Anton Maurer (13)

Die schwachsinnige Geschichte des schwachsinnigen Berufes der schwachsinnigen Frau Garnichtwahr

Zugegeben, es gibt viele schwachsinnige Berufe auf der Welt. Zigarettentester zum Beispiel oder Männerkloputzer. Aber der schwachsinnigste Beruf überhaupt ist meiner Meinung nach Wahrsagerin. Und so eine Wahrsagerin war Frau Garnichtwahr.

Wie üblich saß sie bei drückender Hitze in ihrem Arbeitsraum. Sie war stark geschminkt, und ihre Augen waren grellbunt umrandet. Das verlieh ihr ein nicht nur ungewöhnliches, sondern geradezu lächerliches Aussehen. Momentan stierte sie an ihrer Hakennase vorbei in die unendlichen Tiefen ihrer Kristallkugel. Sie bildete sich nämlich ein, bei alldem Unsinn doch zumindest ein wenig in die Zukunft blicken zu können. Angestrengt versicherte sie, etwas wahrzunehmen. Doch sie sah wieder einmal absolut nichts – wahrscheinlich, weil Uranus in ganz ungünstigem Winkel zu Neptun und Venus im achten Haus stand.

Sie seufzte resigniert und gab es auf. Da klingelte es. »Der erste Kunde seit langem!« strahlte Frau Garnichtwahr. Sie zupfte ihre blaue Perücke zurecht, die ihre Glatze verdeckte, stellte sich, um möglichst geheimnisvoll auszusehen, zur Probe noch einmal vor den Spiegel und schlurfte zur Tür.

Draußen stand ein winzigkleines Männchen, wahrscheinlich Mitte fünfzig. Frau Garnichtwahr öffnete mit leutseligem Gesicht die Tür.

»Guten Tag«, stammelte das Männchen, »Ich würde nur gerne wissen, ob meine…«

»Ach, kommen Sie doch erst einmal in mein Arbeitszimmer!« unterbrach ihn Frau Garnichtwahr.

Die Miniaturausgabe von einem Zwerg nickte und folgte ihr. Das Männchen sah irgendwie ziemlich bedrückt aus.

Mit einer großartigen, weit ausholenden Geste wies Frau Garnichtwahr ihrem Besuch den hässlichen Sessel gegenüber von ihrem Stuhl an.

Bevor sie noch ihren Mund aufgemacht hatte, sprudelte der Mann schon los: »Also, ich habe eine neue große Liebe gefunden und würde gerne wissen, ob meine Alte schon von ihr weiß.«

»Nun«, murmelte Frau Garnichtwahr, »Das könnte ich schon herausfinden, aber es wird nicht billig!«

»Geld spielt keine Rolle!« knurrte ihr Gegenüber, »Legen sie endlich los!«

»Gut!« brummte Frau Garnichtwahr, entrüstet, weil der Mann weder von der irren Hitze noch von den seltsam gemusterten Vorhängen und auch nicht von ihrem aufgetakelten Aufzug beeindruckt schien. Sie beschloss, diesen Banausen rasch abzuwimmeln, warf einen einzigen Blick in ihre Kristallkugel und behauptete: »Ihre Frau hat noch nicht den geringsten Schimmer, was ihre neue Flamme angeht. Im Übrigen scheint mir, dass Sie sich da eine ‚Stichflamme‘ als neue Partnerin ausgesucht haben.«

Das Männchen wirkte ziemlich verblüfft, als es bezahlte und hinausging. Aber irgendwie auch erleichtert. Frau Garnichtwahr widmete sich wieder ihrer Arbeit.

Kurz darauf klingelte es wieder. Das Männchen von vorhin stand vor der Tür und schien kolossal wütend zu sein.

Zögernd machte Frau Garnichtwahr auf.

»Sie Lügenbaronin!« schrie das Männchen sie an, »Meine Frau weiß schon längst, dass ich eine Freundin habe! Und was die ‚Stichflamme‘ angeht, so liebt sie mich genauso wie vorher!«

Verlegen stand Frau Garnichtwahr in der Tür. »Tja, wissen Sie, die Reinheit der Schwingungen ist manchmal ein wenig…« Sie stockte und brach ab. Schlagfertig war sie noch nie gewesen.

Aber der winzige Mann schien sie gar nicht gehört zu haben. Er starrte sie unentwegt an und lächelte plötzlich. »Also, wissen sie, Frau Garnichtwahr, vielleicht war meine neue Liebe doch nur eine ‚Stichflamme‘. Sie sehen irgendwie richtig zauberhaft aus.«

Frau Garnichtwahr war sprachlos. Aber im Grunde gefiel ihr das Männchen gar nicht übel. Kurzentschlossen ging sie wieder in ihr Arbeitszimmer und schaute in die Kugel.

»Und?« fragte das Männchen, das ihr gefolgt war neugierig, »Werden wir glücklich sein und viele Kinder haben?«

»Ähem, ja… hier sehe ich’s…« Frau Garnichtwahr konnte natürlich nichts sehen, also log sie frisch drauf los. »Also, wir werden acht Kinder haben, glücklich sein und…« Sie brach erschrocken ab, denn das Männchen schien schon wieder wütend zu sein.

»Lügenbaronin!« brüllte es zum zweiten Mal, »Noch ein Beweis, dass Sie keinen blassen Schimmer davon haben, wie man in die Zukunft sieht! Ich denke nämlich gar nicht daran, meinem schönen Leben Ade zu sagen, indem ich Sie heirate, geschweige denn Kinder zu haben.« Zornig stürmte das Männchen hinaus und knallte die Tür zu.

Frau Garnichtwahr blieb zuerst eine Weile wie betäubt sitzen, dann begann sie zu weinen und zerschlug ihre Kristallkugel. Von Stund an benahm sie sich wie jeder andere Mensch auch und dachte nie mehr daran, in die Zukunft zu blicken.