Lara Skrabal (10)

Der Verrat

Laura ist neun Jahre alt und sehr gut in der Schule, vor allem in Mathematik. Sie hat zwei gute Freundinnen: Sarah und Lisa. In den Sommerferien ist Laura bei ihrem Onkel. Ihr Onkel ist in manchen Sachen etwas komisch, zum Beispiel hat er eine Alarmanlage bei Fenstern und Türen. Eines Tages, als sie vom Schwimmen nach Hause kam, hörte sie plötzlich Schritte. Zuerst glaubte sie, sie seien von ihrem Onkel oder ihrer Tante. Aber dann fiel ihr ein, dass beide noch in der Arbeit waren. Laura bekam es mit der Angst zu tun. Wer mochte das sein? Schnell verschloss sie ihre Zimmertür. Die Schritte hielten vor ihrem Zimmer inne. Sie hielt die Luft an. Dann überwand sie sich und spähte durch das Schlüsselloch.

Sie erschrak so, als ihr ein Auge entgegenblickte, dass sie voller Panik laut aufschrie. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Da dachte sie an das Fenster. Schließlich war ihr Zimmer im ersten Stock. An der Hauswand lehnte zum Glück Onkels Leiter. Sie kletterte hinunter.

Da stand plötzlich ihr Onkel vor ihr und wollte wissen, was sie da trieb. Laura erzählte ihrem Onkel schnell, was passiert war. Ihr Onkel meinte: »Ach Unsinn! Wie sollte denn wer bei uns einbrechen? Wir haben doch eine Alarmanlage! Die ist vollkommen sicher!« Mit diesen Worten ging er zurück ins Haus.

Laura folgte ihm und verzog sich in ihr Zimmer. Sie wollte Sarah anrufen und ihr alles erzählen. Als sie alles berichtet hatte, fragte Sarah: »Wie viele Leute wissen denn den Code der Alarmanlage?«

»Onkel Martin, Tante Alexandra und ich«, erwiderte Laura.

Dann wollte Sarah wissen: »Wer war zu Hause, als der Einbrecher im Haus war?«

»Ich dachte, ich sei alleine, aber als ich aus dem Fenster geklettert war, waren Onkel und Tante schon zu Hause.«

»Wie ist der Einbrecher eigentlich wieder aus dem Haus gekommen?«, fragte Sarah.

»Ich weiß es nicht, aber ich vermute, er ist wie ich aus dem Fenster geklettert«, überlegte Laura.

»Das könnte zutreffen!«, bestätigte Sarah und fügte hinzu: »Halt die Augen offen! Ich muss jetzt auflegen. Es gibt jetzt Essen. Tschüss!«

»Tschüss!«, erwiderte Laura und ging ebenfalls zum Essen.

Beim Essen redete keiner ein Wort. Plötzlich unterbrach Laura die Stille und fragte: »Habt ihr etwas Wertvolles im Haus?«

Onkel und Tante sahen sich an. Eine Minute später antwortete ihre Tante: »Ja! Eine einzige Sache. Ein Bild. Es ist ungefähr 100 000 Euro wert.«

»100 000 Euro! Das ist aber viel!«, staunte Laura.

Am nächsten Morgen klingelte das Telefon. Laura hob ab.

Sarah war am Telefon und fragte: »Hast du irgendetwas über den Einbrecher herausgefunden?«

»Nein, leider nicht. Aber ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn Lisa und du zu mir kommen würdet«, schlug Laura vor.

»Tolle Idee. Ich rufe gleich Lisa an. Also bis dann. Tschüss«, verabschiedete sich Sarah.

Laura lief sofort zu ihrem Onkel und fragte, ob Sarah und Lisa zu ihr kommen dürften.

Ihr Onkel meinte: »Das muss ich zuerst mit deiner Tante besprechen, aber ich denke, das wird schon klappen. Wann würden sie denn kommen?«

»In einer Woche«, antwortete Laura ihrem Onkel.

Am nächsten Tag ging Laura mit Freunden ins Schwimmbad. Als sie gerade vom Drei-Meter-Brett springen wollte, sah sie einen Mann, der genau so stechende Augen hatte, wie der Mann, der bei ihrem Onkel eingebrochen war. Laura beobachtete ihn verstohlen, konnte aber nichts Auffälliges entdecken.

Als sie wieder zu Hause war, empfingen sie bereits Sarah und Lisa. Erstaunt blickte Laura die beiden an und fragte verwundert: »Warum seid ihr schon hier und seit wann?«

»Wir dachten uns, es würde dir nichts ausmachen, wenn wir früher kommen würden. Also riefen wir deinen Onkel an und fragten ihn, ob wir kommen könnten. Er sagte ›Ja‹«, antwortete Lisa.

»Wieso habt ihr denn nicht mich angerufen?« Ein wenig Vorwurf klang in ihrer Stimme mit.

»Es sollte eine Überraschung werden!«, meldete sich Sarah zu Wort.

Sie gingen in Lauras Zimmer.

Laura erzählte ihnen von dem Mann, den sie im Schwimmbad gesehen hatte.

Da fragte Lisa: »Bist du dir ganz sicher, dass er es war?«

»Absolut sicher!«, antwortete Laura.

»Wie konnte der Einbrecher überhaupt ins Haus gelangen?«, fragte Sarah.

»Ich weiß es nicht. In drei Tagen veranstaltet mein Onkel ein Fest. Vielleicht können wir da mehr erfahren.«

»Glaubst du, es ist ein Freund deines Onkels?«, fragte Lisa verwundert.

»Könnte doch sein!«, antwortete ihr Laura.

Die nächsten Tage verliefen ohne weitere Zwischenfälle, bis der Tag des Festes gekommen war. Um elf Uhr kamen die ersten Gäste. Laura, Lisa und Sarah standen neben der Eingangstüre und empfingen gemeinsam mit Lauras Onkel die Gäste. Da kam ein Mann. Besser gesagt, »der« Mann, den Laura im Schwimmbad gesehen hatte. Da fragte auch schon Lisa: »Ist das nicht der Mann, den du im Schwimmbad gesehen hast?«

»Ja, das ist er«, bestätigte Laura.

»Ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn wir ihn beschatten würden?«, überlegte Sarah.

»Gute Idee«, meinte Lisa.

»Kommt! Der Mann geht auf das Bild zu!«, meldete sich jetzt Laura zu Wort.

Sie folgten dem Mann, der direkt auf das Bild zuhielt. Aufmerksam musterte er es, dann wandte er sich an Lauras Onkel, der gerade auf ihn zukam. Sie begrüßten sich, und dann fragte der Mann beiläufig: »Wie viel ist denn das Bild wert?«

Nach einer Weile antwortete ihm der Onkel: »Warum willst du das wissen, Anton?«

»Ach, du weißt doch, dass ich gerne Bilder sammle«, antwortete Anton gleichgültig.

»Wenn du es unbedingt wissen …«

Da klingelte das Handy von Anton. Er ging hinaus, und die Mädchen folgten ihm unauffällig.

»Was glaubt ihr denn, wer ihn angerufen hat?«, wollte Laura wissen.

»Keine Ahnung!«, antwortete ihr Sarah.

»Kommt jetzt endlich!«, mischte sich Lisa ein.

Anton sprach ganz leise, sodass sie nur ein paar Satzfetzen verstanden. »Heute Nacht greif ich zu … halt dich bereit …« Den Rest des Gespräches konnten die drei Mädchen nicht verstehen.

»Vielleicht hat er gemeint, dass er heute das Bild stiehlt?!«, überlegte Lisa, als der Mann das Telefonat beendet hatte.

»Glaub ich auch«, stimmte ihr Laura zu.

»Ich schlage vor, wir bewachen heute Nacht das Bild«, sagte Sarah.

Das Fest endete um neun Uhr. Als endlich die letzten Gäste gegangen waren und Onkel und Tante schliefen, schlichen sich die drei Mädchen in den Gang, an dem Schlafzimmer von Onkel und Tante vorbei, die Stiege hinunter durch das Esszimmer ins Wohnzimmer, wo das Bild hing. Dort angelangt, versteckten sie sich hinter dem Sofa, das gegenüber von dem Bild stand.

Die Stunden vergingen nur sehr langsam. Plötzlich hörten sie ein Geräusch. Ein Schatten huschte vorsichtig zum Wohnzimmer. Als er direkt vor dem Bild stand, fiel durch ein Fenster das Mondlicht herein auf das Gesicht des Mannes, der unverkennbar Anton war. Anton nahm das Bild von der Wand. »Was sollen wir jetzt machen?«, wollte Laura wissen. Lisa kam nicht einmal zu ihrer Antwort, denn Sarah sprang aus dem Versteck und versuchte, Anton das Bild aus der Hand zu reißen. Anton flüchtete und Sarah lief ihm hinterher.

»Komm, wir folgen ihnen«, forderte Laura Lisa auf.

Die beiden liefen Anton und Sarah nach. Da stieß Lisa plötzlich mit einem Mann zusammen. Der Mann schrie auf, und es fiel ein bisschen Licht auf sein Gesicht, das sehr düster aussah. Laura blieb stehen und rief erschrocken: »Das ist bestimmt der Komplize von Anton!«

»Wo ist Anton?«, blaffte sie der Mann an.

»Warum sollen wir Ihnen das sagen?« entgegnete ihm Laura.

»Weil ich sonst deine Freundin mitnehme und in ein Verlies stecke!« Er packte Lisa bei den Armen.

Da ging Laura ein Licht auf, und sie sagte mit gespielter Angst: »Er ist in den Keller gerannt. Dort befindet sich eine Geheimtür, in die er hineingelaufen ist. Um die Geheimtür zu öffnen, müssen Sie aber erst den Stein finden, mit dem man die Tür öffnet.«

Der Mann lies Lisa los und rannte in den Keller.

»Du hast gelogen, stimmt es?«, fragte Lisa erleichtert.

»Stimmt, aber komm jetzt! Oder … Warte einmal! Wir schließen ihn im Keller ein!«, überlegte Laura.

Die Mädchen liefen zur Kellertür und sperrten ab. Sarah lief, so schnell sie konnte, Anton hinterher. Sie war ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich fiel er zu Boden, und das Bild flog aus der Hand. Sarah fasste ruckartig nach dem Bild, stolperte dann aber über das Bein Antons, stürzte zu Boden und verlor das Bewusstsein.

Lisa und Laura waren den beiden nachgelaufen und fielen nun im Dunklen über den reglos daliegenden Anton. Lisa suchte nach ihrer Taschenlampe, schaltete sie ein und half Laura auf. Sie leuchtete den Boden ab und sah Anton und Sarah, die das Bild in den Händen hielt. »Hast du eine Trinkflasche mit, Laura?«

»Klar. Da bitte.« Laura reichte Lisa die Trinkflasche. Lisa schüttete das Wasser über Sarahs Gesicht, und Sarah öffnete die Augen. Nachdem sich Sarah gefangen hatte, meinte sie: »Wir haben zwar das Bild, aber keinen Beweis, dass es Anton gestohlen hat.«

»Da irrst du dich!«, rief Laura. »Als wir dir nachgelaufen sind, ist Lisa mit dem Komplizen von Anton zusammengestoßen. Er wollte wissen, wo Anton ist. Ich habe ihm gesagt, er sei im Keller. Daraufhin haben wir ihn im Keller eingeschlossen.«

»Außerdem habe ich ein Foto von Anton gemacht, als er das Bild von der Wand genommen hat!«, fügte Lisa hinzu.

»Super!«, freute sich Sarah.

Sie liefen zurück ins Haus und weckten Lauras Onkel. Sie erzählten ihm die ganze Geschichte. Er konnte es kaum glauben und war sehr enttäuscht, dass sein Freund so etwas gemacht hatte. Sie riefen die Polizei an, welche drei Minuten später vor Ort war.

Die drei Mädchen berichteten kurz, was passiert war, und zeigten das Foto her. »Wir haben aber noch ein Beweisstück! Kommen Sie! Ich zeig es Ihnen«, forderte Laura den Polizisten auf.

Sie gingen in den Keller. Dort saß der Komplize von Anton. Er und Anton wurden festgenommen und abgeführt. Das Bild nahm die Polizei auch mit, um es nach Fingerabdrücken zu untersuchen.

»Wie seid ihr denn auf Anton gekommen?«, fragte der Onkel, und auch der Polizist sah sie fragend an.

»Das ist lange Geschichte!«, meinte Lisa.

Sie erzählten nun vom ersten Einbruch, von dem Mann im Schwimmbad, von dem Fest und schließlich von der Nacht.

Als sie fertig waren, sagte der Polizist: »Keine schlechte Leistung! Gratuliere!«

Zwei Tage später beim Frühstück las Sarah die Zeitung. »Seht mal! Der Bericht handelt von Antons Diebstahl. Übrigens, was Anton und seinen Komplizen betrifft: Sie haben schon mehrere Verbrechen gemacht und müssen jetzt für drei Jahre ins Gefängnis.«

Die drei Freundinnen bekamen eine Belohnung von der Polizei und feierten am nächsten Tag ein großes Fest.