Janine Gürtler (12)

Ein schlechter Tausch

Es war eine sternklare Nacht. Der Mond leuchtete hell von dem tiefschwarzen Himmel. Es brummte und zirpte überall im Wald Eisenhain, und überhaupt wimmelte es hier nur so von den unterschiedlichsten Geräuschen. Wenn man in der Nacht spazieren ging, konnte einem schon echt gruselig werden…

Anders aber bei der guten, alten Hexe Unkenschmett. Sie genoss die Totenstille in ihrer kleinen Hüte, die mitten in diesem Wald lag. Unkenschmett hatte beschlossen, für sich und ihren verschmusten Kater Hinkebein, der ebenfalls so schwarz war wie diese Nacht, eine Krötenbeinbouillon zu brauen. Die Hexe war in festtäglicher Stimung. Sie trällerte ein Liedchen, als sie sich an den uralten Tisch setzte, den sie von ihrer Ururururgroßmutter geerbt hatte. Sie wollte gerade anfangen zu essen, als es geschah…

Ihre runzligen Ohren hörten etwas, das sie noch nie hier im Wald Eisenhain gehört hatten: Hufeklappern. Es kam schnell näher und näher. Noch nie hatte es jemand gewagt, mit einem Pferd in diesen Wald zu reiten. Es hieß, dass die Hexe Unkenschmett alle Pferde böse verwünsche, die an ihrer Hütte vorbeikämen. Dabei war die gute Frau gar nicht so unfreundlich, wie es immer geheißen hatte. Im Gegenteil: Sie war eigentlich eine waschechte Pferdeliebhaberin. Um so erstaunter war sie jetzt, als das Hufeklappern direkt vor ihrem Häuschen innehielt. Trotzdem brummte sie ärgerlich, da sie, trotz aller Pferdeliebe, es nicht mochte, um diese Zeit in der Nacht gestört zu werden.

Als sich ihre scharfen Adleraugen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie sich doch wahrhaftig einer wunderschönen Prinzessin gegenüber! Sie hatte goldblonde Haare, die im hellen Mondschein glitzerten und funkelten. Des Weiteren hatte sie einen dicken Hermelinmantel an, und unter diesem sah man ein seidenes, mit Diamanten besetztes Kleid, das sehr hübsch aussah. Wenn ein Prinz daherkommen würde, würde er von ihrer Schönheit so geblendet werden, dass er für immer blind umherirren müsste, oder zumindest wie ein Eis am Stiel in der Sonne schmelzen. Wenn man sich da die Hexe Unkenschmett so ansah, wurde einem sofort bewusst, dass der Prinz höchstens vor Schreck davonlaufen würde. Wobei man sich nicht ganz so sicher sein konnte, ob der Prinz nicht auch bei ihr erblinden würde. Aber nun zurück zum Thema…

Die Prinzessin, die so um die 13 Jahre zählte, stieg von ihrem hohen Ross und schritt langsam und ein wenig zögernd auf die alte Schachtel zu. »Hexe Unkenschmett, ich würde so gerne eine solche Hexe wie du sein. Denn ich habe den ganzen Prinzessinnenkram gründlich satt!« sprach das Mädchen, wobei sie noch ein paar Schritte näher trat.

»Komm doch erst mal rein, mein Kind!« unterbrach Unkenschmett sie freundlich. Dankbar hopste das Mädchen in die kleine Behausung.

Die Hexe bot der Prinzessin, die Clara hieß, ein wenig von ihrer Krötenbeinbouillon an, was diese dankend annahm. Doch das war ein Fehler gewesen. Clara lief giftgrün an, aus ihrem Kopf kam eine dicke Wasserfontäne wie bei einem Walfisch und schließlich kamen aus ihren kleinen Ohren die Geräusche einer riesigen Dampflokomotive! TUT, TUT, TUT!! Clara hustete und prustete, spuckte und guckte dann die Hexe Unkenschmett empört an.

Diese entschuldigte sich vielmals und sagte, sie habe doch glatt vergessen, das diese Speise ja nur Hexen essen könnten. Dabei wollte sie nur einmal sehen, wie normale Menschen darauf reagieren würden. Und wie sie gesehen hatte, nicht besonders gut. »Vielleicht sollte ich das beim nächsten Mal mit Spinnen, Augapfel- und Rattenschwanzqroution probieren«, dachte sich Unkenschmett.

»Nun erzähl mir aber mal, was du von mir willst!« forderte die Hexe nun Clara auf. Und so erzählte ihr Clara alles, und sie schmiedeten einen Plan…

Und nach drei Stunden ritt Clara etwas unbeholfen auf ihrem hohen Ross wieder ihrem Zuhause entgegen. Was aber keiner wusste: Es war die Hexe Unkenschmett, die nun als Prinzessin verzaubert auf das prächtige Schloss zuritt. Sie fand auch schließlich das von der verwandelten Prinzessin beschriebene Zimmer und sank schließlich todmüde in das kuschelweiche Bett.

Am nächsten Morgen wachte sie schon früh auf. So früh, das die Vögel gerade erst anfingen zu zwitschern: 4:00 Uhr. Unkenschmett zog sich den samtenen Morgenmantel mit den vielen kleinen Teddys an und erkundete das riesige Schloss. Vier Stunden brauchte sie dann auch schließlich, bis sie endlich im königlichen Badezimmer landete. Ein weiß behandschuhter und sonst ganz in schwarz gekleideter Butler stand neben der enormen Badewanne, die doch glatt vergoldet war.

»Sehr geehrtes Fräulein Clara, würden sie bitte so freundlich sein und sich entkleiden?« fragte der Butler höflich und setzte hinzu: »Solange haben sie aber noch nie geruht!«

Und so wurde sie von einem zum anderen gehetzt: Vom Baden zur Mundmaniküre, was andere Leute unter Zähneputzen verstehen, und vom mehr als nur reichlichen Frühstück ging es zu einer langweiligen Sitzung. Ein anderer Butler bat sie mit einer vornehmen Handbewegung in eine unheimliche und sehr reichlich verzierte Halle. Diese war mehr als fünfmal so hoch wie eine gewöhnliche Kirche, und ungefähr so lang wie ein Fußballfeld. Goldene Engel säumten den mit Marmor getäfelten Raum und hielten dicke lange Duftkerzen. Ihr Licht warf einen schaurigen Schatten an die Wände, und außerdem rochen sie sehr stark nach Tannenharz. Keine Tanne dieser Welt würde es auch nur zehn Minuten lang hier aushalten. Ein beinahe unendlich langer Edelholztisch stand in der Mitte des Raumes. An seinem Ende jenseits des Eingangs befand sich der goldene Thron der Prinzessin, auf den Unkenschmett mühsam kletterte. Hunderte Berater und Minister waren um diesen Tisch versammelt. Während der Sitzung kriegte sie kaum den Mund auf. Erstens, weil sie kaum etwas verstand, und zweiens, weil sie noch Reste vom Frühstück zwischen den Zähnen hatte.

Während dessen erging es der wahren Prinzessin auch nicht besser. Sie hatte große Schwierigkeiten, mit ihrer neugewonnenen Hexenkraft umzugehen: Eine ungeschickte Fingerbewegung reichte aus, um ihr Bett in drei Stücke zu zerlegen oder aber eine rosarote Schleife um die gesamte Hütte zu zaubern. Und als sie sich ein Glas mit Wasser füllen wollte, machte ihre Hand erneut eine falsche Bewegung und hexte dem Kater Hinkebein riesige graue Elefantenohren an den Kopf. Das war ihm genug. Er riss kurzerhand aus und floh in den Wald.

Hexe Clara fühlte sich von der ganzen Welt verlassen. Darauf beschloss sie, den Kater erst gar nicht zu suchen. Den würde sie ja doch nie kriegen. Und so suchte Clara sich ein paar dicke staubige Wälzer der Hexenkunst aus und stöberte ein bisschen darin herum.

Inzwischen war bei der Prinzessin Unkenschmett die Sitzung vorbei. Gerade jetzt, wo sie ihre Zähne allmählich freigelegt hatte. Nach dieser Blamage ging sie ein wenig in den königlichen Park, um sich erschöpft auf eine Holzbank zu schmeißen und sich erst einmal zu entspannen. Doch kaum hatte sie fünf Minuten gesessen, kam auch schon ein anderer Butler angewatschelt und fragte sie, ob sie einen Wunsch hätte. »Ja, ich würde einmal so gerne und nur für zehn Minuten allein sein!« antwortete die falsche Prinzessin Unkenschmett seufzend, worauf der Diener eiligst wieder davonwatschelte.

»Jetzt bin ich die olle Ente endlich los!« dachte sie erleichtert und atmete auf. Sie sah noch eine Weile dem wunderschönem Sonnenuntergang zu und schlenderte dann langsam zum königlichem Abendmahl. Nach einem leckerem Essen, das ihr gar nicht so recht schmecken wollte, war es Zeit, zu Bett zu gehen. »Endlich!« dachte Unkenschmett erleichtert, als sie in ihr goldenes und mit Edelsteinen besetztes Himmelbett sank. Und bevor sie einschlief, dachte sie noch: »Nie wieder Prinzessin! Auch wenn es nur für einen Tag ist…«

Währendessen hatte die echte Prinzessin versucht, sich eine Froschschenkelsuppe zu zaubern. Doch auch dies war daneben gegangen. Schließlich lag sie mit Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen in ihrem Bett. Und bevor sie noch einschlief, dachte sie sich: »Nie wieder will ich eine Hexe sein, obwohl es auch nur für einen Tag ist!«

Durch die Magie ihrer gleichen Gedanken nahmen sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an. Dies sollte den beiden eine Lehre sein, mit dem zufrieden zu sein, was man ist. Und sie hexten und regierten glücklich bis an das Ende ihrer Tage.