Micaela Campora (10)

Die Prüfung

»Nein, sie riecht eindeutig nach Mensch!«, fauchte Mi, die Beraterin. »Aber …«

»Stimmt, ihr Geruch gleicht dem eines normalen Menschen«, miaute Kiki, die Königin der Katzen.

»Es sieht sehr kritisch für dich aus, Karin«, sagte Kalle, der Minister. Er war ein Siamkater und dachte immer sehr negativ.

»Ach, Miezen, ich schwöre es euch!« Karin war verzweifelt und hilflos. Das Mädchen dachte, es wäre eine weiße graugefleckte Katze, die in ein Menschenkind verzaubert worden war, und wollte in die katzonische Gemeinde aufgenommen werden. Auch als Mensch.

»Ich schlage vor«, giftete die gemeine Mi, »wir unterziehen sie morgen einer Prüfung!«

Mis Freundin Kora miaute zustimmend und funkelte Karin mit ihrem grünen Auge böse an. Ihr anderes Auge hatte ihr ein Junge zum Spaß ausgekratzt. Deshalb weckte Karin, weil sie ein Mensch war, in ihr Misstrauen.

»Seid nicht so gemein zu ihr«, rief Lena, eine graue, pelzige Katze mit graublauen Augen. »Nicht alle Menschen sind katzenfeindlich, Kora!« Dann, an Mi gewandt, fauchte sie: »Mi, ich kann nicht verstehen, warum du dich so gegen Karin stellst. Das ist doch absolutes Hundeverhalten! Vielleicht wolltest du Kora so helfen, aber das ist die falsche Art dazu! Ich weiß, wie herrschsüchtig du bist, ich hatte dich schon lange durchschaut! Und ich glaube, Karin hat das auch getan, sie würde die Sache in Ordnung bringen und Kora das Misstrauen nehmen.«

»Lena, lass mich weiterreden!«, miaute Kiki wütend.

»Nein!«, kreischte Lena, fletschte die Zähne und sträubte das Fell. »Kiki, ich will, dass du Karin ohne Prüfung einweihst, sie als neue Beraterin anstellst und Mi zu den Hunden schickst, damit sie sie zerfleischen!«

Mi sprang auf Lena los. Sie riss ihr ein Fellbüschel aus, biss sie in den Nacken und verpasste ihr einen Kratzer auf der Schnauze.

Karin warf sich zwischen sie und rief: »Nein! Hört auf! Hört sofort auf!«

Kiki wusste nicht, was sie tun sollte, und bat den Minister um Hilfe: »Kalle, so hilf mir doch, trenne sie, halt sie mit den Zähnen im Nacken fest, droh ihnen mit Tod durch Hunde, wenn sie nicht aufhören!«

Kalle blieb fellsträubend stehen. Seine Tasthaare zitterten, weil sie Gefahr witterten. »Nein, Kiki, ich traue mich nicht,« brachte er zögernd hervor.

»Ach, Kalle, es ist hoffnungslos mit dir! Du bist so dumm, du Angsthase! Nun gut, ich versuche, es für alle gerecht zu machen. Mi, Lena, hört auf! Karin wird sich morgen der Prüfung unterziehen müssen.«

Mi schnurrte genüsslich, als sie das hörte. »Wenn sie die Prüfung lebendig besteht, wird sie in die katzonische Gemeinde aufgenommen. Doch wenn sie durchfällt, wird sie als natürlicher Mensch den Hunden zum Fraß vorgeworfen, und der Schutz der Katzengöttin Miaufauchia wird ihr in einer Zeremonie abgenommen.«

Jetzt verließen alle Katzen samt Karin die leere, eiskalte Gasse, in der die Zusammenkunft stattgefunden hatte.

Karin konnte zuhause nicht schlafen. Sie musste dauernd an die feindselige Mi und ihre einäugige Anhängerin Kora denken. Ihr tat die durch den Kampf verunstaltete Lena so leid. Kalle versaute ihr mit seiner negativen Art ständig die Stimmung, und die arme Kiki war durch die Widersprüche Mis und Koras überfordert.


Nun war die Nacht der Prüfung gekommen. Alle Katzen leckten sich angestrengt sauber. Besonders Mi putzte sich heraus, da sie sich sicher war, dass Karin verlieren würde. Als Kiki alle Katzen zusammenmiaute, trippelten sie aufgeregt zu ihr hin. Nur Kalle blieb traurig kreischend in einer dunklen Ecke sitzen und sang trauernd davon, dass Karin verlieren würde.

Kiki begrüßte die Katzen: »Liebe hier versammelte katzonische Gemeinde, liebe Karin und auch lieber Kalle da hinten, heute ist die große Nacht. Die Sterne scheinen es auch zu wissen, denn sie leuchten für uns. Möge uns, für diese wichtige Prüfung, Miaufauchias Schutz behüten. Lasst uns nun zur großen Göttin, unserer Miaufauchia, beten. Karin nicht, denn sie ist ja noch nicht aufgenommen. Kalle, bete, sonst verlässt dich unserer Göttin Schutz! Und höre auf zu heulen wie ein Hund, ein geheultes Gebet erhört Miaufauchia nicht. Sie steht nur zu Katzen und nicht zu Hunden, die wie verrückt heulen.«

Ein ohrenbetäubendes, wehmütiges Kreischen erklang.

Als das Katzengebet zu Ende war, begann Kiki wieder zu miauen: »Nun, Karin, trete vor.«

Karin ging nach vorn.

»Die erste Disziplin dieser Prüfung heißt Katzenkreischen. Mache mir nach.« Kiki ließ wieder ein Kreischen von sich ertönen, allerdings ein volleres, erfreulicheres und mutigeres Kreischen.

Karin versuchte es nachzumachen. Es misslang aber kläglich. Es wurde ein schiefes, kratzendes Schreien.

Kiki wurde traurig, als sie es hörte. Sie hatte gehofft, dass Karin wenigstens die erste Disziplin schaffte. Mi und Kora fauchten leise und schadenfroh. Lena senkte niedergeschlagen den Kopf. Kiki seufzte. Ihre grünen Augen wurden feucht.

»Nun ja … Karin, die zweite Disziplin … bist du bereit?«

»Ja, Kiki, ich bin bereit«, murmelte Karin, durch ihre erste Niederlage entmutigt.

»Die zweite Disziplin besteht darin, zu miauen.«

»Oh«, ließ Karin ertönen. Dann lag ihr die Scham schwer auf den Schultern.

»Komm schon, Karin, wenigstens ein einziges kurzes Katzenmiauen«, miaute Kalle leise, der inzwischen auch dazugekommen war. Er hatte sich heiser geweint, weshalb er nicht gerade ermutigend klang.

Zur Probe summte Karin. Nein, es klang zu menschlich. Es musste aus der Kehle kommen. Es wurde eine Mischung aus Kreischen und Summen.

Mi freute sich zwar, dass es misslang, aber sie hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten.

»Karin«, sagte Kiki. »Die dritte Disziplin ist Katzenfutter zu essen. Wie du weißt, sind wir alle Hauskatzen. Wir lieben das Futter, das uns die Menschen geben. Du hast die Wahl zwischen drei Marken: Katzischmeck, Schleckercat oder Fischischleck

»Du hast die Qual der Wahl!«, kreischte Kora, und es ähnelte einem mit Schreien vermischten Lachen.

Karin seufzte und blickte Kora und Mi kalt an. Sie wählte Katzischmeck. Vielleicht würde diese Marke auch ihr schmecken. Karin öffnete die Dose. Es roch schon ekelhaft, doch sie überwand sich. Sie wollte unbedingt in die katzonische Gemeinde aufgenommen werden, auch wenn sie ein Mensch war. Sie reckte die Zunge zögernd hervor.

Kora miaute lauthals: »Sieh nur, Kiki, nicht mal ihre Zunge ist eine Katzenzunge!«

Mi fauchte tückisch: »Sie soll die ganze Dose leer essen, dann werden schon alle sehen, dass sie keine verzauberte Katze ist!«

Lena packte wieder Wut. »Mi, Kora! Ihr seid solche falschen Hunde! Ihr seid Hunde, die in Katzen verwandelt wurden!« Mit einem kämpferischen Fauchen stürzte sie auf beide Katzen los.

»Stopp! Ich will nicht wieder Verletzte!«, kreischte Kiki verzweifelt.

Doch es war zu spät. Lena hatte Kora das einzige Auge, das sie noch hatte, ausgekratzt. Mi biss Lena ein Ohr ab. Kora hatte Lena einen gewaltigen, blutigen Kratzer in den Kopf geschlagen. Mi fehlte die Spitze des Schwanzes. Kiki fing an zu weinen. Das ganze Unglück brach über ihr zusammen.

Als sie sich wieder beruhigte, sagte sie: »Nein, sie muss nur einmal kosten.«

Karin begann langsam, die braune Soße von den rohen Sardellen zu schlecken. Sie schmeckte eigentlich ganz okay. Nach Bratensoße. Vielleicht lag das daran, dass sie sich so stark einbildete, eine Katze zu sein. Von der Soße angelockt, biss sie in eine Sardelle. Das hätte sie lieber nicht tun sollen, es war so ekelerregend, dass sie Brechreiz bekam.

Triumphierend rief Mi: »Lecker, lecker, nicht wahr, Karin? Haha!«

Karin versuchte, sich zu beherrschen. Am Ende gelang es ihr endlich.

»Nun, Karin, ich glaube, es war nicht so überzeugend«, miaute Kiki traurig. »Es tut mir Leid. Aber du kannst keine Katze sein.«

Sie wurde nun, unter Tränen, zu den Hunden gebracht, die sie fressen sollten. Karin musste über ein Gitter in das Gehege springen, in dem sich die Hunde befanden. Es waren Schäferhunde. Karin fand sie eigentlich ganz süß. Sie sprangen schwanzwedelnd auf sie zu. Sie mochten Karin.

»Seltsam«, sagte Mi. »Eigentlich sind sie immer ganz wild darauf, Menschen zu zerfetzen.«

Es halfen keine Kommandos, die Hunde bissen Karin nicht ein bisschen. Und als Mi und Kora aufgaben und Kiki Karin nach Hause schickte, folgten sie ihr. Schließlich wurde festgelegt, dass Karin verschont werden sollte. Kora und Mi wurden in einer feierlichen Zeremonie wegen Menschenfeindlichkeit ausgestoßen. Karin war jetzt zufrieden. Ihre neuen Lieblingstiere waren die Schäferhunde, die sie eigentlich hätten zerfleischen sollen. Immer wenn sie die Katzen besuchte, begrüßten die Hunde sie fröhlich.