Kathrin Wolf (10)

Das kleine Gespenst

"Aufwachen! Aufwachen, sonst verschläfst du noch die ganze Nacht." Vergeblich versuchte die alte Eule, das kleine Gespenst Spuki aufzuwecken. Es öffnete kurz die Augen, schnarchte aber gleich wieder weiter. Da zupfte sich der Nachtvogel eine Feder aus und begann das Gespenst damit zu kitzeln. Endlich schwebte es aus der alten Kanne, die ihm als Bett diente. Verschlafen blinzelte Spuki die Eule an. "Warum weckst du mich denn? Ich habe gerade geträumt, ich wäre ein Mensch."

Die Eule legte ihren Kopf schief und fragte: "Was findest du denn so gut daran, ein Mensch zu sein?"

"Ach," meinte Spuki, " es ist einfach alles traumhaft. Hast du den Menschenkindern noch nie beim Spielen zugeschaut? Fast jeden Nachmittag haben sie immer viel Spass miteinander. Ich würde gerne einmal herausfinden, was all die Kinder am Vormittag machen. Bevor sie spielen gehen."

"Aber das kannst du doch," sagte die Eule und kicherte in ihre Federn hinein. Spuki hätte die Eule am liebsten zerquetscht vor Freude. Schnell riss er sich seine rote Schlafmütze vom Kopf und verschwand durch das Fenster der alten Hütte, in der er mit seiner Kanne wohnte.

Das Gespenst flog in die Stadt. Es suchte sich eine großes schönes Haus aus und schlüpfte durch ein Fenster im zweiten Stock. Im Zimmer entdeckte Spuki zwei schlafende Kinder. Er wartete geduldig, aber nach einer halben Stunde plumpste er auf den Boden und schlief ein.

Am nächsten Morgen standen Julia und Stefan – so hießen die Kinder – zeitig auf. Spuki schlief noch immer. Er wurde erst wach, als die Geschwister schon beim Frühstück saßen. Verwundert rieb sich das kleine Gespenst die Augen. Es dauerte eine Weile, bis es wusste, wo es sich befand. Gott sei Dank war Spuki für Menschen unsichtbar. Schnell flog er vom Kinderzimmer in die Küche.

Dort schnallten sich die Kinder gerade die Schultaschen auf den Rücken. Sie verabschiedeten sich von ihrer Mutter und verließen, von Spuki beobachtet, das Haus. Nach einer Weile gingen sie auf ein großes Haus zu. Gespannt schwebte Spuki hinter den Kindern in das Gebäude. Da läutete plötzlich irgend eine Glocke. Schnell liefen Julia und Stefan auf ihre Plätze. Da betrat ein Lehrer das Klassenzimmer. Er quatschte irgend etwas und verteilte beschriftete Blätter.

Nach einer Stunde hatte Spuki genug gesehen. Schnell huschte er wieder aus dem Fenster und flog zu seiner Hütte. Dort setzte er sich wieder die rote Schlafmütze auf und kroch in die Kanne.

"Na, wie war’s?" fragte die Eule.

"Ich hab’s mir überlegt," meinte das kleine Gespenst. "Ich möchte doch kein Mensch sein. Das ist mir viel zu anstrengend." Und schon fielen ihm die Augen zu.