Christiane Scherch (13)

Die kleinen Süßen

Es war wieder mal Donnerstag abend. Mein kleiner Nebenjob rief, ich musste Babysitten. Ich hatte heute vor, die kleine Julia gleich schlafen zu legen und dann ein bisschen chatten zu gehen. Meine Nachbarn erlaubten es mir gratis, da Julia immer ziemlich anstrengend war.

Ich hatte eigentlich absolut keine Lust, mich wieder ewig mit ihrem Geschrei abzuplagen, aber ich tat es ja des Geldes wegen. Seufzend nahm ich meine Tasche und machte mich auf den Weg zum Nachbarblock.

Als ich den Neubau erreicht hatte, suchte ich wie jedesmal den Klingelknopf mit der Aufschrift »Fröhlich«. Ich drückte meinen Zeigefinger auf den kreisrunden Plastikstummel in der Wand und vernahm dieses grausige Zirpen der Klingel. Frau Fröhlich, oder für mich auch Christine, kam an die Sprechanlage und ließ mich hinein.

Sie war wie immer ziemlich in Eile. »Hallo Lara, gut, dass du schon da bist. Heute müsstest du aber noch auf Anny und Mira aufpassen, die beiden waren gestern schon so lange auf. Du schaffst das doch mit links.«

»Jaaa.«, sagte ich gedehnt und sah auf den kleinen Rotschopf Anny herab, die sich an meinem Hosenbein festklammerte. Tapfer nickte ich und verabschiedete dann Christine.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, quängelte Julia in ihrem Kinderbettchen los. Ich ging hin und versuchte, mir ganz gelassen einzureden, dass der vielsagende Geruch, der mir nun entgegenströhmte, nur halb so schlimm war. Ich gab einen undefinierbaren Laut von mir und windelte Julia neu. Dann setzte ich mich mit ihr aufs Sofa und gab ihr das Fläschen. Anschließend schlief sie friedlich-sabbernd in meinem Arm ein.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und schaltete den Fernseher ein. Anny und Mira waren in die Küche verschwunden und spielten. Was für liebe Kinder, dachte ich und döste ein wenig vor mich hin. Doch als die idillische Stille von mächtigem Gepolter unterbrochen wurde, verwarf ich diesen Gedanken schnell.

Julia wurde durch mein Zucken munter und fing wieder an zu schreien. »Oh nein«, stöhnte ich und erhob mich. Ich schaukelte Julia hin und her und versuchte, sie mit Lauten wie »Dududududu« oder »Gutzigutzigu« zu beruhigen. Vergebens, nach Kurzem schrie sie noch lauter als zuvor.

Ich legte Julia zurück ins Bett und wollte mir erst mal das Chaos in der Küche ansehen. Wie vom Blitz getroffen, blieb ich in der Tür stehen. Die Kleinen hatten den Besteckkasten ausgeschüttet, und der Wasserhahn lief so stark, dass das Becken schon längst übergelaufen war. Auf dem Boden saßen Anny und Mira und pantschten in einer Wasserlache herum. »Wir machen Besteck sauber«, erklärte mir Mira.

»Na toll.«, murmelte ich und hob Anny aus der Pfütze. Ihr Hintern war klatschnass, und ich musste ihr erst mal neue Sachen anziehen. Dann schaffte ich sie ins Wohnzimmer.

»Was willst du schauen?« fragte ich sie, während ich den Fernseher einschaltete.

»Columbo«, quickste sie glücklich. Entgeistert starrte ich sie an. Sicher hatte sie das nur irgendwo aufgeschnappt. Ich schob ein Video von den Teletubbies ein und setzte nach einigen Diskussionen wegen der Sachen auch Mira dazu. Dann versuchte ich endlich, Julia zu beruhigen. »Was willst du denn nun?« fragte ich sie. Die Kleine gab irgendwelche Laute von sich und strampelte. Seufzend ging ich mit ihr zum Schaukelpferd und setzte sie hinein. Julia quickte vor Freude, und ich konnte mich wieder um die anderen zwei Quälgeister kümmern. Jetzt hatten sie nämlich Hunger.

»Gut ich mache Spiegeleier«, ließ ich mich erweichen und ging in die Küche. Ich bekam nasse Füße, es war kein Besteck mehr da, geschweige denn sauber, und nach den Eiern musste ich ewig suchen. Ganz toll. Ich war wieder mal kurz vorm Ausrasten.

Nachdem ich dann aber endlich das Ei in der Pfanne hatte, kam entsetzliches Gequängel aus dem Wohnzimmer. »Jetzt nicht«, rief ich patzig.

»Aber die Julia ist…«

»Seid ruhig, ich muss mich konzentrieren.« Ich war sauer. Aber trotzdem musste ich nach dem Rechten sehen und ging zum Schaukelpferd.

Julia war weg. »Auch das noch!« schrie ich. In meiner Hast rannte ich aus der Küche, und begann nach Julia zu suchen. Im Wäscheschrank, im Kühlschrank, unterm Tisch, hinterm Fernseher, Julia blieb verschwunden. Schließlich ging ich noch mal alle Räume durch und entdeckte sie im Bad, hinterm Klo. Sie hockte vor ihrem Töpfchen und sagte: »Julia Pipi machen.«

Ich war erleichtert, sie hatte Windeln an, das hieß, es würde mir eine gelbe Pfütze erspart bleiben. Ich dachte ja, nun wäre alles in Ordnung, aber es wollte einfach kein Ende nehmen. Der Geruch von verbranntem Spiegelei kroch mir in die Nase. »Scheiße.« Ich raste in die Küche und riß die Pfanne vom Herd, die ich dann geräuschvoll ins Abwaschbecken plumpsen ließ. Schließlich drehte ich den Herd ab und ließ mich erschöpft auf einen Stuhl fallen.

Die Teletubbies schienen nicht sehr interessant gewesen zu sein. Ich erhob mich und sammelte alle drei Kinder ein.

»Wie wär’s mit einem Horrorfilm?« fragte ich grinsend. Mira nickte begeistert. Ich schob das Hänsel-und-Gretel-Video ein, und die kleinen Süßen starrten gebannt auf den Fernseher. Der Film schien ihnen zu gefallen.

Ich räumte die Küche auf und setzte mich dann endlich vor den Computer. Gerade, als ich mich im Internet unter www.babysitting.de eigeloggt hatte, fing Anny an zu weinen, weil die Hexe Hänsel in einen Käfig gesperrt hatte. Julia war plötzlich schon wieder verschwunden und Mira nahm die Fernbedienung auseinander. Was für ein Theater!