Judith Prieler (13)

Fremd?

»Wehe!« rief der Vater. »Wehe, ich seh’ dich noch einmal mit der Kleinen von denen da drüben! Sonst setzt’s was!«

»Aber warum….?«

»Nicht ‚warum‘! Du wirst sie nicht treffen, und damit basta!«

»Ja, aber was….«

»Ruhe! Ich hab’s dir gesagt, Jan! Und jetzt möchte ich nicht mehr gestört werden!«

Jan saß auf dem Sofa im Wohnzimmer, neben ihm seine Oma, die an einem hellblauen Pullover für ihn strickte. Er passte zu seinen Augen. »Ausländer…Türken…!« Sie konnten den Vater noch hören, bis er in seinem Arbeitszimmer verschwand. »Oma, was hat Papa?« Die Oma zuckte mit den Schultern und ging ebenfalls aus dem Zimmer. Jan trat ans Fenster. Warum ist Papa so komisch? Er hatte doch bloß mit dem Mädchen von nebenan ein bisschen geplaudert!

Vom Fenster aus konnte man in den Hof sehen. Jan holte seinen roten Ball und ging hinunter. Der Hof war leer. Jan schupfte den Ball hoch in die Luft – sehr hoch, doch da war niemand der ihn auffing.

Das Mädchen von nebenan, wie hieß es noch, Aische? Eigenartiger Name. Die Haut auch… so… so braun. Aber nett ist sie, sehr nett.

»Quietsch!« Jan hörte, wie sich im Nachbarhof eine Tür öffnete. War sie das? Er lauschte und erkannte die Stimme von Aische, doch sie redete eine ganz andere Sprache.

»Aische?« fragte Jan halblaut. Die Stimme von Aische verstummte.

»Bist du das, Aische?« rief Jan. Wieder keine Antwort. Jan rief abermals, doch niemand antwortete. Er begann, mit Steinchen über die Mauer zu werfen. Er hörte Aische kichern, doch dann vernahm er ein »Au!«. Vermutlich hatte eines der Steinchen Aische getroffen.

Eine halbe Minute später stießen drei Jungen, die Aische ähnlich sahen, die Tür zu Jans Hof auf und verprügelten ihn tüchtig. Jan schrie auf. Eine Hand klatschte ihm ins Gesicht. Dann ließen sie ihn los und rannten davon. Zuerst lag Jan reglos am Boden. Auf einmal sprang er auf, rannte auf die Mauer zu und kroch hinter das Gebüsch. Den Kopf gegen die Mauer gelehnt, horchte er. Tränen rannten ihm über die Wangen. Er weinte. Er weinte, weil die Brüder von Aische ihn geschlagen hatten, weil er alleine war und weil er sich ungerecht behandelt fühlte. So kauerte er einige Zeit in seinem Versteck.

Da spürte er eine zarte Berührung am Rücken. Jan drehte sich um. Eine kleine Hand hatte sich durch das Loch in der Mauer gestreckt. Sie hielt ein Stück Kuchen und eine schüchterne Stimme flüsterte: »Für dich, ein Stück Baklava…«