Petra Erdely (12)

Fernab der Zivilisation

Conny freute sich schon sehr auf den Spaziergang im Büdinger Wald mit ihrem neuen Freund Tom.

Endlich war es so weit. Die beiden Studenten wanderten los. Nach einer Weile verließen sie den Weg, um ein Picknick zu machen. Dabei verirrten sie sich im Dickicht.

»Tom, es wird schon dunkel! Was machen wir jetzt bloß? Oh Gott!«, rief Conny und streckte flehend ihre Arme gegen den Himmel.

»Mir wird schon noch etwas einfallen.«, antwortete Tom, der schon etwas weiter gegangen war, »Hysterisch werden bringt nichts.«

»Willst du etwa sagen, ich sei hysterisch! Du flippst ja immer gleich aus«, schrie Conny hitzig.

Tom legte einen Finger auf den Mund und deutete auf den Boden. Das hieß soviel wie: »Sei still und schau hinunter«. Da waren Fußspuren am Boden zu sehen! Gespannt folgten die beiden den Spuren und vergaßen vor lauter Aufregung zu streiten.

»Da, da ist ja Musik!«, stammelte Tom nach einer Weile. »Also ich hör nix«, schrie Conny und schien das Kriegsbeil wieder ausgraben zu wollen. Doch Tom hörte nicht auf sie und schob einen Ast vor ihnen beiseite.

Sein Atem stockte. Connys Herz begann zu hämmern. Da war ein Dorf mitten im Wald!

»Jetzt sind wir gerettet! Wir gehen zu ihnen, suchen uns ein Hotel, übernachten dort und fahren morgen nach Hause. Am Abend muss ich aber noch mit Mutti telefonieren, ja?«, meinte Conny und lächelte.

Tom war davon zwar nicht besonders angetan, denn er wollte sofort nach Hause, doch er gab nach. Bis jetzt hatten sie nur ein Holzhaus von hinten gesehen. Also kämpften sie sich weiter durch das Geäst, bis sie an dem Haus angelangt waren. Dann liefen sie in die Richtung, aus der die Musik kam.

»Ein Dorfplatz! Und was für einer! Ich komme mir ja vor, wie in einem alten Schwarz-Weiß-Film. Da sind Holzhäuser mit prunkvollen Fassaden und ein goldener Springbrunnen … Und schau einmal da, da sind sogar goldene Blumen!«, rief Conny begeistert. Es gab auch goldene Bänke und Tische. »Ich glaube wir sind in der Stadt Eldorado des Büdinger Waldes!«, antwortete Tom.

Plötzlich klopfte ihm ein rosafarbener Schirm auf die Schulter. Erschrocken drehte er sich um. Zuerst hatte er gedacht, es wäre Conny gewesen, doch die stand ja vor ihm! Er blickte in ein blasses Gesicht mit roten Punkten auf den Wangen, hellen Augen und einem dunkelroten Mund. Die Dame, die vor ihm stand und ihren Schirm in seinen Magen bohrte, hatte außerdem noch ein dunkelrotes Kleid mit tausend Rüschen, Glitzerknöpfchen und Maschen an – und alle natürlich aus Gold.

»Schau mal, ein Käfig mit Schweinen!«, rief Conny.

Als sie keine Antwort bekam, drehte sie sich um und erblickte ebenfalls die Frau.

»Guten Tag. Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein?«, fragte die Dame.

»Wenn Sie vielleicht ihren Schirm von meinem Magen nehmen könnten?«, würgte Tom hervor.

»Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte die Frau.

Plötzlich kam ein Mann mit schief sitzender Perücke aus dem Holzhaus. »Was ist hier passiert, Agathe? Welcher Herkunft rühmen sich denn die Fremdlinge?«, fragte er mit künstlicher Stimme und strich sich seinen grauen Anzug glatt.

Conny und Tom zitterten zum Ohnmächtigwerden. Ein fremdes Dorf, Menschen aus dem Jahre irgendwas und jetzt kamen auch noch ein paar weiß-schimmernde Rehe auf den Dorfplatz!

»Alles klar«, sagte Tom, eine Ausrede für sich suchend, »Wir sind auf einem … ähh … Filmset. Lass uns abhauen, Conny. Natürlich habe ich keine Angst …«

Conny und Tom verließen das Dorf fluchtartig. Dabei stolperten sie fast über die Tiere, die es sich am Boden bequem gemacht hatten.

Der Herr und die Dame sahen ihnen verwirrt nach. »Sonderbares Volk, diese Außerwälder. Sie sahen so komisch drein.«

Conny und Tom aber waren so schnell fortgelaufen, dass sie schon nach einer viertel Stunde am Waldrand angekommen waren.