Lena Bodner (11)

Ein Fleck in Mathe oder »Elterntausch AG«

Paul ging langsam zur Bushaltestelle. Er hatte es ganz und gar nicht eilig. Sven, ein Klassenkamerad, überholte ihn und rief: »He Paul, du alte Schnecke, geh ein bisschen schneller, sonst verpasst du den Bus! Heute ist ja Dienstag, da fährt er immer früher!«

»Ich habe es gar nicht eilig, ich kann ruhig den nächsten nehmen«, erwiderte der Angesprochene.

»Ist es wegen dem Fleck in Mathe?«, fragte Sven und blieb stehen.

Paul nickte.

»Ich versteh dich, aber machst du es mit dem Zu-spät-Kommen nicht noch schlimmer?«, flüsterte Sven.

Paul zuckte mit den Schultern und sagte gleichgültig: »Hausarrest bekomme ich sowieso, da ist das bisschen Zu-spät-Kommen auch schon egal.«

Plötzlich sah Sven auf seine Armbanduhr, und meinte dann grinsend: »Jetzt kommen wir beide zu spät.«

Paul stand vor seiner Haustür und konnte sich nicht entschließen, sie zu öffnen. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und betrat den Flur seiner Wohnung.

Seine Mutter kam gerade aus der Küche und fuhr ihn an: »Lausebengel, warum kommst du erst so spät? Denkst du, es macht mir Spaß, das Essen noch einmal aufzuwärmen?« Etwas milder fragte sie dann: »Nun, was hast du auf die Mathematikschularbeit?«

Paul, der inzwischen Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, antwortete möglichst harmlos: »Die Matheschularbeit? Ach ja, die zeige ich dir später. Weißt du, ich habe einen Bärenhunger.« Damit drehte er sich um, und wollte in das Speisezimmer gehen.

Seine Mutter packte ihn am Arm und zog ihn grob zurück. »Ich wollte wissen, welche Note du auf die Mathematikschularbeit hast!«, sagte seine Mutter streng.

»Mutti, ich habe so einen großen Hunger und muss sofort etwas essen. Sonst musst du das Essen noch einmal aufwärmen.«

»Nix da, die Schularbeit will ich sehen!«, sagte seine Mutter barsch.

»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte Paul sie und bückte sich langsam nach seiner Schultasche und begann zu kramen. Schließlich richtete er sich wieder auf und murmelte: »Hab das Heft wohl in der Schule vergessen.«

Seine Mutter hob die Schultasche auf und sah natürlich gleich, wie es alle Mütter tun, das Schularbeitenheft. Sie zog es heraus und schlug es auf.

Als sie das »Nicht genügend« las, schnappte sie nach Luft, holte aus und wollte ihrem Sohn eine Ohrfeige verpassen. Zu spät sah sie, dass dieser längst verschwunden war.

Ihre Hand prallte an die Kante der Biedermeierkomode.

»Au!«, schrie sie.

Paul kam in den Flur und fragte scheinheilig: »Ist etwas passiert, Mami?« Doch er war zu nahe herangekommen, denn jetzt holte Pauls Mutter die Ohrfeige nach. Jetzt war auch Paul an der Reihe, »Au« zu sagen.

»Wenn der Vater nach Hause kommt, dann kannst du etwas erleben!«, drohte sie und zog Paul ins Esszimmer.

Die Mahlzeit verlief schweigend.

Danach sagte sie zu Paul: »Gehe in dein Zimmer und mache die Hausaufgaben und lerne. Für heute hast du Hausarrest.«

Trotzig stampfte Paul in sein Zimmer und knallte seine Schulbücher auf den Schreibtisch.

Dort legte er sich auf sein Bett und kaute so lange an seinen Nägeln, bis es nicht mehr ging.

Dann hörte er Schritte.

Schnell setzte er sich an den Schreibtisch und schlug ein Buch auf.

Gleich darauf öffnete sich die Tür, und seine Mutter sah herein und sagte: »Ich gehe kurz einkaufen.« Ehe Paul noch etwas sagen konnte, war sie schon wieder verschwunden.

Seufzend sah er zum Fenster hinaus. Sein Blick schweifte über die Straße. Plötzlich stockte er. Das konnte doch nicht wahr sein! Er kniff sich in den Arm. Das Bild war noch immer da.

Ja, da stand schwarz auf weiß geschrieben:

»Unzufrieden mit deinen Eltern? Kein Problem! Melde dich bei

Elterntausch AG

und du bekommst deine Wunscheltern.

Tel.: 07 17 27«

Schnell flitzte Paul zum Telefon und wählte die Nummer.

Ein Tonband schaltete sich ein:

»Willkommen bei Elterntausch AG. Beschreibe gleich nach dem Piepton deine Traumeltern. Das Umtauschrecht verfällt nach sieben Tagen und ist nur mit Kassenbon umsetzbar.«

Pauls Knie waren weich wie Pudding, und er hätte schon fast wieder aufgelegt, doch dann kehrte sein Mut zurück.

Da piepste es schon.

»Ich … ich … ich wünsche mir Eltern, die … die mit mir nicht wegen einem Fleck in Mathe schimpfen und denen auch sonst meine Noten egal sind. Außerdem sollten sie mir mehr Taschengeld geben. Hausarrest und Ohrfeigen soll es auch nicht geben.«

Dann meldete sich wieder eine Stimme am Telefon: »Nun sag noch deinen Namen und deine Adresse, dann kannst du auflegen. Deine neuen Eltern werden sich in Kürze dir vorstellen. Danke, dass du angerufen hast.«

»Paul Friedrich Moser, Kirchenweg 1, und ich wohne in Österreich.«

Jetzt war Paul plötzlich nicht mehr so mutig, nein, er hatte sogar Angst. Irgendwie liebte er seine eigenen Eltern ja schon, wenn sie auch manchmal gar nicht nett waren. War es denn nicht seine eigene Schuld, dass er die Ohrfeige und den Hausarrest einkassiert hatte?

Schnell verdrängte er dieses unangenehme Gefühl. Es war ja nicht seine Schuld, dass er eine Fünf in Mathe hatte. Der Lehrer hätte den Notenschlüssel anders schreiben sollen oder diese zwei kleinen Punkte aufrunden können, dann hätte er bestimmt einen Vierer geschafft.

Die Türglocke läutete.

Paul öffnete die Türe, weil es nicht seine Mutter sein konnte, die würde ja gleich hereinkommen. Vielleicht waren es ja seine neuen Eltern.

Mit seinem letzten Gedanken hatte er Recht. Vor der Tür standen eine übergewichtige Dame und ein Mann mit einem Bierbauch, die sagten: »Du bist sicher Paul. Wir konnten leider nicht eher kommen, weil deine Anschrift unvollständig war. Wir sind deine neuen Eltern, um die alten brauchst du dich nicht mehr kümmern.«

»Was … was ist mit ihnen?«, stotterte Paul. »Was haben Sie mit ihnen gemacht?«

»Nebensache,« erklärte die übergewichtige Dame. »Und übrigens sind wir Mama und Papa und Sie brauchst du nicht mehr erwähnen.«

»Was ist jetzt mit meinen Eltern?«, versuchte Paul es noch einmal.

»Wir sind jetzt deine Eltern und wollen uns hier umsehen. Ach ja, hier ist der Kassenbon.« Der bierbäuchige Papa schob ihn mit diesen Worten zurück.

Am Abend, Paul hatte am restlichen Nachmittag seinen neuen Eltern die Wohnung gezeigt, fragte er die übergewichtige Mama, ob es denn bald Abendessen gäbe. Diese erwiderte: »Als ich am Nachmittag einen Imbiss nahm, war noch etwas da, aber jetzt ist der Kühlschrank leer. Ich kann den Pizzadienst anrufen.« Dann ging sie zum Telefon und wählte die Nummer des Pizzadienstes.

»Ich möchte bitte gerne, ach welche Pizza schmeckt mir denn am besten? Nun ja, ich möchte fünf Pizzen mit allem, was es gibt und drei Pizzen Hawaii und für meinen Mann zwei Pizzen mit Speck und Ei, wissen Sie, er nimmt gerade ab, und für meinen Sohn vier Pizzen Margarita. Wir wohnen am Kirchenweg eins. Danke!« Damit legte sie auf.

»Aber wer soll denn das alles essen«, fragte Paul erstaunt. »Na wir«, gab seine Mutter zur Antwort.

Nach etwa einer Stunde wurden die Pizzen gebracht und eine nicht all zu niedrige Rechnung. Doch die Mutter bezahlte es und meinte noch: »Da Sie die Pizzen erst ziemlich spät gebracht haben, ist es doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn Sie noch schnell um die Ecke liefen und eine Kiste Bier besorgen würden.«

»Nein, nein«, versicherte der Pizzazusteller. Der arme Mann ahnte nicht, dass es sich bei der »Ecke« um zirka zwei Kilometer handelte.

Als er endlich mit der Kiste Bier zurückgekommen war, konnten sie mit dem Essen anfangen.

Paul konnte nicht mehr als eine halbe Pizza essen. Seine Mutter aß eine Pizza nach der anderen, sein Vater hatte mit einer genug, danach zog er sich mit der Bierkiste ins Wohnzimmer zurück.

Paul sah der übergewichtigen Dame misstrauisch zu. Wie konnte sie nur solche Massen essen.

Da fragte sie: »Isst du nicht mehr?«

Paul schüttelte angeekelt den Kopf. Ihm war schon eine halbe Pizza mehr als genug.

Als die Mutter endlich fertig gegessen hatte, fragte sie: »Willst du noch das Abendprogramm ansehen?«

Begeistert stürmte er ins Wohnzimmer und wollte sich auf das Sofa werfen. Aber dort lag sein Vater mit einer Bierflasche in der Hand. Er schlief. Also setzte er sich auf den Boden, und schaltete den Fernseher um, denn sein Vater hatte gerade »Musikantenstadl« angesehen. Es lief gerade ein Horrorfilm. Gespannt sah er zu. Als ihm schon fast die Augen zufielen, trottete er zum Bett und legte sich ohne waschen, Zähne putzen, ausziehen und den Wecker zu stellen hin.

Am nächsten Tag, wer hätte es anders erwartet, verschlief Paul. Als er dann endlich aufwachte, machte er seine Morgentoilette und ging ins Esszimmer. Auf einem Stuhl saß der Vater und schlief. Außerdem roch er nach Bier. Seine Mutter machte Kreuzworträtsel, das heißt, sie schrieb die Lösungen ab.

»Guten Morgen«, flüsterte Paul.

»Morgen«, sagte seine Mutter griesgrämig.

»Gibt es bald Frühstück?«, fragte Paul vorsichtig.

»Es ist nichts da!«, fauchte seine Mutter.

Paul schreckte sich. Warum war diese unsympathische, dicke Frau auch seine Mutter?

Leise meinte er: »Ich gehe jetzt zur Schule.«

Als er schon am Gang war, hörte er seine Mutter rufen: »Auf dem Küchentisch liegt noch dein Taschengeld!«

Schnell ging er in die Küche und starrte dort ungläubig auf den Tisch. Dort lag ein Hundert-Euro-Schein. Langsam nahm er das Geld. Es knisterte ein wenig. Das tat gut! Gleich in der Schule würde er zum Buffet gehen und sich ein Frühstück kaufen.

Er lief zur Bushaltestelle. Gerade noch erwischte Paul den Bus.

Bald war er in der Schule. Er lief gleich zu seiner Klasse und zog Schuhe und Jacke aus. Paul wollte gerade hineingehen, als ihm einfiel, dass gerade Mathematikstunde war. Er seufzte und dachte sich: »Wer A sagt, muss auch bis Z weiter zählen.«

Die Mathematiklehrerin vernahm ein leises Klopfen. »Herein!«, rief sie.

Langsam öffnete sich die Tür. Der Schüler Paul stand jetzt in der Klasse und stotterte: »Entschuldigung, Frau Malefitz, ich, ähm, habe verschlafen.«

»Das soll ich glauben?!«, donnerte die Lehrerin los. »Sag mir gleich die Wahrheit, ich bin nicht so dumm, wie du denkst, ich weiß genau, dass deine Mutter dich wecken würde! Übrigens weißt du genau, dass ich Balefitz und nicht Malefitz heiße.«

»Aber ich habe seit gestern andere Eltern«, versuchte Paul zu erklären.

»Ja, ich weiß, dass deine Eltern seit gestern ganz anders sind«, spottete Frau Balefitz und jeder wusste, dass sie es nicht ernst meinte. »Gehe zu deinem Platz, Paul. Ach ja, weiß deine Mutter, dass sie heute beim Elternsprechtag unbedingt zu mir kommen muss?«

»Ich werde es ihr ausrichten«, murmelte der Angesprochene.

Als er sich gesetzt hatte, flüsterte sein Banknachbar Sven: »Ui, ui, die Weiß hat dich aber ordentlich zerlegt!« Die Weiß war Frau Balefitz, weil sie in jedem Satz, der es nur irgendwie zuließ, das Wort »weiß« verwendete.

Die Weiß hörte die beiden Buben und rief: »Ruhe in der letzten Reihe! Sonst setze ich euch nach vorne! Ich weiß genau, dass ihr das nicht wollt!«

Das war eine schreckliche Drohung und deshalb war es danach auch ruhig.

In der Pause war Paul von allen Buben umringt.

»Hast du seit gestern wirklich neue Eltern?«

»Ich glaube, du lügst!«

»Warum flunkerst du die Weiß an?«

»Du hast überhaupt nicht verschlafen, du hast geschwänzt. Du hast nur den Biotest nicht mitschreiben wollen!« So prasselte es von allen auf den armen Paul los.

Paul hielt sich die Ohren zu und ging zum Lehrertisch, stellte sich auf ihn und schrie in die Klasse: »Alle, die mir nicht glauben, dass ich seit gestern neue Eltern habe, dürfen nach der Schule zu mir kommen!«

Dann ging er zum Buffet. Er verlangte: »Bitte eine Wurstsemmel, ein Käsestangerl, eine Nussschnecke, vier Kaugummis und einen Kakao.«

Die Buffetfrau richtete alles her und meinte dann: »Fünf Euro, bitte.«

Paul hielt ihr den Hundert-Euro-Schein vor die Nase.

Die Verkäuferin kniff die Augen zusammen und nahm prüfend den Schein in die Hand. Dann gab sie ihn wieder zurück und sagte bestimmt: »Geklautes Geld nehmen wir nicht.«

»Aber das ist nicht geklaut!«, erwiderte Paul. »Das ist mein Taschengeld!«

»Kinder in deinem Alter haben nicht so viel Taschengeld!« Die Frau war immer noch überzeugt davon, dass das Geld geklaut war.

»Ich bekomme aber schon so viel Taschengeld!«, versuchte Paul zu erklären.

»Wenn du meinst, dass das dein Geld ist, soll deine Mutter oder dein Vater heute beim Elternsprechtag zu mir kommen und es mir bezeugen!«

Dann läutete es zur Stunde.

Der Deutschlehrer wunderte sich an diesem Vormittag, dass über Winnetous tragischen Tod getuschelt und gelacht wurde, die Musiklehrerin war erstaunt, dass in der sonst so singfreudigen Klasse dieses Mal nur sie sang, und die Geografielehrerin dachte sich: »In dieser Klasse stimmt etwas nicht, wenn sie sich nicht über den angekündigten Test beschweren.«

Endlich war die Schule aus, und Paul rief den Kindern zu: »Kommt gleich mit zu mir, und dann werdet ihr schon sehen, dass ich neue Eltern habe!«

Natürlich kamen alle mit, denn die neuen Eltern wollte jeder sehen. Vor der Wohnungstür ermahnte er sie zur Stille. »Die Nachbarin wird sonst ganz wütend und schmeißt euch raus«, begründete er seine Worte. Dann öffnete er die Tür.

»Hallo Mama, ich bin da und habe noch ein paar Freunde und Freundinnen mitgebracht!«, sagte Paul und wandte sich den Kindern zu. »Kommt gleich in mein Zimmer, oder wartet, ich wollte euch ja meine neuen Eltern vorstellen! Kommt ins Wohnzimmer.«

Ein Mädchen fragte: »Müssen wir uns nicht vorher die Schuhe ausziehen?«

»Nein, nein. Kommt nur«, antwortete Paul rasch.

Zusammen mit seinen Freunden betrat er das Wohnzimmer.

»Hallo Paul«, begrüßte seine Mutter ihn, ohne von der Kronenzeitung aufzublicken. Sein Vater lag gerade auf der Couch und rülpste. In seiner Hand war eine halb geleerte Bierflasche, und neben ihm lagen ein paar leere Flaschen. Unsicher blickte Paul zu seinen Gästen. Diese hatten plötzlich hunderte Ausreden, warum sie nicht länger bleiben könnten. Erleichtert führte er sie aus der Wohnung.

»Willst du mit mir zum Zigarettenautomaten gehen?«, fragte Pauls Mutter ihren Sohn. Der Angesprochene nickte. Er musste hinaus! Einfach nur hinaus! Warum, wusste er selber nicht. Er wollte nur weg von hier!

Langsam gingen Mutter und Sohn zum Automaten.

»Du Mama«, sagte Paul. »Du sollst heute Nachmittag zur Weiß, äh, zu meiner Mathelehrerin gehen. Es ist nämlich Elternsprechtag. Und zur Buffetfrau, weil die glaubt, dass ich mein Taschengeld geklaut habe.« Plötzlich verstummte er und drehte den Kopf weg. Die Weiß kam ihnen entgegen!

Doch es war zu spät. Die Lehrerin sprach ihn gerade an. »Hallo Paul! Grüßgott Frau, äh, Entschuldigung, ich weiß Ihren Namen nicht, darf ich annehmen, dass Sie Pauls Tante sind? Ich weiß …«

»Nein, Sie dürfen nicht annehmen«, schnauzte die Angesprochene. »Ich bin seine Mutter!«

Allein der Tonfall der aufgebrachten Frau brachte die Lehrerin zum Schweigen, doch dann traute sie sich wieder aus ihrem Schneckenhaus heraus. »Paul hat Ihnen doch sicher gesagt, dass ich Sie heute beim Elternsprechtag sprechen will, Frau Moser.«

Frau Moser sagte: »Von mir aus können Sie mich auch jetzt sprechen!«

»Aber wäre es nicht besser, wenn Ihr Sohn nicht zuhören würde?« Frau Balefitz sah kritisch auf Paul, der sich hinter seiner Mutter versteckt hatte, was bei den Fettbergen auch nicht schwierig war.

»Paul kann ruhig zuhören. Also schießen Sie los.«, sagte Frau Moser auffordernd.

»Also, Paul kommt mir in letzter Zeit etwas beunruhigt vor. Er tratscht öfter im Unterricht und schickt seinen Freunden Briefe. Ich weiß ja nicht, aber es könnten auch Liebesbriefe sein. Auf jeden Fall weiß ich nicht, ob …«

»Das sind Pauls Privatangelegenheiten! Mischen Sie sich da nicht ein!«, schrie Pauls Mutter die Lehrerin so laut an, dass einige Passanten aufmerksam wurden. »Das war wohl deutlich genug, oder? Auf Nimmerwiedersehen!« Dann ging die aufgebrachte Frau einfach fort.

»Aber Mama, du kannst eine Lehrerin doch nicht so behandeln, du warst viel zu unverschämt.« Paul hielt sich den Mund zu. Jetzt war er auch zu weit gegangen, doch seine Mutter beachtete das nicht.

»Wie hätte ich sie denn sonst behandeln sollen? Etwa so: Ach aller verehrteste Frau Lehrerin, hätten sie die Güte, sich endlich aus dem Staub zu machen? Ich sagte ihr doch nur die Wahrheit!«

Paul schüttelte seufzend den Kopf und sah es ein, dass es sinnlos war, seiner Mutter noch irgendetwas zu sagen. Langsam wurden diese neuen Eltern nervig. Seine Mutter holte die Zigaretten. Danach gingen sie schweigend nach Hause.

Dort setzte Paul sich auf sein Bett und dachte nach. Er wollte seine alten Eltern wieder zurück! Lieber ein paar gerechtfertigte Ohrfeigen, als eine übergewichtige, unverschämte Mutter und einen Säufer als Vater! Er dachte noch einmal nach. Da fiel ihm das Umtauschrecht ein. Er sah zum Fenster hinaus und entdeckte das Plakat der Elterntausch AG. Er wählte noch einmal die Telefonnummer. Das Tonband kannte er ja schon. Dann durfte er endlich sprechen. »Hallo, ich bin der Paul Friedrich Moser und wohne am Kirchenweg 1, und ich möchte meine Eltern zurückgeben, die ich gestern bekommen habe.«

Kurze Zeit später klingelte das Telefon und Paul hob ab. Eine Frau meldete sich: »Hallo, bist du Paul? Ich bin von der Elterntausch AG und möchte dir sagen, dass du deinen neuen Eltern nur den Kassenbon geben musst, dann bekommst du entweder deine alten Eltern zurück oder andere neue Eltern. Auf Wiederhören!«

Paul dachte wieder nach. Dann versuchte er sich zu erinnern, wo er den Kassenbon hingelegt hatte. War es am Nachtkästchen? Oder hatte er ihn weggeworfen? Paul begann zu suchen. Er suchte und suchte und suchte, aber er fand nichts. Er ging auch zu seiner Mutter und fragte diese, aber auch sie wusste nichts.

Paul fragte seine Eltern: »Könnt ihr nicht auch ohne Kassenbon gehen?« Seine Mutter antwortete: »Leider nein.« Er glaubte, ein hämisches Grinsen in ihrem Gesicht zu sehen.

Heulend lief er in sein Zimmer und warf sich dort auf sein Bett. Nun war alles aus! Wenn er den Bon nicht innerhalb von sechs Tagen finden würde, dann würde er diese Eltern für immer behalten! Für immer! Nun ja, es gab ja noch Hoffnung, sechs Tage Hoffnung! Da hörte er etwas rascheln. Er blickte auf und entdeckte ein Papier auf dem Boden. Der Kassenbon! Er wollte sich gerade danach bücken, als er eine Stimme hörte.

»Hallo Paul!« Es war seine Mutter! Aber nicht das fette Vielfraß, sondern seine echte Mutter. »Trinkst du neuerlich? Im Wohnzimmer stinkt es nämlich nach Bier!«, erkundigte sie sich.

Paul wurde rot und schüttelte den Kopf.

Seine Mutter glaubte ihm nicht. »Lass mich deinen Atem riechen!«, forderte sie ihn auf.

Gehorsam öffnete er seinen Mund. Die Mutter roch und zog befriedigt ab. Paul sah nach dem Kassenbon. Er war verschwunden! Dann blickte er aus dem Fenster. Das Plakat von der Elterntausch AG war weg! Hatte er alles nur geträumt? Zufällig streifte sein Blick den Kalender. Es war Donnerstag, und nicht Dienstag, wie erwartet.