Alexander Prantner (18)

dramatisches prosagedicht in einem atemzug mit prolog und handlung für alfred

 

prolog

es ist also prosa zu schreiben. womit wir bereits den ersten fehler begingen und wir uns konsequenterweise um vollständige sätze bemühen um keinen verdacht an der lauterkeit unseres vorhabens aufkommen zu lassen. Es ist also an mir Prosa zu schreiben und die Kleinschreibung zurück zu lassen. Lassen wir also die Verdichtung der Materie hinter uns um uns in die luftigen Höhen des Äther zu erheben und sei es nur um aufzuzeigen welche Möglichkeiten verborgen liegen. Beginnen wir also, wo wir beginnen müssen.

[Auf den Einsatz einer Nebelmaschine wird, trotz der determinierten Konsequenzen, bewußt verzichtet. Anm. d. Übersetzers.]

 

dramatisches Prosagedicht in einem Atemzug mit Handlung für Alfred

Der kleine blass-violette Herr verlor sich im Schatten der Bäume, zwischen denen er seinen Hund vermutete, welcher ihm soeben abhanden gekommen war. Dass er die markierten Forstwege, die er lediglich seines treuen Begleiters zuliebe gelegentlich aufsuchte, hinter sich lassen musste, war eine Unannehmlichkeit, mit der er nicht gerechnet hatte. Mit blank polierten Schuhen, in denen sich das spärliche Licht, das die Kuppel der Äste zu durchdringen wagte, spiegelte und mit Flüchen jeglicher Art ausgestattet, begann er seine Odyssee im feindlichen Grün. Die Gründe, warum er beschlossen hatte, abseits der gangbaren Wege zu suchen, verbargen sich nun hinter den mächtigen Stämmen, die ihm die Luft zu atmen raubten. Einzig auf die Prügel, die er seinem Hund verabreichen würde, auf dass er wieder für Tage unfähig wäre zu laufen, freute er sich, obwohl es dazu dieser Reise nicht bedurft hätte.

Je tiefer er in den Wald eindrang, desto mehr kreisten seine Gedanken um die bevorstehende Strafe, und ein leichtes Zucken umspielte die bleichen, unrasierten Gräben seiner Mundwinkel.

Er versuchte, seinen Schritt zu verlangsamen, doch seine kurzen Beine trugen ihn unerbittlich vorwärts. Ohne sein Zutun setzten sie die Füße immer wieder auf den weichen Boden, glitten darüber, scheinbar ohne ihn zu berühren. Sie trieben ihn weiter. Immer tiefer in den Wald hinein, mit dessen Schatten er langsam verschmolz, immer tiefer ins Ungewisse, einem genau definierten Ziel entgegen. Er wollte sich auf den Boden werfen, wollte ihnen – oh hätte er nur Vorbereitungen getroffen – einen Speer ins Mark jagen, brüllte ihnen die Befehle zu, doch fand er sich unfähig, nur das Geringste auszurichten.

Es war stiller geworden. Das beständige Murmeln der Autobahn – oder war es ein Fluss gewesen – war verstummt. Der Teppich abgestorbener Vegetation zu seinen Füßen schien dichter zu werden, und schon watete er knöcheltief in verwesendem Laub. Hier und da und dort wagte es eine gelbe oder orange Blüte, das Braun zu durchbrechen, vergeblich, zum Scheitern verurteilt.

Seine Füße blieben stehen, verharrten fest im Boden verankert, und er musste alle Kraft aufwenden, um nicht vornüber zu kippen, um die Distanz zwischen seinem weißen Gesicht und dem schwarzen Grund zu wahren. Scheinbar grundlos war es geschehen. Es war ihm nicht möglich, eine Ursache auszumachen, die seine Füße bewogen hatte, ihren beständigen Rhythmus zu unterbrechen.

Um zu verhindern, dass die Stille, die ihn einhüllte, in seinen Kopf eindringen konnte, rief er den Namen seines Hundes oder irgendeinen Namen, der sich als fernes Echo an den Stämmen widerspiegelte. Vielleicht war es sein ruheloser Geist, welcher ihm dieses Echo vorgab, aus dem Grunde, die unergründliche Stille mit etwas Vertrautem zu füllen.

Nichts unterschied diesen Teil des Waldes von dem, durch den er hierher gelangt war. Keine Anhaltspunkte eines Zieles. Keine Anhaltspunkte für den Weg zurück.

Schweiß und Blut aus den Wunden, die ihm die Krallen der Bäume zugefügt hatten, rannen ihm über sein, nun aufgeblähtes, gotisch verzerrtes Gesicht. Es war ein hartes, fragiles Gesicht geworden, eine aus Stein gemeißelte Visage, deren Einzelteile sich nicht leiden konnten.

Als wäre sie immer schon dagewesen, offenbarte sich ihm eine Erscheinung, eine Vision gelangte in sein Blickfeld. Vor ihm kauerte, im hohen Gras der Lichtung, die er jetzt durch die Strahlen der errötenden Sonne erblickte, eine kleine Hütte, die ihn mit ihren geschlossen Fensterläden verhöhnte. Schon einmal war er hier gewesen, an diesem Ort, der nun aus der Erinnerung auftauchte, um Atem zu schöpfen, der sich nun nackt am Stand des Bewussten offenbarte. Schon einmal war er auf diesem Grund gestanden, und wieder roch er das Blut, das hier versickert war, ahnte die Tränen, die diesen Boden genährt hatten, solange genährt hatten, bis all das Leid und die Demütigung eine Manifestation suchten, eine Verankerung im Sein, die sich schlussendlich in dieser Hütte realisierte, die wie ein giftiger Pilz aus dem Boden schoss.

Er würde nicht lange allein bleiben, doch nun schien niemand zu Hause zu sein, und seine Zeit war knapp bemessen. Die unsichtbaren Fesseln an seinen Füßen waren von ihm genommen worden, langsam musste er sich wieder an die Kontrolle gewöhnen. Zögerlich umrundete er die Lichtung, um das Ausmaß des Schadens abschätzen zu können. Wie ein Geschwulst klebte die Hütte in der Landschaft, und bald, das wusste er, würde die ganze Welt vom Metastasen übersät vor ihr in die Knie gehen. Als dem erschöpften Herrn bewusst wurde, dass die Geschicke der Welt nunmehr von ihm abhängig waren, und von ihm ganz allein, denn niemand sonst wäre in der Lage gewesen, die Problematik in all ihrer Komplexität zu erfassen, geschweige denn an diesen, nur ihm auf mysteriöse Weise zugänglichen Ort zu gelangen, um selbst in Aktion zu treten, als er sich dieser Tatsache bewusst wurde, kehrte die Kraft in ihn zurück, seine Atmung wurde ruhig und entschlossen, die kleinen, stets nur halb geöffneten Augen nahmen den Feind ins Visier uns suchten unerbittlich nach einem Angriffspunkt.

Er war also allein und seine Zeit knapp bemessen. Unsicheren Schrittes näherte er sich dem Häuschen. Die Fenster waren von inne her mit Holzläden undurchsichtig gemacht, die Tür war hart und unnachgiebig. Nirgends ein Spalt oder ein Astloch, das Einblick in das Grauen gewährt hätte. Schwer hingen Wassertropfen von den modernden Balken, dunkel schimmerte zitterte sein verzerrtes Antlitz in den winzigen Spiegeln. Doch keinen durfte er zerbrechen, nicht ein einziger durfte auf dem Boden aufschlagen und so auf seine Anwesenheit aufmerksam machen. Keine Spur durfte der Besucher zurücklassen, auf dass sie keinen Verdacht schöpfte.

Sie war wohl Wasser holen gegangen, weshalb hätte sie sonst ihre Festung verlassen sollen? Durch den kleinen, aus spitzen Steinen aufgestapelten Kamin hätte er die Feuerstelle erkennen können, aus der sie ihre teuflische Macht schöpfte, doch selbst er wäre zu breit, durch diese Öffnung ins Haus zu gelangen. Somit verblieb er mit beiden Beinen fest auf der Erde.

Er musste zurück. Er benötigte eine der Situation angepasste Ausrüstung. Eine Zusammenkunft zum jetzigen Zeitpunkt hätte verheerende Folgen gehabt. Er musste sich erst vorbereiten auf das alte Gefecht, auf die entscheidende Schlacht zwischen Gut und Böse. Es war nun an ihm und an ihm allein, die Welt aus dieser Misere zu befreien.

Er übergab sich wieder den Bäumen. Doch schien es nun, als bildeten sie eine Allee, um ihm das Fortschreiten zu erleichtern, als stünden sie als jubelnde Menge am Rande, ihren Erlöser gebührend zu verabschieden.

Schon bald tauchten die ersten müden Lichter der Stadt vor ihm auf, und die Kopfsteinpflaster empfingen seine erdigen Schuhe. Die Stadt war so leise wie der Wald, eine Tatsache, die den erschöpften Herren beunruhigte. Er durchquerte das fensterlose Stiegenhaus, gab seinem Hund, der ihn mit freudigen Augen vor der Türe erwartete, einen Fußtritt, dann noch einen und drehte den Schlüssel im Schloss. Drinnen empfingen ihn die Staubflocken und hüllten ihn in eine weiße Wolke, als er sich auf seinem Bett niederließ. Die Bibel fest umklammert schlief er ein.

Am nächsten Morgen war er allein im Kaufhaus. Die Neonröhren flackerten fleißig, und das beständige Summen der versteckten Generatoren und Maschinerien, die alles am Leben erhielten, begleiteten ihn. In der Sportabteilung sprach er den aus verschlafenen, kaffeesuchenden Augen blinzelnden Verkäufer an. »Ich brauche ein Zelt«, sagte er »und alles, was dazugehört.«

Der Geruch der Turnschuhplastiksohlen füllte seine Lungen. »Und ein Boot brauche ich«, sagte er plötzlich, »ich werde auch ein Boot brauchen, und eine Pumpe zum aufblasen«, fügte er nach einigen Sekunden hinzu. Er füllte seinen neu erworbenen Rucksack mit dem nötigen Proviant und ging von der anonymen Menschenmasse begleitet – ach wüssten sie doch, was sie ihm zu verdanken hatten – nach Hause.

Er gab seinem Hund einen Fußtritt und drehte den Schlüssel im Schloss. Daraufhin setzte er sich auf sein Bett und verblieb dort drei Stunden schweigend, wie in einem Schaukelstuhl hin und her wippend. Um drei Uhr achtundfünfzig verließ er seine Wohnung und stieg den Waldweg hinauf.

Es durfte nun kein Fehler mehr gemacht werden, und der hölzerne Pfahl, den er sich vom Tischler hatte anfertigen lassen, stach ihn in den Rücken.

Wieder betrat er den Wald und ließ sich von seinen Füßen tragen. Diesmal war es, als liefen die Bäume an ihm vorbei und er stünde still. Als liefen sie mit langen hölzernen Beinen um der bevorstehenden Konfrontation zu entgehen, um nicht dabei sein zu müssen, wenn die Naturgewalten aufeinander treffen. Er schlug sein Zelt einige Meter von dem immer noch verlassenen Haus auf. Ob sie seine Ankunft ahnte? Er wartete.

Die Nacht war stiller als der Tag. Das beunruhigte ihn. Doch ließ die Stille seine Gedanken klar und deutlich strahlen. Er war auf jede Situation vorbereitet, die Schlacht konnte beginnen. Der Mond ließ sein versilbertes Licht über die Nadeln und Blätter rinnen, der Mond war nicht voll. Er verblieb wachend und ohne Angst in seinem Zelt, den Holzpfahl fest in der Hand.

Der Morgen war angebrochen und schwieg. Er ging zur Hütte und lauschte. Es wurde Abend und es wurde Nacht. Er durfte nicht schlafen. Musste wachsam bleiben, durfte keine Schwäche zeigen. In der dritten Nacht schlief er ein, und als er erwachte, blickte er in das schwarze Auge eines großen Vogels. Wortlos starrten sie sich an. Das Duell hatte begonnen, und sie hatte die Waffen gewählt. Er durfte keine Schwäche zeigen.

Plötzlich stand er auf und suchte den großen Stein, über den er letzte Nacht gestolpert war. Er schlug auf die Hütte ein, schlug mit all seiner Kraft und Verzweiflung. Der Vogel beobachtete ihn wortlos. Doch nicht einmal ein Splitter löste sich aus dem fauligen Holz, und der teuflische Vogel erhob sich in die Luft und flog davon. Er drosch und prügelte, bis seine Finger bluteten und er erschöpft niederbrach, unfähig, die Festung zu stürmen.

Er schlug die Augen auf, und es war Nacht. Der Mond war ein dünner Riß im dunklen Blau des Himmels, die Sterne Nadelstiche. Sie war also geflohen. Sie hatte seine Ankunft geahnt und suchte sich in Sicherheit zu bringen. Doch dieser Kampf musste zu Ende geführt werden. Das Schicksal der Welt lag in seinen Händen, und dass sie geflohen war, deutete er als günstiges Zeichen. Das hohe Gras strich um seine Hüften, als er zum Zelt zurückkehrte, um den Holzpflock zu holen. Er packte seinen Rücksack und ging, sie zu finden. Er lief in die Richtung, die der, in die der Vogel des Vorabends verschwunden war, gegenüber lag. Er überquerte die Lichtung, versetzte dem trotzigen Häuschen einen Tritt und trat in den Wald ein.

Nach einigen Stunden gelangte er an einen Fluß. Sie war also übers Wasser entkommen. Hier war es nun, das Ende der Welt. Finis terrae exordium invocat. Er fühlte das Herannahen einer neuen Epoche. Und füllte sein Schlauchboot mit dem Atem des Waldes. Sein Gepäck ließ er am Ufer des Flusses zurück, und den Holzpflock nahm er mit. Mit der Asche des Grases, das es auf der Lichtung gepflückt hatte, malte er ein Kreuz auf die Flanke des Bootes und auf seine Stirn.

Er übergab sich dem Fluss, der ein stilles Gebet für ihn murmelte, und trieb seiner Bestimmung zu. Es war nun an ihm, und an ihm allein, die Ordnung der Welt wiederherzustellen und die Menschheit zu erlösen.