Sophia Merth (10)

Mister Klau und Miss Schlau

Am 9. Mai 1711 wurde Mister Klau kurz nach seinem Überfall auf die Londoner Stadtbank von der Polizei geschnappt und hinter Schloss und Riegel gebracht. Er soll bei seinem Raub eine Million Goldstücke erbeutet haben. Bisher ist noch unklar, wo das Geld geblieben ist. Am 10. Mai wird der Prozess gegen Herrn Klau beginnen.

Bericht der britischen London Post von Mister Miller

Niemand ahnte, dass Mister Klau seinen Ausbruch aus dem Gefängnis bereits geplant hatte.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai, als die Kirchturmuhr zwölf Mal schlug, war der Polizist vor der Gefängnistür von Herrn Klau erschöpft eingeschlafen. Mister Klau hatte beobachtet, wie der Polizist den Schlüssel für die Gefängnistür in seine Hosentasche gesteckt hatte. Da entdeckte er ein Stöckchen auf dem Boden des Gefängnisses.

Langsam, ganz langsam bewegte er das Stöckchen durch die Gitterstäbe und wühlte damit sachte in der Hosentasche des Polizisten. Und tatsächlich schaffte er es, den Schlüssel herauszuschieben.

»Klirr!« Der Schlüssel fiel auf den Boden.

Herr Klau hielt den Atem an, doch der Polizist schlief weiter. Jetzt konnte Herr Klau den Schlüssel mit der Hand erreichen. Leise schloss er die Gefängnistür auf und schlich unbemerkt ins Freie. So schnell er konnte, lief Herr Klau im Schutz der Nacht aus der Stadt und versteckte sich im Wald am Stadtrand.

Es war eine kalte Nacht; Herr Klau suchte nach einem Unterschlupf im Wald. Plötzlich entdeckte er ein schönes altes Häuschen auf einer Lichtung.

Er ging um das Häuschen herum, stieg eine steile Treppe nach unten und gelangte zur Kellertür. Diese war nicht verschlossen.

»Das trifft sich aber gut, welch ein brillantes Versteck«, dachte Herr Klau und schlüpfte in den Keller.

Frau Schlau, die alte Dame, der das schöne Häuschen im Wald gehörte, konnte zwar nicht mehr so gut sehen, aber trotz ihres hohen Alters hatte sie ein gutes Gehör.

»Mir ist so, als wäre jemand in den Keller gestiegen; da muss ich doch einmal nachsehen gehen…« sprach sie zu sich selbst und stand auf. Sie zündete eine Kerze an und tastete sich damit die Treppe hinunter in den Keller.

Doch was war das? Uroma Schlau traute ihren Augen nicht. In ihrem großen Wäschekorb lag zusammengerollt ein Mann und schlief tief und fest. Sie ging näher heran, um besser sehen zu können.

»Nein, das ist kein Gesicht, das ich jemals zuvor gesehen habe«, dachte Uroma Schlau.

Rasch verriegelte sie die Kellertür von außen, stieg die Treppe wieder nach oben, ging um das Haus herum, stieg die Außentreppe nach unten und verriegelte die Tür von dieser Seite ebenfalls.

Bei Sonnenaufgang machte sich Uroma Schlau auf den Weg in die Stadt und lief schnurstracks zur Polizeiwache.

Der aufgebrachte Kommissar beschimpfte gerade den Polizisten, dem Herr Klau letzte Nacht entwischt war.

»Vielleicht kann ich Ihnen in dieser Sache weiterhelfen«, meldete sich da Uroma Schlau zu Wort und berichtete dem erstaunten Kommissar von dem fremden Mann in ihrem Keller.

Sofort rückte die Polizei aus und konnte tatsächlich den gesuchten Mister Klau im Keller von Uroma Schlau verhaften.

Hocherfreut schüttelte der Kommissar Uroma Schlau die Hand und lobte sie: »Gute Arbeit, Miss Schlau! Sie haben Ihrem Namen alle Ehre gemacht und werden für Ihre Verdienste mit einem Polizeiorden ausgezeichnet!«