bescheidenheit. "Warum habe ich so viele Fans und Verehrer? Ist es mein Charakter, mein Charme, meine Intelligenz, meine Ausstrahlung? Es ist mein Körper, den ihr, Herren der Schöpfung, zur billigen Anregung eurer Phantasie benutzt. Frauen dieser Welt, ich sprach schon einmal, wenn auch mit dem Hintergedanken der Werbung, in diesem Sinne zu euch. So bitte ich euch, wenn ihr mich nach wie vor verehren und mich zum Vorbild wollt, so tut dies nicht wegen meinem Körper, sondern wegen der ungeheuren Ausdauer und der Hartnäckigkeit, mit der ich für die Gleichstellung der Frau gegenüber dem Mann in dieser Gesellschaft kämpfen werde. Ja, ich bin Feministin und ich bin stolz darauf!"

Betroffenes Schweigen, das plötzlich durch den Jubelschrei einer begeisterten Anhängerin durchbrochen wurde. Es war, als würde eine Kettenreaktion ausgelöst. Jede Frau im Studio stimmte ein, und es erhob sich ein Jubelchor voller Begeisterung. Da saßen die Herren der Schöpfung, stumm und handlungsunfähig durch die Wirkung der Beruhigungstabletten. Die Aufbruchsstimmung war zurückgekehrt.

Einige Jahre später sah die Sache dann bereits anders aus:

Britta und die Brittistische Frauenpartei hatte sich ein Ziel gesetzt. Ein Ziel, das nun in greifbare Nähe gerückt war.

"Erst, wenn es einer Frau gelingt, Präsidentin dieses Landes zu werden, haben wir die vollkommene Gleichberechtigung erreicht."

Und wer die Präsidentinnenschaft übernehmen sollte, war zwar offiziell noch ungeklärt, jeder jedoch wusste, dass es nur die eine sein konnte, nämlich Britta. Auch sie selbst wusste es, und so war es eigentlich nur mehr eine reine Formsache, als die Frauen des Landes vor ihr niederfielen und sie baten, sich doch um das Amt der Bundespräsidentin zu bewerben.

Die BFP hatte damit gerechnet, dass die Männer einen Gegenkanditaten stellen würden. Das war eigentlich kein Problem für Britta, da der Anteil der weiblichen, wahlberechtigten Bevölkerung ohnehin 51 Prozent betrug, und somit für einen Wahlsieg gereicht hätte. Denn alles, was weiblich war, das zählte sich zur begeisterten Anhängerschaft von Britta und ihrer Ideologie. Aber Vorsicht war besser als Nachsicht: Ein paar Nichtwähler, eine Grippeepidemie oder das Zögern einiger Wählerinnen, den endgültigen Schritt zur Vorherrschaft der Frau zu wagen, sollten Britta nicht von ihrem Ziel, Präsidentin zu werden, abhalten. Und so wurde kurzerhand beschlossen, ein paar Gesetze zu umgehen, ein paar Bestimmungen zu ändern und den Männern das Wahlrecht zu entziehen, um wirklich kein Risiko einzugehen. Das taten sie dann auch. Britta wurde mit einer eindeutig eindeutigen Mehrheit von 99,8 Prozent zur Staatspräsidentin gewählt.

An diesem Tag fühlte Britta keinen Funken von Triumph. Sie wartete auf das Glücksgefühl, die Zufriedenheit, die Freude, aber nichts war da.

Die Frauen waren auf jeden Fall gleichberechtigt, ja sogar bevorzugt, die Männer hatten klein beigegeben, waren unterdrückt. Aber nun fehlte das, was sie die ganze Zeit so starr vor Augen gehabt hatte. Ihr Lebensziel war erreicht, sie musste sich nun ein neues suchen.

Nicht nur in den alten Zeitschriften und Modemagazinen waren ihre Fotos verewigt, nicht nur in Werbefilmen. Britta, die Frau mit dem außergewöhnlichen Ehrgeiz und der noch außergewöhnlicheren Oberweite und Begründerin der wohl außergewöhnlichsten Ideologie, die je von einer Frau umgesetzt wurde, war auf dem Zehn-Euro-Schein abgedruckt.

Unruhig ging Britta auf und ab. Schon wieder spürte sie dieses Kribbeln in ihren Lippen, so heftig wie nie zuvor. Immer größer wurde ihre Sehnsucht nach einem Kuss, nur ein kleiner, flüchtiger Kuss. Aber es war zu spät, um in der Toilette zu verschwinden, um den Spiegel zu küssen, draußen wartete das Volk auf sie. Sie drehte den Kopf in Richtung Männerseite, die bedeutend kleiner und nicht so prunkvoll war. Dort ging ein junger Mann auf und ab, der ständig an seiner Unterlippe nagte. Ein sehr mutiger, junger Mann anscheinend, denn er beachtete den dicken Trennstrich kaum, der am Boden gezogen war. Überschritt die Linie, ganz in Gedanken versunken, bevor er wieder kehrtmachte.

Die Menge draußen wurde langsam ungeduldig. Auf dem riesigen Platz vor dem Präsidentenpalast scharten sich Tausende von Leuten. Die Frauen rechts, die Männer links und dazwischen ein hoher Gitterzaun, rechts davon Polizistinnen, links davon Ordnungshüter mit weiblichen Schäferhunden auf der rechten Seite und männlichen Schäferhunden auf der linken, nur die Flöhe durften gemischtgeschlechtlich bleiben.

Und alle sahen sie jetzt Britta, die auf die Bühne trat, Hand in Hand mit einem mutigen, jungen Mann und wie sie in einem leidenschaftlichen Kuss versanken.

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