Sophia Reissner (13)

Es geschah im Wald

Zu dem Anwesen der Bicconellis gehörte nicht nur ein unerhört großes Schwimmbecken, dessen Ausmaße denen des Madison Square Gardens in New York nahekamen, sondern auch ein Wald. Ehrlich gesagt war es nur ein kleines Stück des wirklichen Waldes. Ein ganz kleines Stück. Und ganz ehrlich gesagt war es nur eine Hand voll Bäume, die durch Zufall auf dem Grundstück gewachsen waren. Aber es reichte, um dem Plan von Seniore Bicconelli die Verwirklichung möglich zu machen. Dieser Plan war, Geld zu verdienen ohne zu arbeiten, und dabei sollte dem alten Bicconelli dessen Frau helfen. Unfreiwillig, versteht sich, denn wer will sich schon umbringen lassen, damit der Lebenspartner frühzeitig erben kann?

Auf jeden Fall wollte der alte Seniore nicht mehr länger auf die Begegnung seiner Frau mit Petrus warten und beschloss, diese ein wenig zu beschleunigen. Dass dabei einige Schwierigkeiten auftreten, ist klar. Vor allem dann, wenn die Nachbarsfrau eine unerträgliche Quasseltasche und dazu auch noch sehr bekannt ist, die den Tag damit verbringt, mit einem Fernrohr am Küchenfenster zu sitzen, um die Bicconellis »mal ordentlich zu durchschauen«. Dass diese Arbeit jetzt schon zweiundzwanzig Jahre dauerte, fiel der Guten nicht auf.

Aber da gab es ja noch den streunenden Chihuahua, der jeden Morgen seine äußerst wichtigen Geschäfte auf dem Blumenbeet der Seniora Bicconelli erledigte und immer am Abend ein Bad im Schwimmbecken nahm – ungebeten. Das ging schon mehrere Jahre so, und mittlerweile konnte man meinen, dass der Hund die Bicconellis besser kannte, als sie sich selbst. Er schien zu jeder Zeit zu wissen, was sie taten, und das machte dem Seniore ein bisschen Angst, denn was sollte er machen, wenn der Hund irgendwen zu der Leiche führte? Es gab zwar noch keine, aber bald, und dazu musste das nette Tierchen aus dem Verkehr gezogen werden. Doch an erster Stelle stand der Abgang der Seniora, welchem sich der Alte vor dem des Hundes widmen wollte. Vorneweg natürlich die Frage: »Wie leg’ ich sie um?« Seniore Bicconelli grübelte die ganze Sonntagsnacht darüber, bis er sich schließlich zwischen drei Möglichkeiten für die leiseste entschieden hatte.

Die Seniora liebte Ratten und hatte auch welche. Untypisch für eine Frau, aber es war die Lösung für den Seniore. Es hatte sich herausgestellt, dass die Ratten, wenn sie von der Seniora entfernt wurden, sofort wieder zu ihr zurückkehrten. Und es hatte sich auch herausgestellt, dass in der Villa viele Kabel waren. Also nahm der Seniore eines Nachts vor dem Zimmer seiner nichtsahnenden Frau Aufstellung. Eine Ratte in der linken Hand, ein Kabel in der rechten, und eine Fernbedienung und ein Lederband vor sich auf dem Boden. Die Ratte war etwas nervös, begann aber nicht zu schreien, was den Seniore nur unnötig verraten hätte.

Die Seniora schlummerte friedlich in ihrem Bett, während sich der Seniore an die Arbeit machte. Den Strom hatte er vorher mit der Fernbedienung ausgeschaltet, damit er der Ratte das Kabel umbinden konnte, ohne sich einen Stromschlag zu verpassen. Das aufgeschnittene Ende des Kabels hing vorne über den Kopf der Ratte, der Rest wurde hinten nachgezogen. Der Seniore setzte die Ratte auf den Boden und schubste sie in Richtung ihres Frauchens, damit sie ihr Ziel auch ja nicht verfehlte oder gar zu ihm zurückkam. Die Ratte watschelte aufgeregt auf das Bett der Seniora zu, und der alte Italiener konnte erleichtert aufatmen. Die Ratte schaffte die paar Meter ohne Zwischenfälle, nur an der Bettkante scheiterte sie. Es war auch nicht leicht, das achtfache seiner Körpergröße mit einem schweren Kabel auf dem Rücken zu erklettern. Der Seniore war schon kurz davor, hinzukriechen und die Ratte auf das Bett zu heben, doch endlich hatte der Nager den Trick heraußen und sah sich glücklich auf der weichen Matratze um. Wie der Seniore gehofft hatte, setzte die Ratte ihren Weg unter der Decke fort. Als der Seniore sah, wie der kleine Hügel sich zum Kopf der Seniora vorarbeitete, schaltete er den Strom mit der Fernbedienung wieder ein.

Später wusste man nicht, wie es ausgesehen hatte, als der Stromschlag die Tätigkeiten der beiden Herzen einstellte (die Ratte hatte es natürlich auch erwischt), denn der Seniore war seiner Frau wenigstens so treu geblieben, dass er bei ihrem von ihm verursachten Tod weggesehen hatte.

So, nun hatte sich das erledigt. Doch man konnte eine Leiche nicht im Haus behalten, auch wenn sie einmal eine Ehefrau gewesen war. Der Seniore knipste den Strom wieder aus, damit er schön bequem die rauchenden Reststücke der Seniora vom Bett ziehen konnte. Natürlich zog er sich dabei Handschuhe an, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen.

Manchmal, in Werbungen und ähnlichem, sieht man wie die Männer die Frauen tragen, als ob sie nicht schwerer wären als drei Packungen Heidelbeerjoghurt. Aber das ist nicht immer so und erst recht nicht dann, wenn der Mann über fünfzig ist und die Frau tot. Seniore Bicconelli auf jeden Fall hatte seine liebe Mühe mit dem Tragen seiner blonden Jugendliebe. Die Ratte ließ er im Bett liegen, für die war später noch Zeit, so wie auch für die angeschwärzte Bettwäsche. Schnaufend und polternd schleppte Bicconelli seine ehemalige Ehefrau die Marmortreppe hinunter in die Eingangshalle, wo er sich erst einmal einen kleinen Pflaumenschnaps gönnen musste. Es war bestimmt einfacher, die Leiche zu tragen, wenn man munter war.

Nachdem der Seniore neue Energie getankt hatte, warf er sich die Seniora wieder über den Rücken. Es dauerte auch nicht lang, da erreichte er die Haustür. Er stieß sie mit dem Fuß auf (zur Zeit hatten die Hände andere Arbeit zu erledigen) und wollte schon unterm Türstock hervorhechten, als ein typisches Chihuahua-Knurren seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Das zarte Tier hockte mit großen, braunen Chihuahua-Augen, aus denen der typisch freche Chihuahua-Blick leuchtete, chihuahuagemäß keine Chihuahua-Körperlänge von der Tür entfernt auf dem gepflasterten Boden und frierte sich die kleinen Chihuahua-Knochen ab. Anscheinend kam der Hund gerade von seinem allabendlichen Entspannungsbad im Schwimmbecken zurück. Doch wenn er auf ein warmes Handtuch gehofft hatte, dann war er zur falschen Zeit gekommen. Bevor ein Beobachter auch nur »Chihuahua-Brusthaar« hätte sagen können, schlug der Seniore die Tür mit einem Knall zu, dass es dem winzigen Hund fast die Wimpern weggeweht hätte.

Noch mit dem Schreck in den Knochen ließ der Alte die Seniora auf einen Stuhl neben der Treppe fallen, doch das geht nicht so einfach, wie es in den Filmen immer aussieht. Eine Leiche zum Sitzen zu bringen, verlangt ordentlich Ausdauer. Man muss ja verhindern, dass der Tote nicht andauernd vom Stuhl rutscht.

Völlig erschöpft verzog sich der Seniore in sein Schlafzimmer. Er würde bis morgen warten, dann war der Chihuahua bestimmt schon weg.

Wenn es etwas gab, was der Seniore mindestens so hasste wie einst seine Frau, dann war das jemand, der in aller Herrgottsfrühe die Türklingel betätigte. Verschlafen stürzte der Alte die Stiege hinunter, um die Haustür mit dem gleichen Schwung aufzureißen, mit dem er sie am Abend vor dem Chihuahua zugeschlagen hatte. Als er sah, wer vor der Tür stand, war er kurz davor, die gestrige Aktion zu wiederholen. Es war die Nachbarin. Und an ihrer Seite saß niemand anderes als der kleine, magere Möchtegernhund.

»Guten Morgen, Herr Bicconelli!« krähte sie auf eine Art, die klarmachte, dass sie sich nicht so schnell wieder abwimmeln lassen würde, und rückte einen ihrer zahlreichen Lockenwickler zurecht.

Seniore Bicconelli nickte nur steif und setzte seine unfreundlichste Miene auf.

»Ist Ihre Gattin noch nicht wach?« fragte die Nachbarin neugierig und wies mit ihrer spitzen Nase, die sie in alles hineinstecken musste, zur Treppe, die man von der Haustür aus sehr gut sehen konnte.

Der Seniore drehte sich um und musste entsetzt feststellen, dass die Seniora immer noch in ihrem Stuhl lehnte.

»Sie ist sehr erschöpft«, knurrte Herr Bicconelli und machte Anstalten, die Türe zu schließen.

»Herr Bicconelli?« fragte die alte Nachbarin und drückte ihren Arm gegen die Tür. »Wenn sie so müde ist, dann weiß ich ein ausgezeichnetes Mittel dagegen. Ich hole es, warten Sie!«

»Lassen Sie sich Zeit!« konnte der Seniore der geschäftigen Frau noch hinterher rufen, dann war sie mitsamt Chihuahua hinter ihrer Hecke verschwunden.

Nun war es Zeit, etwas zu tun. Herr Bicconelli sprintete in den Keller und holte eine Schaufel, um sein Werk zu vollenden. Ohne sich durch seinen Morgenmantel behindern zu lassen, lud er sich die Seniora auf den Rücken und verließ eilig das Haus. Ein kurzer Kontrollblick in alle Himmels- und sonstigen Richtungen versicherte ihm, dass außer ihm und seiner selbst verursachten Leiche niemand anwesend war.

Das Waldstück lag nicht weit von der Villa entfernt, und als dem frischen Witwer seine Last zu schwer wurde, zog er sie am Fuß durch das feuchte Gras. Weiter ging’s, ohne Behinderung, nur als der Kopf der Seniora zwischen zwei Büschen stecken blieb, musste Herr Bicconelli etwas Fingerspitzengefühl beweisen.

Zum Glück tauchte niemand auf, nicht einmal der Chihuahua. Der Seniore konnte in Ruhe beginnen, das Grab für seine Frau zu schaufeln. Doch nach zehn Minuten war das Loch noch nicht tief genug, und der Seniore geriet ordentlich ins Schwitzen. Und nach weiteren fünf Minuten musste er seine Arbeit ungewollt einstellen, als er die von ihm meistgefürchtete Stimme vernahm.

»Herr Bicconelli? Wo sind Sie? Ich habe das Mittel gefunden!«

Und zu dieser freudigen Botschaft passte das hohe Bellen, welches kurz darauf folgte, natürlich perfekt.

Fluchend und zitternd vor Aufregung hob der Seniore seine Frau vom Waldboden auf und wollte sie ins Gebüsch zerren, als ein kleiner brauner Blitz an ihm vorbeiflitzte. Gefolgt von einem viel langsameren, aber noch viel unerwünschteren Blitz mit Lockenwicklern.

»Was tun Sie denn da, Herr Bicconelli?«, fragte die Nachbarin verwundert. In ihrer Linken trug sie eine Tasse mit heißem Tee, aus dem noch der Faden des Teesackerls hing.

»Ich mache ein Schlammbad für meine Frau«, antwortete der Seniore auf der Suche nach einer passenden Ausrede

»Ein Schlammbad?«

»Ja, ein Schlammbad. Und jetzt bitte ich Sie, zu gehen.«

»Aber was tun Sie denn da mit Ihrer Frau?« schrie die Nachabrin entsetzt, als sie die blasse Seniora sah.

»Wie schon gesagt, es geht ihr nicht gut. Auf Wiedersehen.«

Die Nachbarin runzelte nachdenklich die Stirn. »Sie führen etwas im Schilde, Herr Bicconelli«, zischte sie aufgebracht. »Ich werde die Polizei rufen.«

»Nein!« kreischte der Seniore erschrocken und stürmte auf die Nachbarin zu, welche ihre Stirn noch mehr in Falten legte.

»Also doch!« Und wie es nun einmal Gang und Gäbe war in der Blütezeit der Frau Nachbarin, nahm sie den ersten Stock den sie fand und schlug damit auf den verwirrten Seniore ein. Sie hörte nicht auf damit, und der Chihuahua feuerte sie kläffend an.

Von da an beschloss der Seniore, nie wieder eine Ehefrau umzubringen. Und wenige Minuten später hing er verzweifelt am Telefon und meldete sich selbst der Polizei, nur um von der schrecklichen alten Schachtel wegzukommen.