Susanne Opitz (10)

Der kühne Ritter Kunibert

Halle, ich bin das kleine Gespenst Heule-laut und wohne in der alten Burg Funkelstein. Mein Gespensterumhang ist schneeweiß, nur meine Augen leuchten kohlrabenschwarz. Auf Burg Funkelstein wohnen außer mir noch Ritter Kunibert und seine Familie, unzählige Ratten und Mäuse, eine Anzahl Spinnen und eine Fledermausfamilie. Pieps Fledermaus ist mein bester Freund. Wir hecken zusammen immer viele lustige Streiche aus. Eines Tages, als die Turmuhrglocke zwölf tiefe Schläge ertönen ließ, kroch ich wie immer aus der alten Ritterrüstung (ich pflege in der Ritterrüstung des Urgroßvaters von Ritter Kunibert zu übernachten) und reckte mich und streckte mich, da kam auch schon Pieps daher geflogen. »Hallo, Heule-laut, du Langschläfer, immer noch nicht ausgeschlafen?« piepste er.

»Ja, ja, ich komme schon!« meinte ich gähnend. »Was machen wir heute?«

»Ich weiß noch nicht, schweben wir einfach ein bisschen durch die Burg!« piepste Pieps. Zuerst schwebten wir durch die Burgküche, danach ging es in das Schlafzimmer von Ritter Kunibert.

Da lag er und schnarchte, dass die Fensterläden knarrten. Ich schlug vor, noch der Schatzkammer des Ritters einen Besuch abzustatten. Wir flogen durch die langen Gänge der Burg und waren schon fast bei der Schatzkammer angelangt, da hörten wir ein lautes Knacken.

Wir lugten um die Ecke und erblickten Dieb, der gerade dabei war, das Schloss der Schatzkammer zu knacken. Fieberhaft überlegten wir, was jetzt zu tun sei. Plötzlich brach ich in ein schauerliches Geheu, aus. Der Dieb drehte sich erschrocken um. »Karl hat gesagt, ich soll mich vor Gespenstern in Acht nehmen«, murmelte er. »Ach was, das ist ja nur dummes Weibergeschwätz«, versuchte er sich einzureden. Jetzt, fand ich, war es an der Zeit mich zu zeigen.

Langsam schwebte ich hin und her, so, dass er mich sehen musste. Der Dieb erblickte mich und wurde starr vor Schreck. Dann stieß er einen lauten Schrei aus und floh Hals über Kopf. Ritter Kunibert hörte den Schrei und erwachte. »Waren etwa Einbrecher im Haus?« dacht er. iedendheiß dachte er an die Perlenkette seiner Urgroßtante. Er schlich durch die Burg und plötzlich lief der Dieb an ihm vorbei. Er rannte ihm nach und es begann eine wilde Jagt. Endlich hatte er den Dieb gefangen. Ritter Kunibert fesselte ihn und steckte ihn in sein Verlies. In den nächsten Tagen redeten alle nur noch darüber, wie mutig Ritter Kunibert sei. Man erzählte sich, er habe einen bösen Dieb gefangen. Aber niemand erwähnte, dass es eigentlich wir waren, die den Dieb zur Strecke gebracht hatten.

Das glorreiche Ritterturnier

Hat euch die Geschichte gefallen? Ich habe nämlich noch mehrere solche Geschichten auf Lager. Wollt ihr noch eine hören? Also gut.

Diese Geschichte hat mir übrigens eine Ratte erzählt. Denn sie ereignete sich am Tag und da lag ich in der Ritterrüstung und schlief tief und fest. So, jetzt fange ich an. Eines schönen Sommermorgens wollte Ritter Kunibert an einem Turnier teilnehmen. Er sollte gegen den starken Ritter Cornelius antreten.

Von seinen Knappen ließ er sich die Rüstung anziehen. Er nahm Schwert und Lanze und schwang sich auf sein Pferd und ritt zum Kampfplatz. Dort waren schon eine Menge anderer Leute: Ritter, Burgfräulein, Knappen, Pagen und auch Grafen und Herzöge. Seine Gemahlin Anna war auch schon da, sie fieberte mit ihrem Ehemann.

Ritter Kunibert legte die Lanze an und prüfte noch einmal, ob die Rüstung fest saß. Dann schob er sein Visier herunter und brachte sich in Kampfposition. Da blies auch schon der Herold einen Tusch auf der Fanfare. Das war das Startzeichen. Er preschte auf Ritter Cornelius zu und hob ihn mit einem Ruck aus dem Sattel.

Da saß er nun, der »starke« Ritter Cornelius (er saß nämlich vorne auf Ritter Kuniberts Lanze fest, die lustig in den Himmel ragte) und wagte nicht, nach unten zu schauen. Denn Ritter Cornelius hatte Höhenangst! Die Menge jubelte und Anna am lautesten, sie hatte schon um ihren Gemahl gebangt.

Nun fragte Ritter Kunibert: »Ergebt ihr euch?«

Cornelius stammelte: »Jj-a, nur lasst mich herunter.«

Kunibert ließ die Lanze sinken und Ritter Cornelius sprang herunter. Ihm war nichts geschehen, aber er musste dem Sieger seine Rüstung und sein Pferd schenken. Ritter Kunibert aber zog siegreich davon und feierte ein prunkvolles Fest.