Bianka Bunde (12)

Die Zugfahrt

Die Geschwister Rina und Paul waren unterwegs zu ihrer Oma. Nicht, dass sie das freuen würde. Ganz und gar nicht. Sie konnten ihre Oma nämlich genauso wenig leiden wie das Zugfahren. Und sie fuhren mit dem Zug. Das waren also zwei gute Gründe dafür, dass ihre Laune auf dem Tiefpunkt war. Sie hatten ihre Eltern angefleht, nicht fahren zu müssen, doch die blieben hart.

Nun saßen sie schon einige Zeit schweigend im Zug nach Köln. Ab und zu stiegen ein paar Leute ein und aus, doch etwas Spannenderes passierte nicht. Bald waren sie alleine in dem Abteil. Die beiden waren schon fast am Schlafen, doch richtig einschlafen konnten sie nicht, denn sie wurden immer wieder durch die dicke Frau gestört, die ständig mit ihrem Imbisswagen durch das – bis auf Rina und Paul – leere Abteil trippelte. Sie wollten gerade wieder eindösen, als sie wegen einer Durchsage gestört wurden. Sie dachten schon, dass etwas Wichtiges oder Spannendes passiert sei, doch es wurde nur der nächste Bahnhof angesagt.

»Echt, sehr interessant, so eine Fahrt mit der Bahn«, meinte Paul ironisch.

»Guckt euch doch ein bisschen die Landschaft an«, schlug die dicke Frau vor, die gerade wieder mit ihrem Wagen vorbeifuhr.

Rina nickte nur. Als die Frau weg war, sagte sie: »Was haben die Erwachsenen nur mit ihrer Landschaft? Okay, Baum, Baum, Strauch, Baum, Hecke, Baum!«

Paul und Rina kicherten kurz, doch dann wurde es wieder langweilig. Als Rina nichts anderes mehr einfiel, fing sie wirklich an, aus dem Fenster zu gucken.

Es kam wieder eine Durchsage, und wenige Minuten später fuhren sie in den nächsten Bahnhof ein. Diesmal stieg eine ganze Touristengruppe aus Japan ein. Ein Fahrkartenkontrolleur kam und ließ sich die Fahrkarten der Neuzugänge zeigen. Dann verschwand er in einem anderen Abteil.

Rina ließ sich in ihrem Sitz zurückfallen. Paul hörte Musik.

Die Frau mit dem Imbisswagen kam wieder vorbei. »Mein Gott«, seufzte sie, »lange machen das meine Knochen nicht mehr mit! Und was kaufen will ja sowieso niemand!« Sie blickte Rina und Paul an. Plötzlich hatte sie eine Idee. »Sagt mal, euch ist doch langweilig, oder?«

Rina und Paul nickten.

»Wollt ihr ein bisschen mit mir Karten spielen? Ich bin übrigens die Frau Müller. Aber ihr könnt mich ruhig Martha nennen«, sagte sie und zog ein Päckchen Karten aus ihrer Rocktasche.

Die beiden Kinder hatten nichts dagegen einzuwenden, und so setzte sich die Imbissfrau Martha zu ihnen. Sie spielten lange Karten, bis der Schaffner kam und Martha fragte, ob das wohl Imbiss-Verkaufen sei. Nach einer kurzen Szene gab die Bedienstete nach und wollte aufstehen, doch es ging nicht.

»Oh je, ich wusste ja gleich, dass meine Knochen das nicht mehr lange mitmachen. Könntet ihr mir wohl aufhelfen? Seit ihr so nett?«

Das konnten sie Martha natürlich nicht abschlagen, und so drückten und schoben sie, doch das half nichts. Ganz im Gegenteil: Nun klemmte sie auch noch mit ihrem Allerwertesten im Sitz fest.

Der Schaffner eilte nun auch noch zur Hilfe, doch sie bekamen sie nicht heraus. Die Japaner waren nicht sehr hilfreich, denn sie murmelten nur etwas von: »Dicke Frau in Sitz festklemmen!« und fotografierten sie, was das Zeug hielt und so lange ihre Filme reichten.

Plötzlich ging die Abteiltür auf, und eine grell geschminkte Frau kam herein. Ihnen war bei der ganzen Aufregung gar nicht aufgefallen, dass sie gehalten hatten und schon wieder angefahren waren.

»Könnten sie uns vielleicht mal behilflich sein? Wir müssen diese Frau nämlich wieder aus dem Sitz herauskommen!«, meinte der Schaffner und zog weiter an den fleischigen Armen der Imbissfrau.

»Nun ja, ich weiß nicht. Der Nagellack ist noch recht frisch, und einer meiner Nägel könnte abbrechen. Und ich muss natürlich darauf achten, dass mir mein Make-up nicht verschmiert. Na, aber, okay, meinetwegen!«, entgegnete sie und griff vorsichtig nach einem der Arme. Angeekelt zog sie daran. »Schon mal daran gedacht, eine Diät zu machen?«, fragte sie mit gestellt freundlicher Stimme.

»Nein, eigentlich nicht, wieso?«, wollte die dicke Martha wissen.

»Ach, nur so!«, murmelte die geschminkte Frau mit zusammengebissenen Zähnen.

Sie fuhren in den nächsten Bahnhof ein.

»Herr Mertz! Herr Mertz! Wo sind Sie?«, rief eine wütende Stimme durch die Abteiltür.

Wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet, und ein Mann in Uniform und mit zornrotem Kopf kam herein. »Ah, Mertz, da sind Sie ja! Ich suche Sie schon die ganze Zeit! Was tun Sie denn da?«, polterte er und schaute das ganze Spektakel dann verblüfft an. Nach einer kurzen Erklärung packte er dann mit an.

Wenige Augenblicke später war die dicke Frau befreit und tippelte mit ihrem Imbisswagen weiter. Der Schaffner ging weiter Fahrkarten kontrollieren. Der Oberschaffner, dessen Kopf jetzt schon wieder normal aussah, ging wieder zurück zum Zugfahrer.

Doch schon eine Viertelstunde später hielten sie wieder. Rina und Paul blickten aus dem Fenster, doch es war nirgends ein Bahnhof zu sehen. Sie fragten sie gerade, warum sie hielten, als eine Durchsage kam: »Liebe Fahrgäste! Dies ist ein unplanmäßiger Halt. Verlassen sie den Zug nicht. Die Ampel, die anzeigt, ob wir in den Bahnhof einfahren dürfen oder nicht, zeigt nichts an. Dieses Problem wird aber sicherlich in wenigen Minuten behoben sein. Bitte haben sie etwas Geduld!«

Wenige Minuten später ging die Fahrt weiter, und sie fuhren in den nächsten Bahnhof ein. Es war der Bahnhof, an dem Rina und Paul von ihrer Oma abgeholt wurden. Sie nahmen ihr Gepäck und stiegen aus.