Karl Peter Krautgasser (15)

Das Leben

Das Taxi, ein alter Rover, in dem es nach abgestandenem Zigarettenqualm roch, rumpelte gemächlich die leere Landstraße entlang. Es war Ende Februar, ein herrlicher, sehr kalter Nachmittag, mit einem bleichen und wolkenlosen Himmel. Die Sonne warf lange Schatten, spendete aber so gut wie keine Wärme, und die gepflügten Felder waren eishart gefroren. Aus den Schornsteinen vereinzelter Farmen stieg Rauch in die ruhige Luft auf.

Auf der Rückbank im Wagen saß Marianne Künig. Sie hatte lange durch das staubige Fenster geblickt und war zum Schluss gekommen, dass sie die vertraute Landschaft ringsum noch nie so schön erlebt hatte.

Die Straße machte eine scharfe Kurve, und der hölzerne Wegweiser, der die Abzweigung nach West Ham zeigte, kam in Sicht. Der Fahrer bremste, schaltete krachend in den zweiten Gang und bog in die abschüssige, von hohen Hecken gesäumte Straße ein, die die Aussicht verwehrte.

Wenige Augenblicke später waren sie im Dorf mit seinen golden leuchtenden Steinhäusern, dem Zeitungsladen und der Kirche. Es war fast niemand zu sehen. Die Kinder waren in der Schule, und wer irgendwie konnte, blieb in der bitteren Kälte zu Hause. Nur ein alter Mann mit Fäustlingen und einem dicken Schal führte seine noch älteren Hunde aus.

»Wo ist es?« fragte der Taxifahrer über seine Schulter hinweg.

Sie beugte sich vor und wurde sich einer lächerlichen Nervosität und Vorfreude bewusst. »Noch ein kleines Stück. Am Ende des Dorfes. Das weiße Tor rechts. Es ist offen. Da. Das ist es.«

Er fuhr durch das Tor und hielt an der Rückseite des Hauses. Sie öffnete die Wagentür, stieg aus und schnallte das dunkelblaue Cape enger, als sie von der Kälte getroffen wurde. Sie öffnete ihre Tasche, suchte den Schlüssel, ging zur Tür und schloss auf.

Der Taxifahrer klappte den Kofferraum auf und holte ihren kleinen Koffer heraus. Sie drehte sich um, um ihn zu nehmen, aber er hielt ihn besorgt fest. »Ist denn niemand da, der Sie erwartet?«

»Nein, niemand. Ich lebe allein, und sie denken alle, ich sei noch im Krankenhaus.«

»Schaffen Sie es allein?«

Sie lächelte in sein freundliches Gesicht. Er war noch ziemlich jung und hatte wuscheliges blondes Haar.

»Natürlich.«

Er zögerte, er wollte sich nicht aufdrängen. »Wenn Sie möchten, trage ich den Koffer hinein. Ich kann ihn auch nach oben bringen.«

»Oh, das ist sehr freundlich von ihnen. Aber ich schaffe es sehr gut ...«

»Gern geschehen«, unterbrach er und folgte ihr in die Küche.

Sie öffnete eine Tür und führte ihn über eine schmale Holztreppe hinauf. Die Schlafzimmertür stand weit offen. Sie ging hinein, und der junge Mann folgte ihr und stellte den Koffer ab. »Kann ich sonst noch etwas für sie tun?« fragte er.

»Nein, vielen Dank. Was bin ich ihnen schuldig?«

Er sagte es leise und ein bisschen verlegen, als wäre es ihm peinlich. Sie bezahlte und ließ sich das Wechselgeld nicht herausgeben. Er bedankte sich, und sie gingen die Treppe wieder hinunter. Aber er zauderte und schien nicht gehen zu wollen. Wahrscheinlich, sagte sie sich, hat er eine alte Großmutter, für die er die selbe Verantwortung empfindet.

»Sie kommen wirklich zurecht, ja?«

»Aber sicher, und morgen kommt meine Freundin, Mrs. Placket. Dann werde ich nicht mehr allein sein.«

Das beruhigte ihn aus irgend einem Grund. »Dann gehe ich jetzt.«

»Auf Wiedersehen. Und vielen Dank.«

»Keine Ursache.«

Als er fort war, trat sie wieder ins Haus und machte die Tür zu. Sie war allein, welche Erleichterung. Daheim. Ihr eigenes Haus, ihre eigenen Sachen, ihre eigene Küche. Der Ölherd blubberte friedlich vor sich hin und alles war herrlich warm. Sie löste den Verschluss ihres Capes, zog es aus und legte es über eine Stuhllehne. Auf dem blankgescheuerten Tisch lag ein Stoß Briefe, und sie blätterte ihn durch, doch weil er nichts Wichtiges oder Interessantes zu enthalten schien, ließ sie ihn liegen und ging durch den Raum und ging nach oben.

Sie wollte eigentlich auspacken, doch statt dessen gab sie sich dem seligen Gefühl hin, wieder zu Hause zu sein. Sie ging umher, öffnete die Türen und betrat jedes Schlafzimmer, um durch jedes Fenster zu sehen, Möbel zu berühren. Alles war so wie es sein sollte.

Als sie wieder in der Küche war, nahm sie die Briefe und ging ins Wohnzimmer. Sie spürte, dass sie wirklich sehr müde war, aber es war eine angenehme Müdigkeit, gemildert und versüßt durch ihre Umgebung, als wäre das Haus ein friedliches Wesen, das sie liebevoll in die Arme schloss.

Es ist, weil ich lebe. Ich bin vierundsechzig und habe, wenn man den Ärzten glauben kann, einen Herzanfall gehabt. Ich habe es überlebt und werde es in eine Schublade tun und nie wieder darüber sprechen, weil ich lebe. Das Leben war auf einmal nicht mehr die bloße Existenz, die man als selbstverständlich betrachtet, sondern etwas darüber hinaus, ein Geschenk, das jeden Tag, der einem gegeben wurde, ausgekostet werden musste. Die Zeit dauert nicht ewig. Ich werde keinen einzigen Moment verschwenden, versprach sie sich. Sie hatte noch nie so stark und optimistisch gefühlt. Als ob sie wieder jung sei und noch einmal von vorne anfinge, und als ob jeden Augenblick etwas Wunderbares geschehen könnte.