Annick Geissbühler (10)

Die Spukburg

Endlich tauchte vor uns im Nebel die Burg auf. Sie sah schon auf den ersten Blick düster und unheimlich aus. Ich zitterte, ob vor Kälte oder vor Angst wusste ich selbst nicht genau. Es war ein feuchter Tag und die Nebelschwaden hingen wie Watte über der Burg, die meine Grossmutter mir vermacht hatte. Nur die Umrisse der Burg waren zu sehen.

Meine Mutter war letztes Jahr bei einem Unfall gestorben, und mein Vater lebte in einem anderen Land. So hatte ich alles geerbt, auch diese Burg. Ich stieg aus der Kutsche aus, die mich zur Burg gebracht hatte. Ich ging in die Vorhalle hinein.

Die schwere Tür hinter mir fiel mit einem lauten Knall zu. Ich erschrak und versuchte die Tür wieder zu öffnen. Doch vergebens. Die Tür war fest verschlossen. Ich schrie um Hilfe, aber niemand hörte mich. Mir war als lachten mich die Wände aus. Ich war gefangen.

Ich dachte: »Es wird schon nur Zufall sein. Nimm dich zusammen.« Durch diesen Gedanken beruhigt suchte ich nach einem anderen Ausgang. Klar hatte ich noch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ich hatte Pech. Kein offenes Fenster weit und breit. Es liess sich auch keines öffnen. Meine Grossmutter war nie in die Burg gegangen, denn sie hatte immer gesagt, dass es hier spukte.

Plötzlich flackerten die Lichter und ich hörte eine Stimme, die sagte: »Du gehörst mir, für immer!«

Ich erschrak natürlich. Dann sah ich einen verschwommenen Schatten die Treppe herunter und auf mich zu schweben. Er streckte seine »Hände« nach mir aus. Alles fing an sich zu drehen. Ich hatte das Gefühl, als würde ich in einen Strudel hineingerissen. Dann wurde alles schwarz.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich eigenartig. Ich konnte meinen Körper nicht mehr spüren. Ich schaute an mir herunter und erstarrte. Ich selbst war in dieser Burg zu einem Schatten geworden. Und ich würde für immer hier bleiben müssen.

Als Schatten bin ich noch heute hier gefangen. Alleine in der Spukburg.