Jacqueline Keute (11)
Der Drogendealer
»He, warte mal, Ina!« flüsterte Christina.
Langsam drehte ich mich wieder zu Christina um und beobachtete, wie sie einem Gespräch von einem Mann lauschte.
An die Hausmauer gedrückt versuchte sie, das Gespräch von dem Mann, Mitte 40 und 1,70 groß, zu verstehen. Er war nur schwarz gekleidet, sodass er wie ein Satanist aussah.
»Du musst mir das Zeug heute Abend noch besorgen. Ich kann mich so nicht mehr blicken lassen. Hier hast du schon einmal die Kohle dafür!« Der Mann machte eine Pause und drückte seinem Gegenüber ein paar zerknitterte Scheine in die Hand.
Ich hätte mich nie getraut, so einem die Hand zu berühren, weil seine Finger wie Würstchen aussahen. Er trug eine knallbunte Regenjacke, und dazu hatte er seine orangen Locken zu einem Turm hochgestylt.
»Ich werde sehen, was sich machen lässt. Also bis heute Abend. Um sieben Uhr wieder hier!« nuschelte er, und beide trennten sich.
Die ganze Zeit über hatte ich nur schweigend hinter Christina gestanden und versucht, in ihrem Gesicht zu sehen, was sie dachte.
Als beide Männer außer Hörweite waren, rannte Christina auch schon hinter den beiden her.
»He, komm schon, Ina! Das waren bestimmt Drogendealer, die haben doch ganz eindeutig über Drogen geredet. Wir müssen diesen kleinen dicken Mann verfolgen!«
Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte Tina auch schon weiter. Erst als sie merkte, dass keiner hinter ihr her lief, machte sie halt und drehte sich verwundert um.
»Nun komm schon«, rief sie ärgerlich, »wir müssen hinter dem her!«
»Und was wird aus unserem Stadtbummmel?« fragte ich vorwurfsvoll.
»Den können wir immer noch machen. Wie wäre es mit morgen?« fragte sie versöhnend.
Schließlich ließ ich mich überreden, mitzukommen.
Wir folgten dem Mann eine ganze Weile in Richtung »Stadtinformation«, bogen dann aber links in Richtung Gastwirtschaft ab. Dort verschwand der Mann hinter der dicken, massiven Eichentür. Wir schlichen ebenfalls hinein, und nach einem erfolglosen Umsehen fragten wir den Wirt nach dem Weg zur Toilette.
Wir hofften, dass sie sich im Keller befand. Unsere Vermutung bestätigte sich. Wir wollten uns dort unten ein bisschen umsehen, und kamen an eine staubige und morsche Tür.
Darauf standen die Worte: »Betreten für Unbefugte verboten!« Als wir uns ernsthafte Gedanken machten, wie wir da rein kommen sollten, lehnte ich mich gegen die Tür und siehe da, sie war nur angelehnt.
Zögernd traten wir ein, und sahen, dass hier erst kürzlich jemand gewesen sein musste, denn auf dem eigentlich staubbedeckten Boden konnte man sehr frische Fußabdrücke sehen. Dass sie dem dicken Mann gehörten, konnten wir nur vermuten.
Leise folgten wir der Spur und kamen in ein kleines Zimmer.
»Das waren bestimmt Drogendealer!« klärte mich Christina auf.
Wir ertasteten irgendwo an der Wand eine Wendeltreppe. Wir stiegen sie hinauf und fanden uns in einem kleinen Modegeschäft wieder.
Als wir uns ein bisschen umgeschaut hatten, verließ der dicke Mann zu unserem Glück gerade das Geschäft mit einer Plastiktüte in der rechten Hand. Wir guckten uns gegenseitig an, und wir wussten, dass wir beide wussten, was der andere dachte.
Wir folgten ihm bis zu der Hausmauer und riefen über Handy die Polizei an.
Sie kamen, als der schwarze Mann sich schon mit der Plastiktüte aus dem Staub machen wollte. Er drehte sich wieder um, als er das Klicken der Handschellen hörte, die ein Polizist öffnete.
»Hey! Was wollen Sie denn von mir? Ich hab doch nichts verbrochen. Lassen Sie mich doch los!« schrie er erbost auf.
Die Polizei ließ sich dadurch nicht beeindrucken und durchsuchte die große Tasche aus dem Geschäft.
Hervor kamen nur ein paar Klamotten mit einem Kassenbon.
Ich merkte, wie ich rot anlief, sodass ich dem Satanisten gleich tun musste und zu Boden guckte.
»Ja, gut! Ich war Anhänger einer Satanisten-Sekte, aber ich war es satt, von allen anderen Leuten beglotzt zu werden, wenn ich in der Stadt war. Somit wollte ich damit aufhören. Wirklich! Deswegen hab ich dem Daniel Geld gegeben, damit er mir Sachen aus dem Geschäft seiner Schwester besorgen konnte!«
Der Ex-Satanist wurde freigelassen, aber wir bekamen ein kleines bisschen Ärger inklusive einem Fast-Dedektiv-Ausweis wegen der Mithilfe im entferntesten Sinne.
So wie immer
»Und hier sind wir wieder bei: Wie sich Prominente zum Affen machen! Danke für Ihren Applaus! Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie bei den Aufgaben keinen Ton von sich geben dürfen, weil das für unsere Gäste lebensgefährlich sein kann. Und hier ist unser erster Kanditat: Peter Maffay!«
Lautes Gelächer kam aus dem Publikum, als der Vorhang geöffnet wurde und Peter Maffay vor einem Käfig zu sehen kam. Er trug einen Stahlanzug, nur Arme und Beine waren nicht verdeckt, damit er sich ungehindert bewegen konnte.
Plötzlich begann der Käfig neben ihm sich zu bewegen, und eine riesige, behaarte Tarantel zog damit das Aufsehen auf sich. Vorher hatte sie anscheinend keiner beachtet, wegen den komischen Klamotten von diesem Prominenten neben dem Käfig. Nachdem sich alle wieder halbwegs beruhigt hatten, erklärte der Showmaster die erste Aufgabe.
»Wie sie sich vielleicht schon denken konnten, geht es in dieser Aufgabe um diese riesige Tarantel. Gleich wird dieser Herr nach draußen auf eine Rasenfläche geführt, worauf ein gigantisches Labyrinth gebaut wurde. Darin wurden viele außergewöhnliche Sachen versteckt. Wir werden selbstverständlich mit einer Kamera folgen. Nun zu Ihnen, Herr Maffay. Sie müssen alle diese Kreaturen überwinden. Ob mit Köpfchen oder Stärke, dass ist egal, aber Sie sollten schon manchmal auf die Uhr gucken, da es auf Zeit geht. Wenn Sie dann zu diesem riesen Viech kommen«, er deutete auf die Tarantel, »müssen Sie nur versuchen, sie von ihrem Schatz wegzulocken. Dann gehört er ihnen. Aber nun los!«
Gespannt beobachteten die Leute auf dem riesengroßen Bildschirm, wie sich Peter Maffay meistens nur mit Geschick durchsetzen konnte. Er kämpfte gegen Werwölfe, Trolle, Riesen, und so weiter.
Als er zu der Tarantel kam, hielt das ganze Publikum den Atem an. Als die Spinne ihn auch noch angriff und alles Ungeschützte abriss (Arme und Beine), stöhnte das Publikum gelangweilt auf, weil es mal wieder so wie immer gelaufen war.
Mutproben, Freunde & Co
Wir wussten schon immer, dass er ein bisschen komisch war, und deshalb hatten wir ihn auch bis jetzt kein bisschen beachtet. Das wäre auch gar nicht nötig gewesen, denn unsere Eltern verboten uns aus einem unerklärlichen Grund, mit ihm zu sprechen. Er hieß Alexander Rehse. Geboren am 13.07.1989.
Es war Freitagabend kurz vor halb neun. Ich war gerade von Philip wiedergekommen und stand etwa zwölf Meter vor unserem Mehrfamilienhaus, als ich sah, dass Alex mit offenen Mund auf der Straße stand und Schneeflocken schluckte.
»Hey, was machst du da?« rief ich ihm zu. Da es mittlerweile auch noch angefangen hatte zu schneien, konnte ich nur schemenhaft erkennen, wie Alex auf einmal mit einer nicht sichtbaren Gestalt anfing, Walzer zu tanzen.
Als ich ein paar Schritte auf ihn zu gegangen war, um ihn besser beobachten zu können, erstarrte er plötzlich und sagte irgendetwas von »Er müsse jetzt leider gehen«, und rannte auf das Haus zu.
Kopfschüttelnd trabte ich hinterher. Als ich den Flur betrat, hörte ich oben im zweiten Stock, wie eine Tür zugeschlagen wurde.
Seit diesem Zwischenfall hatte ich nichts mehr von Alexander draußen auf der Straße gesehen. Jedoch hatte ich ihn genau eine Woche später im Treppenhaus abgefangen und ihn nach dem »Ritual« gefragt. Er antwortete mir nicht sofort, rückte aber nach einiger Zeit doch noch mit der Sprache raus.
Er wurde mal wieder von den »Raudi-Brüdern« erpresst und musste vor laufender Kamera sich zum Affen machen. Er hätte das ja gar nicht gemacht, aber die Brüder wussten von den Geldnöten in seiner Familie.
Wenn er sich geweigert hätte, hätte er auch zu einem »Raudi-Bruder« gewechselt und die ganze Schule hätte von seinem Problem erfahren.
Seit das raus ist, habe ich mich dazu entschlossen, sein Freund zu sein, da er selber keine hat, und ich denke, dass es ihm gut tut, jemanden zu haben.