Lisa Heidinger (12)

Glück im Unglück und umgekehrt

»Oh nein!« Ich war schon wieder zu spät dran. Ich sprintete die Stiege hinunter und schmiss die Haustüre ins Schloss. Schnell schwang ich mich auf mein Fahrrad. Doch ich trat so fest in die Pedale, dass schon nach ein paar Metern die Kette heruntersprang. Nach diesem kurzem Zwischenfall (meine Finger waren ganz ölig) radelte ich wieder los. Neun Minuten und 37 Sekunden zu spät erreichte ich die Fachhochschule. Ich schmiss mein Rad unachtsam an das Stiegengeländer und rannte die Treppe hinauf. Gerade heute war mein großer Tag, und gerade heute kam ich zu spät. Ich lief den Gang entlang und riss die nächste Türe an der linken Seite auf.

»Markus, da bist du ja endlich!« Es war mein Professor, Mag. Judner.

»Es… es tut mir Leid. Ist die Jury noch da?«

»Ja, wir haben Max vorgenommen. Aber er ist gleich fertig. Zieh dich schnell an!«

Ich öffnete meinen Rucksack und leerte ihn aus. Schnell zog ich mir die weiße Schürze über. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie voller Flecken war.

»Markus! Ich sagte doch ausdrücklich: WASCHEN!«

»’Tschuldigung!« murmelte ich. »Hab ich vergessen.«

Als Judner sich umdrehte, wischte ich mir schnell die Finger an der Schürze ab, denn bei den Flecken fiel ein bisschen Fahrradöl auch nicht auf. Doch jetzt hatte ich ein neues Problem: Wo war meine Kochhaube? »Ups!« murmelte ich leise.

»Was ‚Ups‘?« fragte Judner. Ich deutete verlegen grinsend auf meinen Kopf.

Er seufzte tief. »Nimm meine.«

»Danke!« flüsterte ich.

Da kam auch schon Max zur Türe herein. »Juhuuu!« rief Max, warf seinen Kochhut in die Höhe und umarmte mich. »Ich hab’s geschafft!«

Ich lächelte ihn an und setzte mir Judners Haube auf – sie rutschte mir bis zur Nasenspitze. Erschrocken legte ich sie ab. Was sollte ich nur tun? Mit zu großer Haube zu kommen war dasselbe, wie ohne Haube zu kommen – also undenkbar. Kurzerhand riss ich eine Doppelseite aus meinem Kochbuch und faltete daraus ein Papierschiffchen, welches ich mir dann auf den Kopf setzte, damit ich wenigstens überhaupt eine Kopfbedeckung hatte.

»Markus, du kannst jetzt rein!« ertönte Judners Stimme hinter mir.

Erst als ich schon im Kochsaal stand, bemerkte er mein Hütchen. Ich sah noch, wie er sich wütend auf die Hand biss, um ein Schimpfen zu unterdrücken. Doch dann wurde die Türe geschlossen.

Ich fühlte mich verlassen in dem Raum – hinter mir die Küche mit Zutaten – und vor mit drei Vier-Hauben-Köche, die mich bewerten sollten.

»Herr Markus Schneider, ist das korrekt?« fragte der, der ganz rechts saß. Ich bejahte die Frage.

»Treten Sie bitte näher!« sagte er.

Ich kam bis zu einem Meter an die Männer heran. Ich wurde rot, als ihre Blicke bei meinem Papierschiffchen am Kopf hängen blieben.

»Ihre Kopfbedeckung ist ein wenig unpassend, finden Sie nicht auch?!« fragte der, der links saß.

»Nein, nein, ganz und gar nicht!«, antwortete ich. »Meine kleine Schwester hat den Hut gebastelt – er soll mir hier heute Glück bringen!« log ich.

Die Männer nickten. Dann fragte der, der in der Mitte saß: »Und Ihre Schürze?«

»Bei uns war gestern Familienfeier, und ich habe gekocht. Und als ich die Schürze dann waschen wollte, war meine Waschmaschine kaputt.« Ich lächelte verlegen, den ich war erstaunt über mich selbst, dass ich so gut lügen konnte. Gerade wollte ich fragen, was ich kochen sollte, als der in der Mitte auf einen schwarzen Fettfleck auf meiner Schürze zeigte und fragte: »Und, kochen Sie oft mit Schmieröl?«

Mir wurde siedendheiß, und mein Gesicht lief knallrot an. »Ja… Ja…. wissen Sie… meine Großmutter verträgt kein normales Speisefett und keine Butter, und weil sie das sehr gerne mag, brate ich ihr ihr Fleisch immer mit Schmieröl heraus…«

Die Männer lächelten sich belustigt an. »An Humor scheint es Ihnen ja nicht zu fehlen. Doch nun wollen wir zur Praxis schreiten…«, fügten sie in etwas ernsterem Ton hinzu. »Wir erwarten von Ihnen ein vollständiges Menü und zwar: Als Vorspeise Frittatensuppe, als Hauptspeise Rehrücken, als Beilagen: Fisolen mit Semmelbröseln, grünen Salat mit Essig und Öl, Rotweinbirne mit Preiselbeeren, Semmelknödel und eine dazu passende Soße.«

Das Menü gelang mir ganz gut, bis darauf, dass mir das Fleisch ein wenig ankohlte, ich die Fisolen zu kurz garte, so, dass diese zäh waren, und dass ich die Suppe versalzte. Doch dieses fiel durch meine Rotweinbirne bald in Vergessenheit, da ich zuviel vom falschen Wein erwischt hatte, und die Jury dadurch ein wenig beschwipst wurde.

Trotz den Worten »Symphathie war ausschlaggebend« war ich schlussendlich sehr stolz, als ich mit der Urkunde als geprüfter Koch wieder aus dem Zimmer kam.

»Noch schlimmer, als es diesen Vormittag war, kann es ja gar nicht mehr kommen!« dachte ich, als ich zufrieden den Gang entlang schlenderte. Doch plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke: Hatte ich in der Früh mein Fahrrad abgesperrt? Als ich die Schultüre öffnete, sah ich gerade noch, wie ein kleiner Junge mit meinem Fahrrad davon düste. »He, Kleiner, das ist mein Rad! Komm sofort zurück! Bleib stehn! Ich ruf die Polizei!!! STOPPPPPPPPPPPP!!!!!!!!!«