Klara Jiranek (13)

Rache

Es war dunkel um sie. Stockdunkel. Sie konnte nicht einmal ihre Hand sehen, wenn sie sie vor die Augen hielt. Doch sie wusste, wo sie war und was sie zu tun hatte. Sie brauchte kein Licht. Es würde jeden Freitag den Dreizehnten dasselbe passieren. Und seit damals war es auch nie anders gewesen. Weiterhin würde an jedem Freitag, der auf den dreizehnten Tag des Monats fiel, ein Mann sterben müssen.

Sie stand noch immer regungslos da. Noch war es nicht an der Zeit, aufzubrechen. Sie kannte diesen Tunnel schon in- und auswendig. Die Schienen, das feuchte, verschimmelte Moos an den Wänden, der lehmige Boden – alles war ihr vertraut.

Man hörte, wie sich ein Zug näherte. Die stampfenden, rhythmischen Geräusche waren unerträglich laut. Doch sie war es gewöhnt und beachtete den vorbeirasenden Zug nicht.

Ein paar Minuten später, als die Zeit wieder stillzustehen schien, machte sie sich auf den Weg. Sie stolperte nicht über die Ziegelsteine oder den Autoreifen – Nein, sie kannte das alles schon viel zu gut. Es war ein alter, verfallener Tunnel, es schien keinen zu interessieren, ob er überhaupt sicher genug war.

Mittlerweile war sie schon auf der Forststraße. Sie ging schnell und in einem immer gleichbleibenden Tempo. Sie musste nicht überlegen, WER in dieser Nacht WIE sterben würde. – Es war alles genauestens geplant. Sie brauchte nicht auf die Uhr zu blicken, um zu wissen, dass es halb Zwei war.

In der Ferne konnte man schon den riesigen englischen Garten und die Luxusvilla erkennen. Es brannte kein Licht mehr. Er war alleine. – Sie wusste das. Sie war nicht nervös, als sie durch das unverschlossene Fenster einstieg. Es war Routine.

Der teure Perserteppich schluckte die Geräusche ihrer Schritte. Sie war ruhig, richtig entspannt. Während sie die Treppe hochschlich, holte sie ein scharfes Fischermesser aus ihrem weiten Mantel. An die Handschuhe hatte sie schon vorher gedacht. Es würde ein weiterer perfekter Mord ohne Verdächtige sein.

Die Schlafzimmertüre war angelehnt. Lautlos schlich sie ins Zimmer. Sie fühlte weder Hass noch Wut, als sie dem Mann die Hand vor den Mund presste und zustach. Sie fühlte nichts. Die weiße Bettwäsche färbte sich in sekundenschnelle rot – blutrot!

Es dauerte keine fünfzig Sekunden, bis sie das Haus verlassen hatte.

David hatte der Kerl geheißen. Er hatte einmal etwas mit ihrer Mutter gehabt, doch er hatte sie nur ausgenutzt. Dafür hatte er büßen müssen.

Jetzt ging sie schneller – sie musste ihrer Mutter ja noch Gute Nacht sagen. Als sie den Tunneleingang erreicht hatte, rannte sie schon. Schweiß lief ihr über die Stirn – kalter Schweiß.

Dort lag sie. »Gute Nacht«, flüsterte sie dem verkrüppelten, bleichen Skelett ihrer Mutter zu.