Alena Strauss

Immer wieder das Gleiche

Noch dieser Nachmittag, einmal schlafen und dann noch der Schultag, dann sehe ich ihn wieder. Die Klasse wird voll, es hat geläutet und schon beginnt unser Geschichtelehrer vom Mittelalter zu berichten. Doch damit kann ich mich jetzt nicht auseinandersetzen, obwohl Geschichte zu meinen Lieblingsfächern gehört. Ich bin gerade von Tobias, dem tollsten Kellner, den ich kenne, nach einer Freistunde in die Schule gebracht worden. Und morgen Abend werde ich mit meiner Familie beim Weihnachtsessen sitzen und er wird fragen, was wir denn wünschen und mich mit seinen hellen Augen fest ansehen.

Auch von den darauffolgenden Stunden bekomme ich wenig mit. Nach der Neunten dann endlich das erlösende Läuten, und ich habe endlich in Ruhe Zeit weg, in eine Traumwelt zu gleiten.

Doch ganz so toll ist die Welt nicht, denn mein Bruder braucht Hilfe in Englisch und so schlage ich mich mit der Grammatik der spannenden englischen Sprache herum, anstatt mir alle möglichen tollen Situationen auszudenken.

Am nächsten Tag bin ich mit meinen Gedanken weit weg vom Unterricht und den Lehrern. Meine Freundin Sarah und ich beratschlagen, was ich anziehen soll und wie ich mich verhalten werde. Damit verbringen wir die ersten viereinhalb Stunden, um dann alles nochmal zu verwerfen. Nach dem Läuten bin ich die Erste, die das Schulgebäude verlässt. Aufgeregt und schon im Weggehen höre ich noch Sarahs Glückwünsche, dann bin ich auf der Straße und auf dem Nachhauseweg.

Zu Hause ziehe ich mich schnell um und dann müssen wir auch schon los. Ich bekomme feuchte Hände und zwischendurch ist meine Stimme nicht so wie ich will. Das ist alles vorher, denn als er vor mir steht, bin ich cool, äußerlich zuminderst, mein Herz klopft mir bis in den Hals und ich habe das Gefühl, man sieht es unter dem T-Shirt. Aber alles verläuft normal, ich verschütte nichts, patze mich nicht an oder löse sonst eine Katastrophe aus.

Ich gehe auf die Toilette und da steht plötzlich Tobias vor mir, als ob er gewusst hätte, dass ich vorbei gehen würde. Wir reden kurz und ich habe das Gefühl, als wolle er mit mir flirten. Da pocht schon wieder mein Herz. Wir haben fertig gegessen und wollen bezahlen, da läutet mein Handy.

»Hallo, hat es euch geschmeckt?«

Im ersten Moment bin ich sprachlos, aber dann quatschen wir am Telefon. Ohne Vorwarnung fragt Tobias, ob ich denn Lust hätte mit ihm sozusagen als Spezial-Service was trinken zu gehen. Mein Herz macht Luftsprünge. Mama erlaubt es, ich glaube, er war ihr sympathisch. Eine halbe Stunde später sitze ich in einer gemütlichen Bar und schlürfe an einem Cocktail, nach Empfehlung des Spezialisten.

Mein Herz weiß zu diesem Zeitpunkt wieder die normale Frequenz und diese ändert sich nur, wenn er unabsichtlich gegen meinen Fuß tritt oder über den Tisch nach seinem Feuerzeug greift. Wir reden über alles, was uns gerade einfällt und am Ende fragt er mich, ob ich am Wochenende mitgehen möchte zum Snowboarden. Ich sage zu, mit der kleinen Einschränkung: »Wenn's die Mama erlaubt."

Dann bringt er mich nach Hause und am selben Abend telefonieren wir noch. Als er mir dann noch süße Träume wünscht, ist an Schlaf gar nicht mehr zu denken. Am Wochenende erkundige ich mich, ob das Snowboard-Angebot noch gelten würde. Tobias sagt nicht fix zu, wehrt sich aber, als ich vorschlage, die ganze Sache zu vergessen. Er verspricht mich am nächsten Morgen anzurufen und Bescheid zu geben. Am Abend stelle ich mir den kommenden Tag vor. Ich freue mich darauf, male mir aus, dass vielleicht mehr als nur Freundschaft zwischen uns zustande kommt.

Doch dann am nächsten Morgen schaut meine Welt nicht mehr so rosig aus. Denn Tobias ruft nicht an.

Ich bin traurig. Nach einem trotzdem schönen Snowboard-Tag sehe ich, dass er sein noch etwas mit Schnee bedecktes Snowboard an die Hauswand gelehnt hat, und da wandelt sich diese Traurigkeit in Wut um und mein Herz klopft wieder bis zum Hals. Ich muss wissen, warum, deshalb rufe ich ihn an und bedanke mich für den seinen Anruf. Er findet unglaubwürdige Ausreden und am Ende entschuldigt er sich, weil er es vergessen hat.

Als er aufhören muss, gibt er seinem Freund Daniel das Handy und der tut so, als sei er Tobias. Da ich beide schon seit einiger Zeit kenne, bemerke ich den Unterschied. Weil ich wütend bin, fahre ich ihn an, ob er mich wirklich für so blöd hält und sage, dass mich so etwas nicht interessiere. Dann ist Funkstille, meine Wut verwandelt sich wieder zurück in Traurigkeit und Ratlosigkeit. Es sieht doch so toll aus, ich habe mir so schöne Situationen vorgestellt und jetzt das.

Am nächsten Tag lenke ich mich ab und treffe mich mit Freunden in unserem Stammlokal. Bei meinem Glück treffe ich auch Tobias, doch er schaut mich nur kurz an und dreht sich dann weg. Er grüßt mich nicht einmal. Die Wut wird wieder geschürt und mein Herz beginnt langsam zu pochen, ganz gleich wie noch vor einigen Tagen aus Aufregung.

Es ist aus, vorbei, ich bin traurig, wütend, hoffnungslos und enttäuscht zugleich. All diese Gefühle werden vom Pochen meines Herzens begleitet.

An einem der nächsten Tage verspreche ich mir selbst, mich nicht mehr zu verlieben, mein Herz nie mehr so wegen eines Burschen höher schlagen zu lassen. Ich wollte mich davor schützen, noch einmal so etwas zu erleben. Es folgen einige Wochen, in denen ich mich verkriechen möchte. Nichts kann mich aus meinem Schneckenhaus holen, obwohl sich meine Freundinnen ehrlich bemühen, mir darüber hinwegzuhelfen. Sie laden mich ins Kino ein, wollen mit mir weggehen und stellen mir einige neue Bekannte vor, die ihrer Meinung nach einen besonders tollen Körper, schöne Augen haben und besonders nett sind. Mich interessiert keiner, meine Gedanken sind ständig bei Tobias und nagen an dem großen WARUM in meinem Kopf

Doch dann, einige Monate später, lehne ich in einer Ecke unseres neuen Stammlokales und ein tolles Lied zum Tanzen wird gespielt. Ich tanze für mein Leben gern und da kommt dieser Bursche vom Nebentisch herüber, den meine Freundinnen schon die ganze Zeit beobachten, und er lächelt verlegen und fragt, ob ich mit ihm tanzen möchte. Kein Mensch ist auf der Tanzfläche, es ist noch zu früh. Aber nach kurzem Zögern gehe ich mit. Mir gefällt Spontaneität. Während des Tanzens bemerke ich es, mein Herz klopft wieder und mir ist es nicht unangenehm. Es ist ein schönes Gefühl, und jetzt fallen mir auch die dunkelbraunen großen Augen auf und die süßen Lachfalten um seinen Mund.