Verena Gramm (16)

DER WESEN FAUCHEN
VON SÜSSLICH-BERAUSCHENDER WIRKLICHKEIT

Mooswesen
Farngeschöpf
und Tannengeist,

drei Waldwesen,
gegenseitige Nähe suchend, doch unfähig sich zu vereinen, im Streitgespräch:

Mooswesen spricht:

O süßer Schein von blasser Haut
Im Spiegel der Unvernunft.
Denn jeder sucht des anderen Hülle
umschlungen um sich selbst.
Und niemals, nein niemals platzt die Naht,
die als Narbe dient,
als letztes Merkmal des eigenen Ichs.
Eine kleine Trennung,
die treibt im Fluss der Vergessenheit
versteckt vom Mantel des anderen Persönlichkeit.
Zu sein für ewig in dir,
zu suchen ständig Veränderung mit dir,
hier und dort, überall, immer, immerfort;
denn so wird die Veränderung
zum Fortbestand.
O bittersüßer Wein,
der so trunken macht meine Gefühle
in lodernden Flammen!

Tannengeist spricht: (wegwerfend)

Ach, süßer Wein!
Er versteckt nur den Schein
Der Flamme der Erkenntnis,
die hinter ALLEM und JEDEM flackert
und sei sie noch so trüb
und auch wenn sie noch so viel fordert vom Gemüt
spürst du die Wahrheit
so bist du am Licht,
nur mit der Flamme siehst du Licht nicht.

Mooswesen spricht:

Ich spüre Wärme!

Tannengeist spricht:

Sie wird vergehen,
Wachs bleibt unbestehen.
Vergiss niemals was du bist,
lass dich nicht treiben
im Strom des Zweiten,
er führt nirgendwo hin,
’s ist Leichtsinn!

Farngeschöpf spricht:

Ziellos, zeitlos, raumlos.
Du verlierst dich…
deine Gedanken in Berauschung,
deine Seele voll Bereicherung.
Doch musst du wissen, nicht ahnen
Wie beständig verändern;
Sonst bist du nichts als ein Dieb
Und du raubst dich dir selbst
Und bald bist du es der fällt
Vom Floß des anderen
und vom Rauschgang deiner Gefühle.
– Verwirrung, Verirrung, Niemandsland.
Dann ist `s zu spät…
Kein Weg zurück,
das Glück, das Glück
führ es am Strick
’s will nicht bleiben.
Beständige Veränderung…
Suche dich in ihr
und du wirst noch viel mehr finden.
Lerne, lehre, lebe.
Lass nie mehr los
und fällst du nur wenig
besteige das Ross des Lebens.
Es hat Schwingen…
Mehr als du ahnst.
Suche, forsche, entdecke.
Verstecke dich nicht,
deine Seele, sie spricht.
Mooswesen, folge deinem Gespür!
Du bist auf dem richtigen Weg.
Tannengeist, und suchst du auch blind
nach dem Keim des Verstehens,
suchst ihn als letzter am süßen Vergehen, bei den Sünden,
doch wirst du ihn finden!
Denn verneinst du auch die Woge deiner Gefühle,
verweinst dich selbst
und vermeidest die Spiele des Rausches Willen,
er wird dich finden. (der Wille)
Denn hinter all deinen Hüllen
Steckt Hoffnung in dir,
Verlangen, Begehren, süßes Gespür.
Lass dich leiten, es führt, es führt.
Finde zu dir und du bist nahe am Wir.

Tannengeist spricht:

Nahe, nahe!
Ich nehm ’s nicht hin, ich klage!
Klage an
an deinem Weg
durch sich mich oder dich zu treffen.
Du bist zwar nahe.
Doch niemals völlig in uns, mit uns, auf uns.
Und klammerst du noch so sehr!
Das stärkste Gefühl,
die Ahnung der Wahrheit,
sie sagt mehr.

Mooswesen spricht:

Müssen wir denn alle ganz eines sein?
Genügt es denn nicht es zu versuchen,
der Sehnsucht zu folgen
und gelangt man auch nie ans Ziel?
Allein der Weg,
er bedeutet so viel,
er zeigt dir so viel
und er berauscht dich mit Süsslichkeit.
Und entzieht er dich auch der schrecklichen Erkenntnis;
Er betrügt dich,
doch er bewahrt dich,
beschützt dich.
Lebe doch in der Realität der Illusion.
Leben ist Leben,
und du spürst es,
du schmeckst es
und bereust es nicht.
Genügt das denn nicht?

Schrill schreiend und still schweigend krallen sich alle nur noch fester aneinander.
Bis zu ihrem Tode werden sie so verharren.
(Sei beruhigt oder verzweifelt).