Beatrix Reif (12)

Das Schloss

Vor vielen, vielen Jahren lebte in einem großen Schloss der Graf Morgennebel. Seit er dort wohnte, hörte man nachts immer schauriges Heulen aus seinem Wohnsitz kommen.

Seine Frau Burgunde hatte er von der Burg Goldesamsel geraubt und später, weil sie nur einen Nachkommen gebar, auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Dieser Nachkomme namens Artur erfuhr aber, was sein Vater getan hatte, zog deshalb schon mit 16 Jahren aus und heiratete eine Verkäuferin namens Patrizia. Die Beiden bekamen ein Kind, das sie Francesca nannten.

Zirka zwanzig Jahre später starb der Graf Morgennebel plötzlich und vererbte Francesca das Schloss. Also fuhr sie sofort dorthin, um es zu beziehen.

Francesca öffnete das große Schlosstor. Es knarrte. Und wie! Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Hier war ihr Großvater gestorben! Langsam trat sie – mit Taschen bepackt – ein. Hier würde sie von nun an also wohnen. WUMM! Ein kalter Windstoss riss Francesca die Türe aus der Hand und knallte sie zu.

»Jetzt habe ich mich aber erschreckt!« dachte sie.

Francesca drehte sich zur Decke blickend durch die riesige Eingangshalle des Schlosses. Auf der Decke waren Engelsfiguren gemalt. Alles war mit Gold verziert. Ein Glücksgefühl überkam sie.

»Hallo, hallo! Hier bin ich!« frohlockte sie wie ein kleines Mädchen, das gerade einen Teddy geschenkt bekommen hatte.

Francesca hüpfte die breite Steintreppe am Ende der Halle hinauf und hielt plötzlich inne: Da hing ein großes Bild von ihrem Großvater, worauf mit roter Farbe – nein, mit Blut – geschrieben stand: »Du warst meine liebste Enkelin, Francesca!«

Laut kreischend rannte Francesca die Treppe hinunter. Sie stürzte auf das reichlich verzierte Schlosstor zu, doch es öffnete sich nicht. »NEEIINN!« hallt ihr verzweifelter Ruf noch heute durch das Schloss.