Stefanie Flebus (16)

"Mein Mädchen"

Eine braune Papiertüte, die geheimnisvoll und verführerisch raschelte. Und der Geruch von Rasierwasser immer vermischt mit ein bisschen Tabak.

Immer ein Lächeln auf den Lippen, immer zwei Arme frei, um mich aufzufangen.

Das weiße Haar, das sich nur mehr spärlich um den fast schon kahlen Kopf legte, wurde jeden Morgen korrekt gekämmt, auch wenn dem schwarzen Plastikkamm schon einige Zinken fehlten.

"Ich hab doch auch nicht mehr alle Zähne!" lächelte er, wenn meine Großmutter das alte Ding entsorgen wollte. Sie schimpfte oft, meinte es aber nie böse. Und er? Er ließ sie schimpfen. "Die Rosa hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Deshalb hab ich mich ja in sie verliebt! Stell dir vor, sie hat damals sogar dem Pfarrer ins Gesicht gesagt, dass selbst Jesus Christus höchstpersönlich bei seinen Predigten einschlafen würde! Das ganze Dorf war damals in Aufruhr! Ja, ja, mein Mädchen…", seufzte er dann immer, wenn er diese Geschichte erzählte, und das kam nicht zu selten vor. Er erzählte immer mit einem Lächeln um die Mundwinkel.

Und am liebsten hatte ich als Kind die Sonntage mit ihm. Da holte er seinen besten Anzug heraus, er hatte nur den einen, er war immer schon sehr sparsam gewesen, nahm seine Melone, die weißen Handschuhe und den edel geschnitzten Spazierstock, schlüpfte schon mit etwas Mühe in seine blank polierten Lederschuhe und ging mit mir an seiner Hand hüpfend in die Kirche.

Sie war ihm wichtig, Rosa. Und er pflegte gerne Traditionen.

Wie Tischgebete zum Beispiel. Und immer Geschenke zu Hochzeitstagen.

Als ich erwachsen war, fiel mir die innige Liebesbeziehung meiner Großeltern auf.

Es gab fast nie Streit, und wenn eine Meinungsverschiedenheit auftauchte, dann ging es höchstens um den Garten. Denn mein Großvater war ein, laut meiner Großmutter, nicht so begnadeter Gärtner. Aber so etwas dauerte höchstens fünf Minuten und wurde anschließend mit einem zärtlichen Kuss begraben und vergessen.

Je älter sie wurden, desto näher wuchsen sie zusammen. Er nannte sie "mein Mädchen" und sie nannte ihn "Gockel". Bis eines Tages…

Ja, bis eines Tages meine Großmutter starb.

Es war wohl ein schwerer Schock für meinen Großvater. Er redete kaum mehr, ging kaum noch aus dem Haus und pflegte den Garten nicht mehr mit so viel Liebe, wie er es einst getan hatte.

Auch er wurde älter. Und ich bemühte mich um ihn. Immer, wenn ich bei ihm war, und das geschah in seinen letzten Wochen oft, war da der vertraute Geruch und, obwohl ich schon über zwanzig Jahre alt war, die braune Papiertüte mit den süßen Krachmandeln, von denen mich jede einzige an meine Kindheit erinnerte, an meinen Großvater.

An einem warmen Spätsommerabend ging ich mit meinem Großvater zum Friedhof. Er hatte es sich gewünscht. Die letzten Jahre war er nie hingegangen, ich hatte das Grab meiner Großmutter gepflegt.

Er zitterte schon sehr und ich musste ihm in seinen Sonntagsanzug helfen.

"Wenn ich … ich Rosa be…suche, …m…m..muss ich doch gut aussehen, n…n..nicht wahr?" sagte er leise und heiser und versuchte zu lächeln.

Er stand lange vor ihrem Grab. Auf dem Grabstein stand:

Nicht du, nicht ich.
Nur wir.
Bis in alle Ewigkeit mein Mädchen,
für immer mein Gedanke.
Dein treuer Gockel

Bevor wir gingen, legte er ihr eine Tüte Krachmandeln neben das Grab. So komisch das klingen mag, aber es war ein erneuter Heiratsantrag. Damals, in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs, gab es fast nichts zu essen. Und doch hatte er eine Tüte mit Krachmandeln aufgetrieben und sie gefragt, ob sie die vielleicht mit ihm teilen wollte, und nachher vielleicht auch noch ihr Leben.

Er seufzte noch einmal:

"Mein Mädchen…"

Dann gingen wir langsam wieder nach Hause. Die Sonne ging langsam unter, und das erste Laub raschelte bereits leise bei jedem Schritt.

Er sagte nichts mehr, den ganzen Abend nicht, und ich beschloss, bei ihm zu bleiben. Vor dem Zubettgehen strich er mir noch einmal lächelnd über den Kopf, wie er es immer getan hatte, und auch ich lächelte ihn an.

Ich hatte immer noch die traurigen, zärtlichen Worte im Ohr: "Mein Mädchen…"

Am nächsten Morgen fand ich meinen Großvater tot im Bett auf. Er sah friedlich aus, fast, als würde er nur schlafen.

Ich war sehr traurig, doch tief in mir drinnen wusste ich, dass ich irgendwie längst darauf vorbereitet gewesen sein musste. Und ich bin mir sicher, auch er hatte gewusst, dass er nicht mehr viel Zeit haben würde.

In seinen Händen hielt er das alte vergilbte Hochzeitsfoto von meiner Großmutter und von ihm.

Und ich hörte ihn tief in mir drinnen sagen:

"Mein Mädchen…"

Und er lächelte und roch nach Rasierwasser, und auch ein bisschen nach Tabak.