Judith Schulz (10)

Eine Hexe oder nicht

»Psst, leise!« flüsterte Max Uschi zu. Die beiden waren auf Urlaub, und draußen regnete es die ganze Zeit. Deshalb wollten sie Leute beobachten, und nun erregte gerade eine komische Dame ihre Aufmerksamkeit.

»He, ich will durchs Schlüsselloch schauen!« regte sich Max auf.

Doch Uschi wollte nicht wegrücken, denn sie beobachtete, wie die Dame einige Worte vor sich hin murmelte und dann einen grünen Saft trank. Und jetzt nahm sie auch noch einen Besen und stieg aus dem Fenster.

»Max, sieh mal!« flüsterte Uschi mit zitternder Stimme, und auch Max wurde Zeuge eines merkwürdigen Vorfalles.

Die Geschwister rannten in ihr Zimmer und Uschi sagte aufgeregt: »Du, ich glaube, das ist eine Hexe.«

Max nickte.

Am nächsten Tag schauten die beiden wieder durchs Schlüsselloch. Doch sie konnten nichts Außergewöhnliches entdecken.

Danach mussten die Kinder mit ihren Eltern einen Ausflug machen, der bis zum Abend dauerte.

Max war verzweifelt. Heute würden sie heimfahren. Also mussten die Kinder heute noch alles über die Hexe erfahren. Uschi und Max wollten das Zimmer der Hexe durchsuchen. Gesagt, getan. Ratlos sahen sich Max und Uschi im Zimmer um.

Plötzlich ging die Türe auf, und die Hexe betrat den Raum. Max schrie: »Sie sind eine Hexe! Geben Sie es zu!«

Verblüfft betrachtete die Hexe die beiden Kinder. Nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte, sagte sie: »Ja, ich bin eine Hexe. Aber ich kann euch nichts hexen, weil…«

Da riefen die Eltern von Uschi und Max ihre Schützlinge, und die Geschwister mussten nach Hause fahren.

Als die Hexe alleine war, sagte sie lächelnd zu sich: »Ich wollte die Kinder nicht enttäuschen. In Wirklichkeit bin ich nämlich gar keine Hexe, sondern nur ein Filmstar. Ich wollte für den Film ‚Hexen in der Großstadt‘ üben.«

Es war schon spät, und die falsche Hexe ging schlafen.

Die Kirchenglocke schlug zwölfmal. Beim letzten Glockenschlag wurde das Fenster aufgerissen, und plötzlich saß auf dem Fensterbrett eine dunkle Gestalt mit Spitzenhut. Sie sprang auf den Boden und sah sich um.

Es muss der kalte Windstoß gewesen sein, der die falsche Hexe weckte. Als sie die schattenähnliche Person sah, wollte sie schreien. Doch die Gestalt zischte: »Leise!«, schnippte mit den Fingern, und plötzlich ging das Licht an.

Die Schauspielerin sah eine magere Frau in einem schwarzen Kleid. Die Fremde erklärte: »Ich komme im Auftrag der Oberhexe, und ich soll Ihnen dieses Fläschchen geben. Wenn Sie den Inhalt trinken, werden Sie auch zu einer Hexe und können uns helfen, Kinder glücklich zu machen. Ich schwöre Ihnen, es wird nichts passieren.«

Die Schauspielerin nahm das Fläschchen und trank. So wurde sie zu einer Hexe, und wenn euch eine Frau so richtig glücklich macht, dann war es eine Hexe. Vielleicht ist eure Mutter auch eine. Ihr könnt sie ja mal fragen.