Dietmar Grimm (14)
Achtung! Giftige Früchte
Es gab einmal zwei Völker, die nebeneinander lebten. Jedoch lebten beide in einem höchst unfruchtbaren Gebiet, wo man nichts anbauen konnte: alles nur Felsen, Sümpfe und Gestüpp.
Nur an der Grenzfläche zwischen beiden Staaten gab es etwas fruchtbaren Boden. Doch das, was man dort anbauen und ernten konnte, reichte nicht für beide Völker. Eigentlich konnte sich sogar nur ein Volk von den Erzeugnissen dieses Gebietes ernähren. Das eine Volk war fleißig und liebenswert, und versuchte, das Versorgungsproblem irgendwie in die Reihe zu bekommen, und überlegte, wie beide Völker überleben könnten. Das andere Volk jedoch war wild und bösartig. Es hielt es für am besten, das gesamte fruchtbare Land für sich zu beanspruchen, und wollte das andere Volk vernichten. Sie verhielten sich sehr feindselig gegenüber ihren Nachbarn.
So vergingen die Jahre, und beide Staaten schlugen sich irgendwie durch. Eines Abends trat der König des guten Volkes vor seine Hütte und blickte traurig in den Himmel. Seine Leute hatten erst vor kurzem einen Raubangriff des Nachbarstaates zurückgeschlagen. »Ach bitte, wir brauchen endlich eine Lösung für das Versorgungsproblem«, seufzte er traurig vor sich hin und ging dann schlafen.
Als der König am nächsten Tag auf den Markt ging, entdeckte er einen Stand samt Händler, welchen er hier noch nie gesehen hatte. Neugierig ging der König zum Stand und fragte: »Guter Mann, was verkauft Ihr hier?«
»Oh, ich habe was ganz Besonderes. Ein neues Gemüse aus der neuen Welt! Es heißt Kartoffel«, sprach der Händler. »Pflanzt sie nur gleich ein, ihre Knollen schmecken köstlich. Ihr werdet doch wohl noch etwas Platz auf euren Feldern haben, um meine Kartoffeln mal zu probieren.«
»Ach, schön wäre es. Wir haben schon ein riesiges Versorgungsproblem«, seufzte der König und erzählte dem Händler vom wenigen fruchtbaren Land und vom bösartigen Nachbarn.
Der Händler sah den König eine Weile still an, dann grinste er. Er hatte vor, den König und sein gutmütiges Volk von diesen Räubern zu befreien. Er erkannte jedoch, dass der König dem Nachbarvolk, auch wenn dieses böse war, nie etwas antun würde. Deswegen erklärte er es dem König so: »Hier habe ich die Lösung für euer Problem, denn: Ihr könnt jede Pflanze doppelt nutzen! Passt auf, pflanzt Kartoffeln auf euren Beeten an. Wenn sie reif sind, gebt ihr eurem Nachbarvolk die Früchte, und ihr esst die Knollen, welche ihr an den Wurzeln findet. So werden alle satt.«
Der König war davon begeistert, und machte dem Herrscher des Nachbarvolks den Vorschlag mit den Kartoffeln. Der war damit sofort einverstanden. »Dann müssen die von nebenan Wurzeln fressen«, dachte er bei sich.
Doch schon kurz nach der Ernte war das gesamte Volk ausgerottet, da es die giftigen Früchte gegessen hatte. Das gute Volk wollte dies ja eigentlich gar nicht, aber nun war es eben geschehen, und das gute Volk musste nicht mehr hungern und konnte gedeihen.