Tanja Pichler (13)

Fremd sein

Vor ungefähr einem Jahr bekam meine Klasse einen neuen Mitschüler. Er heißt Selim und ist Ausländer. Selim ist Kurde und angeblich ist er vor über einem Jahr aus der Türkei geflüchtet. Dass Selim Ausländer ist, war damals, als er in unsere Klasse kam, auch der Grund dafür, dass viele Jungs und Mädchen ihn auslachten und verspotteten. »Ausländerpack. Du hast hier nichts zu suchen«, riefen ein paar Burschen immer. Ich empfand großes Mitleid für unseren »Neuling«, denn er hatte so gut wie keine Anerkennung von unseren Mitschülern bekommen und Freunde hatte er sowieso keine. Selim saß immer alleine auf einer Schulbank und kauerte vor sich hin. Wenn er etwas von einem Lehrer gefragt wurde, stotterte er die Antwort in einem sehr kargen Deutsch daher, und klarerweise brach die Klasse immer wieder in schallendes Gelächter aus.

Als ich eines Tages beobachtete, wie Selim von drei hinterhältigen Burschen bedroht wurde, beschloss ich, etwas zu unternehmen. Zu Hause erzählte ich meiner Mutter von Selim, doch diese zeigte kaum Mitgefühl und meinte kaltherzig: »Er muss selbst mit der Situation fertig werden; typisch, Ausländer sind zu faul für alles, sogar dafür, sich Freunde zu suchen!« Beleidigt und enttäuscht verschwand ich in meinem Zimmer, um nachzudenken. Am nächsten Tag nach der Schule ging ich etwas nervös zu Selim und sagte: »Hallo Selim! Ich heiße Tanja!«

»Hallo! Willst du mich ärgern, oder was willst du?«, meinte er schüchtern.

»Nein, warum sollte ich dich ärgern wollen? Ich wollte dich fragen, ob du heute bei mir und mit mir zusammen lernen möchtest?«

»Meinst du das ehrlich?« fragte er.

»Ja, natürlich. Komm heute um 15 Uhr doch einfach zu mir!" lachte ich noch geschwind. Langsam erklärte ich ihm noch den schnellsten Weg zu meinem Haus und spazierte dann glücklich nach Hause. Ich war froh, dass sowohl meine Mutter als auch mein Vater an diesem Tag bis ca. 19 Uhr nicht zu Hause waren und Selim und ich alleine waren. Um Punkt 15 Uhr läutete es an der Tür, und Selim stand mit einer Rose vor der Tür.

»Hallo, schön, dass du gekommen bist!« freute ich mich.

»Ich freue mich ebenso über die Einladung. Diese Rose ist für dich!« sagte Selim freundlich. Wir hatten beide einen schönen Nachmittag verbracht und Selim erzählte mir einiges über sein Leben und eben, wie er sich in der neuen »Klassengemeinschaft« fühlte. Dass Selim sich damals ausgeschlossen fühlte, konnte ich gut verstehen.

Am nächsten Tag in der Schule haben wir mit unserer Lehrerin über Ausländer und Rassismus geredet. Einige Schüler wurden knallrot im Gesicht, als die Lehrerin auf Selim zu sprechen kam. »Nicht, weil viele Menschen anders aussehen, andere Kulturen haben oder einfach einen anderen Glauben haben, sollte man Vorurteile über denjenigen machen oder sie ausschließen und verachten!« rief ich ernst und deutete auf meinen Freund Selim.

Nach dem Unterricht standen auf einmal viele Mitschüler, unter anderem auch die, die ihn verspottet hatten, um Selim herum und waren plötzlich ganz nett zu ihm. Ich glaube, seit diesem Tag fühlte sich Selim erstmals von der Klasse akzeptiert. So war es auch, denn seit jenem Tag fiel keine einzige Beleidigung mehr über Selim. Mir schien es nahezu, dass viele sich um ihn stritten. Ich war sehr froh darüber, dass jetzt auch andere mit Selim lachen konnten, oder besser gesagt, können!