Patrick Rudelstorfer (12)

Rudi Ratte auf großer Fahrt

»Verdammter Rattenscheiß! Ich will endlich von hier fort!« schrie Rudi, als er wieder mal in einen Rattenhaufen hinein getreten war. »Ich halte das nicht länger aus! Überall nur Dreck, nur Dreck im ganzen Kanal. Kaum hat man aufgeräumt in seiner Dose, schwimmt schon wieder ein stinkiger Schwall Wasser hinein.«

Rudi ist eine Ratte, aber keine gewöhnliche. Er ist eine sehr ordnungsliebende Ratte und hasst es, wenn andauernd alles schmutzig ist. Rudi lebt bereits seit drei Jahren im Kanal, und sein wohlhabenes Zuhause ist eine blecherne Öldose, in der er sich’s mit etwas Stroh und Mandarinen gemütlich machen wollte. Doch mittlerweile ist das Stroh nass und die Mandarinen sind verfault. Zwar holt sich Rudi alle paar Tage frische vom Obsthändler, aber da bekommt er auch nur die zu schnappen, welche schon verrunzelt sind und am Boden liegen.

Rudi wollte also weg. Weg vom ekligen Kanal, hinaus in die weite Welt. Und wo er dann geblieben ist, das erzähle ich euch jetzt: Es war an einem regnerischen Sonntag, Rudi saß vor dem Kanaldeckel heraußen auf den Wiese und schaute hinüber zum Bahnhof. Eine altmodische Lok kam gerade angefahren und stieß fröhliche Dampfwölkchen in die Luft.

Rudi rannte nun, so schnell er konnte, hinüber und sprang mit einem Satz in die hinterste offene Tür. Der Zug hatte nur zwei Waggons, und es stiegen auch nur vier Leute in den vordersten Waggon zu. Im hintersten keiner. Nach kurzem Umblicken wusste Rudi auch, warum. Denn bei ihm waren keine Kabinen, sondern nur grüngestreifte Holzkisten. Er sah sich weiter um und bemerkte, dass hinter ihm eine solche Kiste offen stand. Genauer gesagt war der Deckel etwas verschoben. Rudi konnte sich mit seinem Fettbauch gerade noch durchzwängen und fand sich in weicher Holzwolle wieder.

Müde von den letzten Minuten, schlief er gleich ein und träumte von einer schönen Wohnung mitten in einer Blumenwiese. Und er wurde nicht einmal wach, als die Lok einen grölend, schrillen Pfeifton von sich gab und in einen riesigen Bahnhof einlief.

Einige Männer schnappten sich die grünen Kisten und trugen sie fort in einen Lastwagen, wo sich bereits andere Kisten, Schachteln und Pakete türmten.

»Klapp Klappklepack« schepperte es, als Rudi wieder aufwachte. Der Deckel seiner Holzschachtel, in der er lag, rutschte hin und her.

Rudi Ratte schlüpfte schnell hinaus und versuchte, durch die vielen Pakete nach oben zu klettern. Das war gar nicht so einfach, und einmal hätte er sich seine Nase fast bei einer nicht verpackten Mäusefalle eingeklemmt. Trotzdem gelang es ihm, den Päckchenberg zu überwinden. Nach kurzem Überlegen beschloss er, auf dem Laster zu bleiben und zu warten, bis der stehenblieb.

Die Überlegung hätte er sich sparen können, denn schon nach der nächsten Häuserecke blieb der Laster stehen. Direkt vor dem Flughafengebäude. Ein wunderschönes Flugzeug ließ gerade die Treppe für die Passagiere herunter.

Diese Chance wollte Rudi nützen, und er sprang in Zick-Zack-Bögen über den Flughafenplatz. Das sah wirklich komisch aus, und eine alte Oma ließ vor Schreck ihren Gehstock fallen.

Als Rudi dann auf der Flugzeugtreppe war, versperrte ihm eine dicke Frau den Weg ins Flugzeug. Rudi konnte nicht anders und biss der Frau ins Wadenbein.

Sie kreischte auf und stürzte vor. Nun konnte Rudi vorbei und suchte sich ein schönes Plätzchen, das allerdings beim Start des Fliegers geändert wurde, weil er vier Meter nach hinten purzelte.

Nach etwa eineinhalb Stunden Flugzeit bekam Rudi aber Hunger, und da er ohne Proviant war, musste er der Stewarddess etwas abknöpfen. Die kam auch schon daher mit ihrem Wagerl, wo komisch riechende Hühnchen mit verbrannten Kartoffeln standen.

Da Rudi ausschließlich Vegetarier war, wollte er nur die Kartoffeln. Geschickt, wie er war, wartete er auf einem Sitz, bis das Wagerl angerollt kam. Mit einem Satz sprang er auf einen Teller, schnappte sich eine Kartoffel und fiel gleich auf den Boden. Die Kartoffel kullerte unter einen Sitz, wo sie genüsslich von Rudi verschlungen wurde.

Kaum war die Kartoffel hinunter, setzte das Flugzeug schon zur Landung an. Gesund und rund stieg Rudi aus. Er taumelte noch ein bisschen, aber das hörte sofort auf, als er einen Omnibus erblickte.

Sofort zischte er los. Fast wäre er in der Bustür stecken geblieben. Der Wagen war gesteckt voll, so dass Rudi Acht geben musste, nicht zertreten zu werden. Beim ersten Aufgehen der Tür, sprang Rudi hinaus und wetzte über die Straße.

Ein plötzlicher Platzregen wurde Rudi zum Verhängnis, weil er seine Regenjacke nicht mit hatte. Eine Papiermülltonne war seine letzte Deckung.

Leider kam in diesem Moment die Müllabfuhr daher und kippte das Papier samt Rudi in den Wagen. Rudi strampelte, um nicht im Papiermeer unterzugehen. Irgendwie schaffte er es auch, aus dem Müllwagen zu flüchten.

Nach einer weiteren Fahrt mit der U-Bahn, einem Taxi und einem Kinderwagen, bei dem er allerdings von der Mutter einen Schlag mit der Handtasche bekam, war er endlich am Ziel. Eine wunderschöne Blumenwiese mit naheliegendem Wald. Und was besonders zählte, war die Kleinstadt, die nur zwei Kilometer von seiner zukünftigen Wohnung, die ein verlassener Kaninchenbau darstellte, entfernt war. Schon bald fand Rudi viele Freunde und wohnte glücklich und ordentlich sein ganzes Leben lang.