Erna Memic (12)

Fremd

»Na endlich!« schnaufte meine Freundin Viktoria und meinte damit den Kindergarten. »Bald können wir zusammen in die Schule«, sagte ich glücklich.

»Na ja, weisst Du, ich muss dir noch was sagen: ich werde im Ort, wo meine Mutter arbeitet in die Schule gehen«, erwiderte sie nur. Aber das konnte sie doch nicht tun. Dann würde ich ja gar keine Freunde haben in der Volksschule. Ich hoffte die ganze Zeit würde stehenbleiben und die Einschulung würde nie zu Stande kommen. Doch nicht lange Zeit später bestand ich die Aufnahmsprüfung sogar. Ich hoffte, ich würde noch schnell am Angang des Schuljahres Freunde finden, doch dem war nicht so. Alle in der Klasse schienen sich zu verstehen, nur mich kannte keiner und anscheinend wollte mich auch keiner kennen. Jeden Tag musste ich der ganzen restlichen Klasse mit einem respektvollen Abstand in den Schulhof folgen. Jeden Morgen kam ich in die Klasse, ohne dass irgendjemand zu mir »Guten Morgen« sagte oder mich anlächelte, oder mich auch nur eines Blickes würdigte. Wenn sie mich einfach nur beachten würden. Hatte ich ihnen irgendetwas getan?

Ich saß immer allein, bis die Lehrerin eine Mitschülerin namens Barbara zu mir setzte. Zwei Wochen saß ich neben ihr. Einmal fragte ich sie, warum ich von ihr und den anderen immer ausgeschlossen würde. Darauf antwortete sie: »Du bist einfach anders. Du bist einfach nicht so wie wir. Du bist, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Weißt Du, wir interessieren uns wahrscheinlich für andere Dinge als du. Da wird wohl der Unterschied liegen.«

Was sie sagte, verletzte mich sehr. Alle von ihnen interessierten sich sicher auch nicht für das Gleiche und trotzdem redeten sie miteinander. Nicht einmal einen kurzen Dialog war ich ihnen wert. Nicht einmal ein »Hallo«. Es tat weh, doch ich musste es hinnehmen und unterwarf mich ihnen immer mehr. Sie taten das, was sie immer taten und ich durfte bestenfalls nachrennen. Ansonsten war ich immer ausgeschlossen. Das erwartete sich keiner von der ersten Klasse, doch bei mir war es die brutale Realität. Ich war fremd, fremd und ausgeschlossen.

Das erste Jahr war fast zu Ende. Nur noch eineinhalb Monate. Die Volksschule dauerte aber noch drei lange Jahre. Jeden Tag weinte ich im Bus, wenn ich zur die Schule fuhr. Manchmal nur im Inneren. Jedes Mal, wenn mich meine Eltern fragten, wie es in der Schule war, musste ich weinen. Ich konnte kaum glauben, dass man durch seine Klasse, dadurch, dass man keine Freunde hat, so kaputt gehen kann. Als ich an einem schönen Sonntagmorgen aufwachte, wusste ich, heute gibt es keine Hänseleien. Doch ich fühlte irgendwie nicht nur das Gleiche wie jeden Samstag und Sonntag. Ich fühlte mich noch glücklich als je zuvor.

Gleich nach dem Frühstück kamen meine Eltern zu mir und meinten, sie müssten mich etwas fragen. Da fuhr meine Mutter schon fort: Weißt du, mir wurde eine Stelle in einem etwas größeren Städtchen angeboten. Na ja und wie du weißt, kann mich dein Vater nicht jeden Tag zur Arbeit fahren. Deine Cousine Nadja wohnt ja auch dort und wie du auch weißt, gibt es in der Nähe von ihr noch freie Wohnungen. Du müsstest aber dort in die Schule gehen. Was sagst du dazu? Ohne dein Einverständnis ziehen wir nirgendwo hin.«

Nadja, die sowieso die einzige Freundin war, die ich in dieser Zeit hatte, mochte ich sehr gern. Wir sahen uns nur viel zu selten. »Na, was ist jetzt?« fragte mein Vater und sah mich antwortsuchend an.

»Ja, natürlich will ich, dass wir umziehen«, antwortete ich und umarmte meine Eltern. Ich musste es nur noch einen Tag in der Volksschule aushalten. Dieser letzte Tag da war für mich der schönste. Unser Umzug ging sehr schnell und ich verbrachte jeden Tag mit Nadja. Als sie mich zum ersten Mal in meine neue Schule mitnahm, war ich sehr aufgeregt. Ich hoffte, es würde nicht wieder so kommen wie früher. Als ich mir endlich so ungefähr alle Namen gemerkt hatte, hatte ich zu jedem ein mehr oder weniger freundschaftliches Verhältnis. Auch heute gehen wir zusammen in die Schule und ich bin froh, dass sich alles ganz verändert hat.