Judith Schulz (10)

Prinzessin oder Magd

Gelangweilt saß Prinzessin Li Si auf ihren weichen Kissen. Obwohl sie reich war und viele Dinge besaß, war sie unglücklich. Li Si sah über ihren großen Garten hinweg und wartete darauf, dass die Türe aufgehen und ihre neue Magd hereinkomme würde. Die junge Prinzessin strich ihr Kleid glatt und lauschte. Sie hörte Schritte auf dem Gang.

Die Türe ging auf, und herein kam eine Magd mit langen blonden Haaren, blauen Augen und einem hübschen Gesicht. Li Si musterte sie genau und ihr fiel auf, dass sie der Dienerin sehr ähnlich sah.

Einige Tage später waren die beiden gute Freundinnen. Doch Li Si bemerkte, dass die Magd namens Ida nicht besonders glücklich war. Deshalb fragte sie: »Aber Ida, was bedrückt dich denn?«

Darauf antwortete ihre Dienerin leise: »Ach, Eure Majestät, ich wäre gerne wie Ihr. Ich besitze überhaupt nichts und muss Tag und Nacht arbeiten. Wie gerne wäre ich so glücklich wie Ihr.«

»Du irrst dich. Ich muss immer fein reden und knicksen lernen«, meinte Li Si nachdenklich.

Langes Schweigen, bis es von Li Si gebrochen wurde. »Wir könnten tauschen. Wenn du meine Kleider anziehst und dich wäschst, siehst du aus wie ich.«

Ida hatte Angst, gab aber doch nach. Li Si beschmierte ihr Gesicht mit Dreck und zog Idas schmutziges Kleid an. Ida machte sich eine schöne Frisur und zog die Gewänder von Li Si an. Kaum waren beide fertig, klopfte es an der Tür.

Ida flötete: »Herein!«

Der König trat ein und meinte: »Li Si, ich habe einen Ehemann für dich.«

Ida lächelte und trippelte hinter dem König her.

Li Si musste indessen Betten aufschütteln und Essen kochen. Doch sie hatte noch nie gekocht und fand es sehr schwer.

Inzwischen lernte Ida den Prinzen von Eulenburg kennen. Er gefiel ihr sehr. Weniger aber ihre Hofdamen, die ihr immer und überall hinterher rannten und riefen: »Oh Prinzessin, wir müssen noch das Einmaleins üben!« Oder: »Prinzessin, Euer Kleid ist staubig!«

Am Abend erzählten Li Si und Ida einander, was sie erlebt hatten. »Also, ich habe einen Küchenjungen kennengelernt. Der ist echt süß«, erzählte Li Si.

»Und ich den Prinzen von Eulenburg. Der ist echt toll«, meinte Ida.

Am liebsten hätte Prinzessin Li Si den Küchenjungen und Ida den Prinzen von Eulenburg geheiratet. Doch wenn sie das machten, müsste Ida immer eine Prinzessin und Li Si immer ein Dienstmädchen bleiben, da es nicht erlaubt war, dass Adelige und Dienstboten einander heiraten. Trotzdem entschieden sie sich für ihre Liebe.

Einen Tag vor der Hochzeit erzählten Ida und Li Si ihren zukünftigen Ehemännern, wer sie seien, und da stellte sich heraus, dass auch die jungen Männer getauscht hatten. So konnten sie heiraten, in ihre ursprünglichen Rollen zurückkehren und blieben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.