Rachele Botticelli (11)

Der Spinner

Es war einmal ein Mann, der lebte auf dem Land in einem schönen Haus. Er hatte zwei Söhne, die ihm bei der Arbeit halfen. Seine Frau war Spinnerin, das machte sie als Beruf.

Das Haus war groß und mit der Zeit wurde es älter und baufälliger. Die Feuchtigkeit war in den Wänden, und auch im Sommer war es kalt. Wenn es regnete, kamen Tropfen vom Dach, und die Haustüren waren verrostet.

Im Winter sank die Temperatur stark, und die Frau bekam eine schwere Lungenentzündung, an der sie kurz darauf starb. Der Mann und die Söhne waren untröstbar; sie arbeiteten nicht mehr, weil sie voller Trauer waren.

Schließlich wurden die Söhne groß und selbstständig. Sie beschlossen, in die Stadt zu ziehen, wo sie hoffentlich eine Arbeit finden würden.

Der Mann fühlte sich oft allein und verlassen. So alleine, dass er mit der Zeit verrückt wurde. Oft sprach er mit sich selbst und mit den Wänden. »Rubert« nannte er seine Schlafzimmerwand, er sprach mit ihr, als wäre sie ein Mensch.

Nach fünf Jahren beschloss auch er wegzuziehen, weil ihm dieses Haus zu viele Sorgen machte und die vielen alten Erinnerungen wieder in ihm hochkamen. Er zog in die Stadt Graz. Jetzt wohnte er in einer kleinen Wohnung, die nur aus drei Zimmern bestand. Die Wände im ganzen Haus waren grau, die Fenster hatten Gitter, und es gab wenige Möbel: nur ein Bett, einen Schrank und einen Herd.

Er lebte in Armut und wusste nicht, was er tun sollte. An einem schönen Oktobermorgen wollte er Arbeit suchen, deshalb machte er sich zurecht, zog seine beste Kleidung an und ging in Richtung Stadtzentrum. Der Mann suchte den ganzen Tag, doch keiner wollte ihn anstellen.

Schlecht gelaunt ging er nach Hause. Er legte sich ins Bett und schlief ein. Doch am nächsten Morgen wachte er nicht mehr auf.

In der Gasse, wo er gelebte hatte, kannten ihn alle. Manche glaubten, er hätte mit den Wänden gesprochen. So wurde die Gasse, in der er gelebt hatte, einfach »Einspinnergasse« genannt!