Judith Schulz (10)

Der Faschingsgeist

Jeder stellt sich unter Geistern etwas Anderes vor. Für die Einen ist ein Geist jemand, der Wünsche erfüllt. Wie bei Aladdin und der Wunderlampe. Oder ein gruseliges Schlossgespenst. Ältere Leute meinen, dass Geister Verstorbene sind oder Geister der Luft, also Luftgeister. Aber ich will euch von einem ganz anderen Geist erzählen.

Das alles passierte einige Tage vor dem Faschingsdienstag. Ich ging gerade von der Schule nach Hause und grübelte darüber nach, als was ich im Fasching gehen sollte. Bei einer Ampel blieb ich stehen. Plötzlich fiel mein Blick auf einen alten Laden. Er war mir noch nie aufgefallen. Obwohl die Ampel schon grün war, marschierte ich nicht über die Straße, sondern steuerte auf den Laden zu. Denn ich hatte über dem Laden ein Schild entdeckt mit der Aufschrift »Faschingsverkleidungen für Groß und Klein«.

Ich betrat den Laden. Hier roch es sehr muffig. Überall lagen und hingen Verkleidungen und Masken herum. Plötzlich hörte ich Schritte näherkommen. Schnell drehte ich mich um. Hinter mir stand ein Männlein, verhüllt in einen Schlafrock, ein großer Turban schmückte seinen Kopf. Eine hohle Stimme sagte: »Hallo mein Kind! Was willst du denn haben?«

»Ehm, ich habe gar kein Geld mit und wollte nur schauen, was es hier so gibt«, stotterte ich. Eine Zeitlang war Schweigen im Raum. Plötzlich brach der Mann zusammen. Ich sprang auf und sah mich um, ob es hier ein Telefon gab. Doch bevor ich noch nachdenken konnte, ob ich hinausrennen und Hilfe holen sollte, stand der komische Mann wieder auf.

»Tut Ihnen irgend etwas weh?« fragte ich besorgt.

»Ach nein, ich bin nur sehr schwach. Außerdem, so was kommt bei mir öfter vor«, meinte er.

»Waren Sie schon bei einem Arzt?« fragte ich.

»Ärzte können mir nicht helfen«, seufzte der Mann.

Mir tat der arme Mann leid und darum meinte ich: »Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«

Zu meiner Überraschung nickte der Faschingsverkleidungsverkäufer und meinte: »Wenn mir jemand helfen kann, dann bist du es. Nun erzähle ich dir etwas. Wer glaubst du, wer ich bin?«

»Ein armer alter Mann…«

Weiter kam ich nicht, denn der Mann lachte und flüsterte: »Nein, oh nein. Ich bin ein Faschingsgeist!«

Ihr könnt euch vorstellen, wie ich erschrak. Doch ich fand meine Sprache wieder und fragte vorsichtig: »Bitte, mich interessieren Geister. Aus was bestehen sie?«

»Also, ich bestehe aus Erinnerungen.« Als der Geist merkte, dass ich nicht verstand, meinte er ruhig: »Die Leute denken im Fasching nur an Krapfen und das Verkleiden. Dabei ist Fasching etwas ganz Anderes.«

Ich muss zugeben, so genau verstand ich nicht, was er meinte. Das musste er gemerkt haben, denn er sprach weiter: »Vor vielen Jahren glaubten die Leute, dass es im Winter böse Geister gäbe. Da verkleideten sie sich, um diese Geister zu verjagen. Lange Zeit wussten die Menschen noch, was Fasching wirklich war. Doch heute denkt fast niemand daran und deshalb geht es mir nur dann gut, wenn die Menschen an den wirklichen Fasching denken.«

Mit diesen Worten beendete der Geist seine Erklärung. Ich war entsetzt. Bevor ich etwas sagen konnte, fiel mir ein, dass ich eigentlich nach Hause musste und ich sagte: »Ich muss jetzt weg. Aber ich helfe…« Während ich noch sprach, war ich schon draußen.

In den nächsten Tage hatte ich sehr viel zu tun. Ich fragte meine Lehrerin, ob ich ein Referat über den richtigen Fasching halten durfte. Sie war einverstanden.

Dann erfand ich ein Lied über diese Geschichte und sang es bei einer Faschingsparty. Außerdem ging ich als Faschingsgeist und jeder, der mich fragte, was das sein sollte, musste sich diese Geschichte anhören.

Ich hatte gute Arbeit geleistet. Denn meinem Freund, dem Faschingsgeist, ging es sehr gut. Doch ich hatte immer noch nicht genug, und als ich diesen Artikel las, wusste ich, was zu tun war und ich setzte mich an den Computer und schrieb.

Wenn ihr an den wahren Fasching glaubt und ihn in Erinnerung behaltet, wird es meinem Freund gut gehen. Ich danke schon im Voraus.

 

Eine Weihnachtsgeschichte

Hoch oben im Himmel war eine große Aufregung. Petrus hatte bekannt gegeben, dass einige Engel dem Christkind Pakete einpacken, Christbäume schmücken und vieles mehr helfen sollten. Ein Engel namens Bengel wollte unbedingt dabei sein.

In vier Tagen sollten die Engel bestimmt werden. Bengel war sehr aufgeregt. Darum beschloss er, einen Spaziergang durch die Wolken zu machen. Außerdem wollte er die Sterne necken. »Ah, da ist schon einer!« Bengel riss und zerrte an einer Zacke des Sternes und – oh Pech – die Zacke brach ab. Der kleine Engel wollte davonfliegen. Doch wie aus dem Erdboden gewachsen stand plötzlich Petrus da. Er sah sehr böse aus.

»Dieser Stern muss nun ins Himmelspital! Und du bist schuld daran!« brüllte er böse. Dann zerrte Petrus Bengel zum Palast Gottes. Dieses Gebäude war sehr groß. Als der schuldbewusste Engel die hohen Säulen sah, vergaß er fast, warum er eigentlich hier war. Doch als er Gott so groß und gewaltig vor sich sah, wurde ihm klar, dass er sicher eine sehr schwere Strafe bekommen würde.

Der kleine Engel blickte zu Boden. Gott sprach: »Ich weiß, was du angestellt hast. Das war ein Fehler von dir und dieser Fehler wird bestraft. Beim Einpacken der Geschenke wirst du nicht dabei sein.« Eine schlimmere Strafe hätte es für Bengel nicht gegeben. Deshalb rief er: »Oh Gott, bitte alles, nur das nicht.«

Gott hatte Mitleid mit dem kleinen Kerl, und er versprach ihm, dass er mit durfte, aber nur, wenn er in drei Tagen unten auf der Erde drei gute Sachen machte. Bengel willigte ein. Er verließ den Palast. Morgen würde das Abenteuer beginnen.

Am nächsten Tag in der Früh weckte Petrus Bengel. »Ich finde, dass Gott viel zu viel Mitleid mit dir hat. Darum gebe ich dir auch eine Strafe. Ich nehme dir deinen Heiligenschein weg, damit du alleine nicht zurückkommen kannst«, sagte Petrus und nahm Bengel den Heiligenschein.

»Auf Wiedersehen!« rief er noch. Plötzlich löste sich die Wolke auf, auf der Bengel stand und er fiel, fiel und fiel. Von irgendwoher hörte der kleine Engel noch die Stimme von Petrus, die ihm nachrief: »Deine Flügel werden auf der Erde unsichtbar…«

Bengel wusste selbst nicht, wie lange er geflogen war. Irgendwann aber landete er auf einer harten Straße neben zwei Mülltonnen. Eine Katze, die es sich dort gemütlich gemacht hatte, sprang auf. »Entschuldigung, ich wollte nicht stören«, meinte der Engel zu der Katze. »Macht nichts«, schnurrte diese. Auf einmal rumpelte es ganz in der Nähe. Bengel fuhr vor Schreck hoch.

»Ach, das ist nur mein Magen. Ich habe schließlich seit Tagen nichts mehr gegessen«, beruhigte die Katze ihn und schon waren die beiden in ein Gespräch verwickelt, in dem sich herausstellte, dass die Katze Lilli hieß und kein Zuhause hatte. Sie wusste inzwischen auch schon, wer Bengel war und weshalb er hier war.

Jetzt war es schon sehr dunkel geworden, und weil Lilli und Bengel sich gegenseitig ohnehin nicht helfen konnten, flog der kleine Engel weiter. Es sah sehr lustig aus, wie Bengel flog, denn man sah ja seine Flügel nicht.

Lautlos schwebte er aus dem Dorf hinaus. Bei einem Bahnhof bog er links ab. Er wollte in die Berge, denn dort war es still und friedlich. Ideal zum Nachdenken. Als er endlich oben war, sah Bengel eine Hütte.

»Vielleicht wohnt hier einer, der mich braucht«, dachte der Engel froh. Als er klopfte, rief eine krächzende Stimme »Herein!« Bengel öffnete die Türe. In einem kleinen Zimmer saß am Ofen eine alte Frau.

»Grüß Gott, meine Dame! Ich bin Bengel. Ich wollte nur fragen, ob ich hier übernachten darf.« Die alte Frau nickte und verzog den Mund ein bisschen, sodass es einem Lächeln ähnelte. Mit einer zitternden Handbewegung erklärte sie Bengel, dass er sich hin setzen sollte. Er setzte sich also gegenüber der alten Frau und musterte sie. Sehr traurige Augen blickten ihm entgegen. Diese Augen gefielen unserem Engel überhaupt nicht. Schweigend beobachteten sie einander. Da hielt es Bengel nicht mehr aus und er fragte: »Warum schauen Sie so traurig?«

»Ach, es ist so: Meine Kinder haben mich verlassen. Beide konnten so schön singen und jetzt wo sie weg sind, habe ich keine Freude mehr.«

Bengel seufzte. Wie konnte er hier nur helfen? Draußen sang ein Vogel. Dieser Vogel brachte Bengel auf eine Idee. Er begann lauthals zu singen. Die alte Frau sang vor Freude mit. So hatte der kleine Engel ihr Singen gelehrt. Sie blieb ihr ganzes Leben glücklich. Bengel aber schlich leise den Berg hinunter. Denn er hatte dort unten einen Fischer entdeckt, der seine Hilfe brauchte.

Bengel war unten angekommen. Auch bei dem Fischer wurde er eingelassen. In seiner Hütte waren überall Fische. Er selbst hatte kummervolle Augen und einen Bart. Bengel wurde zu einem Fisch eingeladen und der Fischer sprach: »Ich lebe hier ganz alleine. Arm bin ich auch, obwohl ich so viele Fische habe, dass ich darin baden könnte.« Bengel meinte: »Ich kann dir vielleicht helfen. Bin gleich wieder da.« Er raste zum Bahnhof und kletterte auf einen Waggon mit der Aufschrift ‚Katzental‘. Es war schon nach Mitternacht und der kleine Engel schlief auf der Stelle ein.

In der Früh wurde er von einem Miauen geweckt und da stand Lilli.

»Guten Morgen! Schön, dass ich dich treffe. Komm mit!« sagte Bengel und flog mit der verdutzen Lilli im Arm zu dem Fischer. Auf dem Weg hatte Bengel Lilli erklärt: »Ich trage dich jetzt zu einem Fischer, der so viele Fische hat, dass du nie mehr zu hungern brauchst.« Ja, und so war es dann auch. Die beiden waren sehr froh und dankten Bengel. So war der Fischer nicht mehr einsam und die Katze hatte immer genug zu fressen. Der kleine Engel aber schlich nun sehr müde zu einem hohlen Baum, kroch hinein und schlief.

Der nächste Tag war kalt und Bengel fror sehr. Keine Menschenseele war zu sehen. »Ich werde zu einem Haus gehen und fragen, ob ich etwas helfen kann.«, kam es Bengel in den Sinn. Gesagt – getan. Aber leider ließ man ihn nirgends ein. Bei dem sechsten Haus öffneten ein Bäcker und seine Frau. Hier durfte er Kekse backen helfen. Den ganzen Tag war Bengel bei den Bäckern. Er knetete Teig, stach Kekse aus und, und, und…

Am Abend wollte sich Bengel verabschieden. Bengel gab gerade dem Bäcker die Hand, als eine Wolke im Himmel sich öffnete und eine Stimme sprach: »Bengel, du kannst wieder zurückkommen!« Und da schwebte Bengels Heiligenschein herab und der Engel hob ihn auf und ab ging es in den Himmel.

Bengel durfte jetzt dem Christkind helfen und auch mitkommen, wenn es die Christbäume in die Wohnungen trug. Und vielleicht ist auch dein Baum von ihm geschmückt worden.