Christine Enterpfarrer (17)

Sinn-los-treibend

Heute bin ich aufgewacht und ich fühlte mich wie gestern und wie den Tag davor. Fühlte nichts, und doch alles über mich hereinbrechend. Der Widerschein eines Menschen, der sein Leben der Suche nach der Wahrheit hingibt. Doch die Spiegelung hat sich auf ihrem Weg zu mir verzerrt; ich habe mich gelangweilt zurückgelehnt und meinen Ursprung vergessen. Ich kümmere mich nicht mehr um das Leben, das sich mir aufgedrängt hat. Ich meide langatmige Diskussionen über mein Leben und das Leben im Allgemeinen. Ich bin verwurzelt in einer atheistischen Erde, die zerfurcht ist, den Schmerz jedoch als solchen nicht anerkennen will.

Ich habe kein Verlangen mehr, das gestillt werden muss. Manchmal denke ich darüber nach, und das Denken wird zu meinem einzigen Zufluchtsort. Was würde sich verändern, wenn ich einfach die Luft anhalte, aufhöre, Luft in meine Lungen zu pumpen. Mein Körper würde sterben und auf keinen Schmerz mehr reagieren, und mein Geist, würde er sich meinem Körper unterordnen und mich ruhen lassen? Ein Kreis hat sich um meine Person gebildet, der darüber entscheidet, ob meine Sinne die Reize ihrer Umwelt wahrnehmen, oder nicht. Es ist nicht mehr wichtig, wer mich in diesen Kreis zurückgedrängt hat, oder warum. Es ist lediglich die Frage offen geblieben, ob ich diese Linien um mich übergehen kann. Vielleicht wäre es einen Versuch wert.

Mein tatenloser Körper ist es, der meinen Geist verdunkelt. Mein Wissen wird zu einem zaghaften Glauben, und mein Bewusstsein unterzieht sich einer scheinbaren Metamorphose. Meine Worte verlieren an Gewicht und Sinn. Ich wünschte, ich könnte mich zweiteilen, um herauszufinden, welcher Seite meines Ichs ich mich widmen soll. Doch ich fürchte, dass es nicht nur zwei Seiten gibt. Ich müsste mich zerstückeln, um mich dann erneut wie ein Puzzle zusammen zu setzen. Ich weiß jedoch von keinem Puzzle, dass sich selbstständig zusammensetzen kann.

Ich glaube, mein Leben ist auf Treibsand entstanden, und dieser fordert nun seinen Anteil. Eines ist sicher, dass er ihn eines Tages erhalten wird. Ich verbringe die Tage meist wartend, schließlich bleibt mir nichts anderes übrig. Vielleicht könnte ich dagegen kämpfen, in diesem Sand zu versinken, doch ich spüre, wie er bereits meine Knöcheln einbetoniert hat.

Könnte ich entkommen, wohin sollte ich, wenn rings um mich der Treibsand meine Flucht ausgeschlossen hat?

Ich müsste zuerst einen Boden sehen, der bereit ist, mich zu tragen, bevor ich mich auf den Weg mache.

Die Dunkelheit wird mir überdrüssig, doch dem Tag bin ich noch nicht gewachsen. In den frühen Morgenstunden sehe ich oft Fragmente meines Glaubens und meiner Überzeugungen, doch wenn die Flut des Lichts über das Land hereinbricht, überdeckt das Licht auch meine Augen und versiegelt sie.

Löst zugleich den Knoten, der das Fischerboot am Ufer hält. Das Boot treibt hinaus. Getragen von jeder einzelnen Welle. Erste schimmernde Tropfen sind zu sehen, die langsam durch das morsche Holz emporsteigen. Ein Sisyphus-Kampf auf offener See.

Das Ausschöpfen des Wassers erscheint mir zunehmend wie das Aushöhlen eines Kernes.

Ich fühle mich oft wie eine Knospe eines Kirschenbaumes. Der Frühling ist längst in das Land eingekehrt, doch ich bin noch immer fest verschlossen. Vielleicht nehme ich die Zeit anders wahr.

Der Zeiger springt eine Minute vor zwölf Uhr vor und zurück.

Z e i t l o s – t r e i b e n d – s i n n l o s