Dora Roth (11)

Abenteuerfahrt

Schnaufend und prustend fuhr der Zug aus dem Bahnhof. Jule lehnte sich in ihrem Sitz zurück und beobachtete die Landschaft, die am Zug vorbeisauste. Das Mädchen war auf einer Abenteuerreise mit dem Zug. Sie wusste nicht, wohin die Reise ging, oder wo sie vorbeikommen würden. Jule runzelte die Stirn. So machte sie es immer, wenn sie nachdachte. Anfangs kannte die Zwölfjährige die Wälder und Wiesen noch, doch bald schon wurde ihr alles fremd.

Da, plötzlich quietschten die Bremsen des Zuges. Ein paar Sekunden später stand er. »Was ist hier los?«, wollten einige erregte Passagiere wissen. Der Schaffner, der eben noch beim Fahrkartenkontrollieren gewesen war, hastete nach vorne zum Zugführer.

Jule hatte ein seltsames Gefühl im Bauch. Was war geschehen? Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es falsch war, jetzt in den Führerraum zu gehen. Trotzdem stand sie langsam auf und schlich nach vorne. Nach ein paar Schritten wurde das Gefühl in Jules Bauch größer. Ein paar Meter weiter, noch ein paar, Jule drückte die Türklinke zum Führerraum herunter; ein großer Fehler. Der Zugführer und der Schaffner mussten gerade aussteigen. Jule wusste: Der Mann, der sie dazu zwang, hatte den Zug an sich genommen und entführte ihn! Jule stand starr vor Schreck in der Tür, ihre Augen immer auf den Entführer gerichtet. Jetzt wusste sie, was das Gefühl in ihr war: Angst!

Der Entführer schloss die Zugtür und schaute sich um. Da entdeckte er Jule. »Komm her!«, befahl er, und Jule blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. »Ich habe es nicht gerne, beobachtet zu werden. Du wirst jetzt hier bleiben und dich nicht rühren!«

Jule musste zusehen, wie der junge Mann den Zug startete. Sie sah, wie er nach dem Mikrofon für Durchsagen griff und hineinsprach: »Dieser Zug ist gerade entführt worden. Wehe, es rührt sich jemand!«

Jule war erleichtert. Wie unvorsichtig der Entführer doch war! Sicherlich hatte einer der Reisenden ein Handy dabei und würde die Polizei benachrichtigen. Und wenn der Entführer alle Handys einsammeln würde, der Zugführer oder der Schaffner hatten sicher auch ein Handy. »Wissen Sie eigentlich, wie dumm Sie sind?«, hörte Jule sich sagen. Gleich darauf hielt sie sich den Mund zu.

Doch der junge Mann drehte sich nur um. Er schaute Jule böse und fragend zugleich an. »Warum«, fragte er knapp.

»Weil Sie vergessen haben, dass manche Passagiere Handys dabei haben. Sie werden die Polizei benachrichtigen. Und? Nennen Sie das etwa schlau von Ihnen?«

Der Entführer lachte. Schließlich erwiderte er: »Auf dieser Fahrt darf man keine Handys oder Funkgeräte mitnehmen. Hast du das etwa vergessen?«

Jule schaute ihm tief in die Augen. Und da verschwand die Angst. Das Mädchen hatte den Mann durchschaut. »Sie wissen, dass man keine Verständigungsmittel mitnehmen darf, Sie können einen Zug fahren und Sie haben niemanden verletzt oder in Gefahr gebracht. Die Entführung gehört zu der Abenteuerfahrt dazu, habe ich recht?«

Der entlarvte Entführer nickte, dann klärte er Jule auf: »Ich habe den Lokführer abgelöst und der Schaffner war kein Schaffner.« Nun griff der Mann zum Mikrofon. »Ich bin kein Entführer«, sprach er hinein, »ein Mädchen hat mich leider durchschaut. Die Entführung hat zur Abenteuerreise gehört.«

Jule ging zu ihrem Platz zurück. Ein paar Abenteuer waren noch durchzuhalten, doch Jule war sehr vorsichtig, wem und was sie glaubte.

Schon bald kam der Heimatbahnhof in Sicht. Und ein Mädchen hatte ihren Eltern eine Geschichte zu erzählen.