Martina Gütl (12)

DAS RÄTSEL UM STURM

 

Ein roter Sportwagen Marke Ferrari schoss mit überhöhter Geschwindigkeit den Schotterweg, der gleichzeitig als Zufahrt zum Reiterhof Blauberger diente, entlang. Die Pferde, die gleich daneben auf der Weide grasten, hoben erschrocken ihre Köpfe, und hier und da konnte man leises wiehern hören.

Den Raser kümmerte das allerdings ziemlich wenig. Erst wenige Zentimeter vor der Hausmauer bremste er ruckartig seine Höllenfahrt ab.

Tina bekam den Lärm im Hof als erste mit. Sie striegelte gerade ihr Pony "Mary Poppins", das ebenfalls große Augen machte.

"He, was soll das, wollen sie hier alle Tiere komplett verstören?!" Jetzt stand sie, noch die Bürste in der Hand, vor dem verrückten Raser. Dieser trug, obwohl Hochsommer war, einen schwarzen Anzug, darunter ein weißes Hemd und einen Hut. Seine Augen konnte man auch nicht sehen, da diese von einer protzigen Machosonnenbrille verdeckt wurden.

"He, Kleine, weißt du, wo der Besitzer dieses Reiterhofes steckt?" Dieser Typ redete mit Tina, guckte aber in die entgegengesetzte Richtung.

Tina versuchte, sich zurückzuhalten: "Ich bin die Tochter! Sie können mit mir reden!"

"Mit einer 13-jährigen spreche ich nicht über Geschäfte! Also, wo ist dein Vater!?"

Dem Mädchen platzte entgültig der Kragen! "16, ich bin 16, nicht 13!!" schnaubte sie wütend. Was bildete sich dieser Mensch nur ein?

"Kind, was möchte der Herr denn?" Herr Blauberger trat hinter dem Stall hervor. In der Hand hielt er die Zügel von Sturm. Das schwarze Pferd, ein Vollblut, trat unruhig von einem Bein auf das andere. Leise wieherte es. Außer einem sternförmigen, weißen Fleck auf der Stirn war Sturm kohlrabenschwarz.

"Sind sie Herr Blauberger?" brummte der Mann.

"Höchstpersönlich, was liegt an?" Tinas Vater band Sturm schnell an einem Pfosten fest und kam dann näher.

"Verkaufen sie auch Pferde?"

"Natürlich, aber nicht dieses Schwarze, es hat bereits eine junge Besitzerin!" warf Tinas Vater schnell ein, als er bemerkte, wie der Mann Sturm anstarrte.

"Darf ich ihn mir trotzdem mal genauer ansehen?!"

Zur Antwort bekam er ein stummes Nicken.

Nun stand der Mann vor Sturm. Das Pferd schien irgendwie beunruhigt, als es ihn erblickte. Der Unbekannte nahm seine Brille ab und fuhr mit dem Zeigefinger über den Stern auf Sturms Stirn. "Du bist es also wirklich, du Mistvieh, das wirst du büßen!"

"Stimmt etwas nicht?" fragte Tina schnippisch.

Mit einem bösen Blick beäugte er Tina, stieg in sein Auto und brauste davon.

Herr Blauberger war kurz in den Stall gegangen und kam jetzt wieder zurück: "Wo ist denn der Mann? Ich denke er wo...!" Dann fiel sein Blick auf seine Tochter, die dem Ferrari stumm und kopfschüttelnd nachblickte, obwohl er längst schon hinter einer Kurve verschwunden war.

Schließlich konnte das Mädchen ja nicht ahnen, was vor sieben Jahren geschehen war.

 

Damals stand Herr Jakobinski in seiner gewohnten Arbeitskleidung neben der Koppel des Reiterhofes Stanzl. Er sah seiner 23-jährigen Tochter Maria zu, wie sie auf ihrem Lieblingspferd Napoleon ritt. Immer wieder schaute sie lachend zu ihrem Vater hinüber, der trotz extremer Hitze in einem schwarzen Anzug steckte. Auch der Hut war nicht gerade angebracht.

Doch dann fuhr ein Wagen mit einem Pferdeanhänger neben den Koppelzaun und blieb dort stehen. Lautes Wiehern drang an die Ohren der Anwesenden. Auch trat das Pferd kräftig gegen die Wände des Anhängers. Vier Stallburschen eilten herbei, um dem Fahrer zu helfen, dass Tier aus dem Anhänger zu ziehen. Frau Stanzl, die Besitzerin des Reiterhofes, zeigte ihnen die Box, in die sie den Hengst schafften. Er sollte nämlich hier zugeritten werden.

Nachdem das Auto wieder davongerollt war, gingen Herr Jakobinski, Frau Stanzl und Maria gemeinsam in den Stall, um sich das Tier genauer anzusehen.

"Wow, das sieht ja echt edel aus!" staunte Maria. Der Hengst war komplett schwarz, nur ein weißer Stern thronte auf seiner Stirn.

"Ja, er ist wirklich schön, und zureiten werden wir ihn auch noch. Nicht?"Frau Stanzl grinste Maria zu. "Du wärst mir eine große Hilfe, na? Willst du?"

"Darf ich wirklich helfen ihn zuzureiten? Oh klasse!!"Maria fiel der Besitzerin des Reiterhofes um den Hals.

"Ist das wohl nicht zu gefährlich? Ich meine ...!"mischte sich da Herr Jakobinski ein.

"Naja, doch Maria ist eine sehr erfahrene Reiterin, schließlich sitzt sie ja schon seit ihrem fünften Lebensjahr auf einem Pferd. Außerdem gibt’s da noch mich. Ihr wird nichts geschehen!"

"Aha!" murmelte der Mann, doch sein Gesicht zeigte die Angst, die er fühlte.

 

Ungefähr drei Monate später jubelte Frau Stanzl: "Ich denke, unseren Schwarzen kann man jetzt reiten. Maria, wir haben’s geschafft!" Nach vielen Wochen harter Arbeit war Sturm jetzt zahm und ein schönes und edles Reitpferd. Stolz blickte Maria auf ihn. Besonders der Name gefiel ihr. Es war ihr Einfall gewesen.

"Schau her, Papa!"schrie sie voller Übermut. Dann setzte sie ihren linken Fuß in den Steigbügel und schwang sich elegant auf den Rücken von Sturm. Leicht zog sie an den Zügeln und ritt die ersten Runden. Angespannt wie immer stand ihr Vater neben der Koppel. Alles schien glatt zu gehen, doch dann stellte sich der schwarze Hengst auf die Hinterbeine. Er schüttelte sich heftig und sprang hin und her. Maria stürzte zu Boden. Was war los? Warum drehte Sturm auf einmal durch? Wie verrückt trat er mit seinen Vorderbeinen auf Marias Brustkorb und Kopf ein. Herr Jakobinski bildete sich ein, die Knochen seiner Tochter richtig brechen zu hören. Ein paarmal schrie die junge Frau noch auf, dann blieb sie reglos liegen. Sie war tot.

 

Das alles lag jetzt schon sieben Jahre zurück. Nun hatte Herr Jakobinski Sturm durch einen Zufall wiedergefunden und sann auf Rache.

 

In dieser Nacht war plötzlich lautes Wiehern aus Sturms Box zu vernehmen. Eine Gestalt näherte sich ihm schleichend. Eine Spritze lag in seiner Hand, die in einem Gummihandschuh steckte. Der schwarze Hengst stellte sich auf die Hinterbeine, als würde er ahnen, was mit ihm passieren sollte.

Dieser Lärm ließ Tina aus ihrem Schlaf aufschrecken. Schnell zog sie sich einen Pullover über, schlüpfte in ihre Turnschuhe und rannte hinunter in den Hof. Sie musste einfach nach dem Rechten sehen.

"Was machen sie da?! Lassen sie sofort die Finger von Sturm! Halt!!"brüllte das Mädchen, als sie begriffen hatte, was die Gestalt vorhatte.

Augenblicklich ließ diese die Spritze fallen und stolperte aus Sturms Box, ganz zu Tinas Erstaunen.

Dann begann sie zu erzählen: "Das Vieh hat meine Tochter umgebracht, das Biest! Einfach zertrampelt, das arme Kind! Sieben Jahre sind seitdem vergangen. Jetzt nehme ich Rache!" Die Stimme wurde immer zittriger und schließlich versagte sie ganz.

Da warf der Mond seinen silbernen Strahl durch ein Fenster, und da erkannte auch Tina den Mann. "Sie?!" Sonst brachte sie nichts heraus.

Schließlich entschied sich Tina, Herrn Jakobinski ins Haus zu bitten, doch der verlor anscheinend die Nerven und rannte hinaus in die Nacht.

Das Mädchen sollte ihn nie mehr zu Gesicht bekommen.