Caroline Klier (10)

Spaß, Glück und Freiheit

Anna und Mara waren Schwestern. Sie hatten keine Eltern mehr. Deswegen sorgte Anna, 19 Jahre alt, für ihre zehnjährige Schwester Mara. Dass Mara keine Freunde hatte, machte die Situation nicht gerade leichter. Die Eltern der Mädchen waren in Maras zweitem Lebensjahr gestorben, ihre Großeltern an Annas zehntem Geburtstag.

»Aufstehen, Mara, wir fahren!« rief Anna in den ersten Stock. Mara schlüpfte sogleich aus ihrem Zimmer und sprang mit einem Satz auf das Treppengeländer und rutschte hinunter.

»Guten Morgen!« begrüßte Anna Mara freundlich.

Es war ein besonderer Tag in Maras Leben, denn an diesem Tag würde Mara zum ersten Mal alleine auf Urlaub nach Mallorca fahren. Ihre Verwandten, die sie aber noch nicht kannte, hatten sie eingeladen. Anna konnte leider nicht mitfahren, sie konnte Mara nur zum Flughafen bringen, denn sie musste arbeiten.

Nach dem Frühstück fuhren sie los. Nach zirka 15 Minuten waren Anna und Mara am Flughafen angekommen. »Mara, schau, da steht sie die Maschine« rief Anna. Als Mara das sah, machte sie einen doppelten Luftsprung und lief auf die Maschine zu. Anna konnte gar nicht so schnell schauen, da war Mara schon im Flugzeug verschwunden. Nur einen Handkuss hatte Anna Mara noch geschickt, denn für eine ordentliche Verabschiedung war keine Zeit.

Mit einem Ruck drehte Mara sich um, und sah sich die wenigen Passagiere genau an. Da waren eine alte Frau, eine junge Frau mit ihrem vierjährigen Sohn, ein etwas stärkerer Mann und eine hagere Frau. Mara beschloss, sich hinter dem stärkeren Mann niederzulassen und als sie sich setzte, hob die Maschine auch schon ab.

Die Stewardess kam zu allen Passagieren und fragte: »Wollen sie etwas zu trinken?« Die meisten Leute sagten, sie wollten nichts haben, und Mara tat das Gleiche. Nur der Mann vor ihr bestellte einen Almdudler, fünf Schokoriegel, drei Cola, zwei Packungen Chips und ein Bier. Die Stewardess schrieb alles hastig auf und lief schnell, um alles zu holen. Doch weil sie alles auf einmal tragen wollte, und der vierjährige Bub ihr ein Bein stellte, fiel sie plötzlich auf die Nase. Die Almdudlerflasche landete auf dem Boden und zerbrach, die Schokoriegel fielen auf die hagere Frau hinter Mara, die Coladosen flogen Mara auf den Kopf, die Chips flogen ins Damen-WC und das Bier flog dem Mann direkt auf den Schoß. »Prost« rief er auch gleich.

Nach ca. zweieinhalb Stunden landeten sie schließlich am Flughafen in Palm. Mara nahm schnell ihre Reisetasche und lief aus dem Flugzeug. Als sie das Flugzeug verließ, roch sie schon die subtropische Luft. »Mara! Mara! Bist du das?!« rief ein älteres Ehepaar neben ihr. Mara konnte nur »Ja, das bin ich« sagen, und schon umarmten die beiden sie.

»Mara, wir haben dich schon seit deiner Geburt nicht mehr gesehen. Bist du aber groß geworden.« sagte die Frau entzückt und der Mann sagte: »Komm schnell, wir fahren zu unserem Haus.« Nach einer geschlagenen Stunde im Auto waren sie endlich da.

Mara war begeistert. Vor ihr stand ein kleines Strandhaus direkt am Meer. Wie Mara während der Autofahrt erfahren hatte, stand dieses Haus schon seit Jahren hier. Sie hatte auch erfahren, dass der Mann John hieß und ihr Großonkel war und dass die Frau Hildegard hieß und ihre Großtante war.

Mara fand, dass Hildegard sehr nett und witzig war, und sie fand auch John sehr nett und witzig.

Mara stand sicher fünf Minuten da und konnte sich nicht satt sehen. John unterbrach sie: »Mara, möchtest du nicht eine Runde schwimmen gehen?«.

»Ja, gern!« rief Mara, und bemühte sich, nicht sauer zu wirken, weil John sie aus ihren Gedanken gerissen hatte.

»Wenn du wiederkommst, ist das Mittagessen fertig,« rief John ihr noch hinterher.

Mara vergaß, dass sie noch ihre Jeans und ihr T-Shirt anhatte und sprang kopfüber ins Wasser, aber das war ihr egal. Sie schwamm und schwamm und schwamm und dachte nur an die guten Seiten ihres Lebens.

Auf einmal sah sie nicht mehr weit von ihr entfernt eine Insel. Mara wollte schon zur Insel schwimmen, als ihr einfiel, dass sie ja zum Mittagessen zurück sein sollte. Deswegen tauchte sie einen kleinen Bogen und schwamm zurück. Schnell zog sie sich um und als sie aus dem Badezimmer kam, zeigte Hildegard ihr ihr Zimmer. Es war wunderhübsch. Neben der Tür stand eine Bank, daneben ein Schreibtisch und schräg neben dem Schreibtisch hing eine Hängematte, in der Mara, wie sie später erfuhr, schlafen sollte. Es gab viele kleine Fenster.

Mara gefiel es hier so gut, dass John und Hildegard beschlossen, in ihrem Zimmer zu Mittag zu essen. Während des Mittagessens fragte Mara Hildegard nach der Insel, die sie beim Schwimmen entdeckt hatte. Mit dieser Frage hatte Mara ins Schwarze getroffen, denn Hildegard erzählte folgendes: »Also, vor langer Zeit war die Insel ein beliebtes Versteck für Piratenschätze. Viele Piraten fuhren oder schwammen zu dieser Insel und versteckten dort ihre Beute.« Nun wurde ihre Stimme leiser und geheimnisvoller. »Auch heute soll noch ein Schatz auf der Insel vergraben sein.«

Maras Augen wurden immer größer. Nach dem Essen lag Mara allein in ihrer Hängematte und grübelte. Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie lief hinunter zum Steg, wo ein kleines Motorboot hing. Mara band es los, setzte sich hinein und fuhr direkt zur Piratenschatzinsel.

Minuten vergingen, bis Mara anlegte und ausstieg. Als sie die Insel durchstreifte, kam sie sich irgendwie beobachtet vor. Plötzlich tauchte hinter einer Heckenmauer ein großes Schiff auf.

Mara blieb in Deckung und wartete, denn als sie das Schiff gesehen hatte, sah sie auch eine große Piratenflagge. Mara stockte der Atem, aber sie blieb trotz ihrer schlotternden Knie dort, wo sie war. Sie hörte viele verschiedene Männerstimmen über einen Schatz reden. Doch sie konnte nur immer das Wort »Schatz« aufschnappen. Mara wollte gerade hinter dem Busch hervorspähen, als sich eine Hand um Maras Mund legte. Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken. Mara wurde vor lauter Schreck ohnmächtig.

Als sie wieder zu sich kam, sah sie, dass sie auf einem Schiff war. Natürlich war ihr klar, auf welchem Schiff sie sich befand, und sie erinnerte sich sofort, was passiert war. Maras Knie begannen schon wieder zu schlottern und ihr liefen nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag kalte Schauer über den Rücken. Sie traute sich nicht, aufzustehen, und blieb deswegen auf den harten Kartoffelsäcken liegen.

Schnell bemerkte einer der treuen Gehilfen des Piraten, dass Mara aufgewacht war. Er lief zu ihr hin und drückte ihr ein Messer in die Hand. Mara verstand nicht, was er meinte und schaute ihn groß an. Er sagte: »Schäl die Kartoffeln, auf denen du sitzt, und wirf die Schalen über Bord. Aber dalli.« Dabei schnalzte er mit der Zunge und trottete davon.

Nach drei Stunden Kartoffelschälen bekam Mara ein Glas Wasser und ein Stück Brot. Sie legte das Messer zur Seite, trank das Glas leer und aß das Brot auf. Dann legte sie eine Pause ein und schaute nach, wo sie waren. Sie steuerten mit aller Kraft voraus auf Sardinien zu.

Mara hatte solche Angst, dass sie alles tat, was man von ihr verlangte. Sogar die Toiletten putzte sie. Nach einigen Tagen waren sie in Sardinien. Dort nahmen die Piraten eine ca. 30jährige Frau gefangen.

Am nächsten Tag mussten Mara und die Frau gemeinsam Geschirr spülen, und sie hatten Gelegenheit, sich zu unterhalten. Die Frau fragte Mara: »Hast du große Angst?«

»Ja« sagte Mara.

»Ich heiße Frieda Maller. Deine Großtante und dein Großonkel suchen schon nach dir.« erzählte Frieda.

Mara traute sich nicht zu antworten. Frieda winkte Mara zu sich, und flüsterte ihr ins Ohr: »Morgen früh werden wir springen. Über Bord. Und die weite Strecke nach Mallorca zurückschwimmen. Okay?«

»Was?« rief Mara. »Echt? Mann oh Mann, ist das cool. Das glaubt mir keiner.« Frieda grinste zufrieden und Mara auch.

Dieser Tag verlief vollkommen ereignislos. Dass die Piraten wieder in Richtung Mallorca fuhren, würde die Flucht von Frieda und Mara noch erleichtern.

Am nächsten Tag standen Frieda und Mara sehr früh auf. Alle anderen schliefen noch. Sie schlichen sich zur Reling, und mussten, weil sie sowieso an Deck schliefen, nicht weit schleichen. Entschlossen sprangen sie mit einem Satz ins Wasser.

Keiner hatte etwas bemerkt. Als sie weit genug weg vom Schiff waren, fragte Mara Frieda: »Ich weiß, das ist jetzt eine dumme Frage, aber… Hast du Kinder?«

Frieda schwieg einige Schwimmlängen lang, dann sagte sie: »Ich habe eine Tochter, die so alt ist wie du. Sie heißt Nicole, und wenn wir wieder Land unter den Füßen haben, dann werde ich dir Nicole vorstellen.«

Schweigend schwammen sie weiter. Nach geschätzten drei Stunden waren sie fast am Ziel, aber auch am Ende ihrer Kräfte. Trotzdem gaben sie nicht auf. Tapfer kämpfte sich Mara weiter durchs Wasser, mit dem Gedanken, dass sie bald würde schlafen können.

Endlich erreichten sie die Küste. Mara brach auf dem Kiesstrand zusammen und Frieda trug sie zum Hütteneingang. John sah die beiden als erster, und lief auf Frieda zu. Er nahm gleich beide auf seine Arme und trug sie in Maras Zimmer. Mara legte er auf die Bank und Frieda in die Hängematte.

Erschöpft schliefen beide sofort ein und wachten erst nach zwei Tagen wieder auf. Frieda telefonierte mit Nicole in Sardinien und bat sie herzukommen.

Als Mara aufwachte, stand ein fremdes Mädchen vor ihr. Mara wusste sofort, dass es Nicole war. Mara und Nicole wurden die besten Freundinnen und Mara kam so oft es ging nach Mallorca.