Antonia Willemsen (10)

Abenteuer in der Steinzeitsiedlung

»Puh, habe ich einen Hunger!«, meinte Moja, das kleine Mädchen aus der Steinzeitsiedlung. »Ich habe es satt, immer nur von Wurzeln und Nüssen zu leben!«

»Halte den Mund!«, knurrte ihr Vater, der gerade einen Speer schnitzte. »Wir können doch auch nichts dafür, dass wir seit Tagen nichts mehr gejagt haben!«

Man sah ihm an, dass ihn Mojas ständige Nörgeleien nervten.

»Siehst du deine Mutter dort an der Feuerstelle? Und siehst du auch das Stück Fleisch, das darüber hängt? Ich weiß, es ist das erste Stückchen Fleisch, das du seit Wochen bekommst, aber trotzdem muss es für uns alle reichen«, meinte Kroxa, der Stammesälteste zu Moja. »Deswegen werden wir alle nur ein kleines Stück bekommen.«

Zuzi, der beste Freund von Moja, wachte gerade auf. »Man, Leute, habt ihr auch so einen Hunger?«, rief er.

Moja nickte.

Die Männer seufzten.

»Schau mal da, über dem Feuer!«, rief Zuzis Vater.

Dem lief das Wasser im Mund zusammen. »Hasenfleisch! Genau das Richtige für meinen leeren Magen!«, rief er. Schon stürzte er zur Feuerstelle.

»Zuzi!«, rief sein Vater streng. »Du wirst doch wohl warten, bis wir alle zusammen essen!?«

Seufzend setzte sich Zuzi wieder hin. »Klar doch, Vater!« Sein Magen sagte zwar etwas anderes, aber er hatte seinem Vater zu gehorchen.

Als Zuzi erfahren hatte, dass er nur ein kleines Stückchen Fleisch bekommen würde, setzte er sich in eine Ecke und schmollte. Da spürte er eine Hand auf seinem Rücken. Als er sich umdrehte, erblickte er seine Mutter.

»Ich bin genauso hungrig wie du«, flüsterte sie. »Aber durch Schmollen kommen wir nicht weiter. Male lieber etwas an die Höhlenwand! Das bringt den Männern morgen bei der Jagd Glück!«, meinte sie. »Das hoffe ich jedenfalls«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu.

»Aber ich will morgen mit auf die Jagd!«, rief Zuzi.

Als sein Vater das hörte, kam er zu ihm und meinte: »In drei Jahren wird deine erste Jagd sein. Doch jetzt bist du noch zu klein!«

Zuzi stand auf. Statt einfach nur in einer Ecke herumzusitzen, wollte er den Rat seiner Mutter befolgen. Also fing er an, Jagdglück an die Wände zu malen.

Plötzlich trat jemand zu ihm. Es war Moja. »Glaubst du wirklich, dass dieses Gekritzel was bringt?«, fragte sie.

Zuzi zuckte mit den Schultern.

»Ich habe eine Idee. Lass uns morgen selbst auf die Jagd gehen«, flüsterte Moja.

Zuzi schaute sie mit großen Augen an. »Und du meinst – das geht?«, hauchte er.

»Klar«, meinte Moja. »Wir müssen nur ganz früh aufstehen, um vor den anderen Männern weg zu sein.«

Zuzi bekam den Mund nicht mehr zu. Es war schon immer sein großer Traum gewesen, eine Jagd mitzuerleben. Aber so ganz ohne Erwachsene …

»Was ist jetzt?«, drängte Moja.

Zuzi holte tief Luft. »Okay!«


Der nächste Morgen kam. Zuzi hatte in der Nacht kein Auge zu getan. Umso müder war er, als Moja ihn früh morgens vom Lager schubste.

»Heute ist der große Tag!«, flüsterte sie. »Komm!«

»Aber ich habe noch nichts gegessen!«, flüsterte Zuzi.

»Schlaumeier, ich auch nicht!«, meinte das Mädchen, »Wir werden essen, wenn wir das erste Fleisch erlegt haben!«

Zuzis Magen zog sich zusammen. »Na das kann ja lange dauern!«, flüsterte er.

»Jetzt quatsche nicht, sondern komm! Wir müssen los, bevor die Männer erwachen!«, flüsterte Moja zurück.

Lustlos schlurfte Zuzi aus dem Zelt. Davor wartete schon Moja. Sie drückte dem verschlafenen Jungen einen Speer in die Hand und schlich los. Zuzi schlurfte hinterher.


Nach zwei Stunden hatten sie immer noch keine Spur von einem Stück Fleisch. Moja und Zuzi beschlossen, sich zu trennen und allein nach Tieren zu suchen. So war die Chance größer, dass sie etwas fänden.

Nachdem Moja eine ganze Weile erfolglos herumgeirrt war, beschloss sie, wieder zu Zuzi zurückzukehren. Denn selbst wenn sie etwas finden würde, sie würde sich nie und nimmer trauen, es allein zu erlegen. Also kehrte Moja um.

Zuzi lief eine ganze Weile herum, doch er fand kein einziges Tier. Mutlos setzte er sich auf den Boden. Doch plötzlich spürte er heißen Atem im Nacken. Blitzschnell stand er auf, drehte sich – und stand plötzlich einem riesigen Büffel gegenüber. Seine Knie wurden weich, er schluckte. So hatte er sich die Jagd nicht vorgestellt. Auge in Auge gegenüber mit einem Büffel! Zuzi dachte an sein Zuhause, und dass er alle seine Freunde – und überhaupt alle, die er kannte – nie mehr wieder sehen würde, wenn jetzt nicht ein Wunder geschähe. Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters. »In drei Jahren wird deine erste Jagd sein. Jetzt bist du noch zu klein dafür!« Ja, sein Vater hatte Recht gehabt. Ein richtiger Jäger durfte keine Angst vor dem Gegenüber mit einem Büffel haben. Aber er hatte Angst. Zuzi sank auf den Boden. Er wollte nur noch in Ruhe sterben. Doch es passierte nichts. Langsam hob Zuzi den Kopf. Er beobachtete, wie der Büffel ihn ansah und nichts tat. Nun hob Zuzi den Speer. Der Büffel erschrak und sah ihn traurig an. Gerade wollte Zuzi den Speer werfen, da bemerkte er den traurigen Blick des Büffels. Er senkte den Speer wieder und erinnerte sich an die Augenblicke zuvor, als er traurig am Boden gesessen hatte, dem Büffel gegenüber, und als der Büffel ihn jeden Moment hätte töten können. Aber er hatte es nicht getan. In genau so einer Lage war der Büffel jetzt. Zuzi konnte ihn jeden Moment töten. Aber er tat es nicht. »Wie du mir, so ich dir!«, flüsterte Zuzi. Er warf den Speer auf den Boden und ging langsam auf den Büffel zu. Schließlich streichelte er ihn sogar. Dann scheuchte er ihn in die Wildnis hinaus.

Kurz darauf kam Moja auch schon angelaufen. Beide erzählten sie sich von ihrem Misserfolg. Zuzi beschloss, Moja erst einmal nichts von seiner merkwürdigen Begegnung zu erzählen. Stattdessen gingen die beiden erfolglos nach Hause.


Auf dem Rückweg plauderten Moja und Zuzi ausführlich. Doch plötzlich entdeckte Zuzi wieder den Büffel, dem er vorhin schon einmal begegnet war. Auch Moja entdeckte ihn. Langsam hob sie den Speer. Doch Zuzi stellte sich schützend vor den Büffel.

»Nein, Moja! Er ist mein Freund! Ich bring dich doch auch nicht um, oder?«, rief er.

»Aber Zuzi! Dein Freund‹ könnte einige aus unserem Lager vor dem Hungertod bewahren«, meinte Moja voller Zorn und holte zum Speerwurf aus.

Zuzi reagierte. Er stieß Moja zu Boden und drehte sich dann um: »Lauf, mein Freund! Lauf! Und pass auf, dass du nicht mehr in diese Gegend kommst! Hier ist es gefährlich für dich!«, rief Zuzi und scheuchte den Büffel wieder in die Wildnis hinaus.

»Was hast du getan!«, schrie Moja zornig. »Es wäre das erste Fleisch seit Wochen für uns gewesen!«

»Würdest du mich töten, wenn du kurz vor dem Verhungern wärst? Außerdem haben wir genug zu essen! Du hast nur keine Lust, von Pflanzen zu leben!«, schrie Zuzi ebenso zornig und lief allein nach Hause.

Moja folgte mit Abstand.


Im Lager wurde Zuzi glücklich in die Arme geschlossen. Verlegen musste er jedoch gestehen, dass er nichts gejagt hatte. Aber das interessierte die Frauen wenig. Kurz darauf kam auch Moja angelaufen. Auch sie wurde glücklich umarmt.

Bald kamen die Männer von der Jagd zurück. Sie hatten ein Wildpferd erlegt. Das Abendessen wurde ein Festessen. Allen schmeckte es gut.

Nach dem Essen kam Moja noch einmal zu Zuzi: »Warum ist er denn dein Freund?«, fragte sie schüchtern.

Zuzi erzählte ihr die Geschichte, wie er dem Büffel gegenüber gestanden hatte.

»Jetzt verstehe ich, dass du ihn schützt. Wollen wir wieder Freunde sein?«

Zuzi nickte.

Moja umarmte ihn. »Nun komm aber mit hinaus! Draußen wird ein Fest für den Jagdgott gefeiert, da er uns heute mit Jagdglück beschenkt hat. Komm!«, rief Moja, und es wurde ein toller Abend.