Klara Jiranek (13)

FREMD

(eine Fantasie-/Science-Fiction-Geschichte)

Ob diese Geschichte in ferner Zukunft spielt, oder schon letzten Freitag (13.10.2000) passiert ist, liegt ganz bei Ihnen.Es war sechs Uhr, als ich aufwachte. »Verdammt, heute ist Freitag der 13.«, dachte ich mir. Nein, ich bin nicht abergläubisch, aber an solch einem Datum passierten in meinem recht eintönig verlaufenden Leben die unglaublichsten Sachen. Einmal glaubte ich sogar, meinen verstorbenen Großvater gesehen zu haben, so verrückt es auch klingen mag.

Aber zurück zu dem Freitag, den ich wohl mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde:

Ich spürte, dass irgendetwas anders war als sonst, an diesem kalten und dunklen Herbstmorgen. Waren es die neuen Vorhänge, durch die noch das Licht der Straßenlaternen hereinschien? Natürlich nicht, meine Eltern waren zu einem Begräbnis nach Wels gefahren und kamen erst morgen am Vormittag zurück.

Obwohl es noch viel zu früh war um aufzustehen, zog ich mich an und aß eine Kleinigkeit. Und obwohl die Schule erst in eineinhalb Stunden anfing, verließ ich schon jetzt die Wohnung. Ich kann nicht sagen, wieso ich das tat, aber irgendetwas zwang mich dazu, schob mich zur Türe hinaus. Meine Füße bewegten sich wie von selber, erst als ich in den Bus einstieg, konnte ich wieder klar denken. Und da sah ich ihn zum ersten Mal. Es war ein Junge, den ich auf der Straße sah, ein Junge wie jeder andere auch, vielleicht sogar in meinem Alter, und doch ging von ihm eine Kälte aus, ja ein Hass, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich versuchte, diese abnormalen Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen, aber was ist schon normal an einem Freitag, der auf den 13. Tag des Monats fiel?

Der Bus fuhr weiter, und ich verlor den Jungen aus den Augen. Als ich bei der Schule ankam, dauerte es noch immer fast eine ganze Stunde bis zum Beginn des Unterrichts. Ich ging mich also zum nahen Mc Donald’s und bestellte einen Orangensaft. Meine Gedanken kehrten zu dem unheimlichen Buben zurück, und wieder wurde mir abwechselnd heiß und kalt. In diesem Moment ging die Türe auf, und eine Gestalt betrat den beinahe menschenleeren Mc Donald’s. Es war der Junge! Ich begann augenblicklich zu zittern und drehte ihm den Rücken zu. Mit klappernden Zähnen setzte ich mich in einen Winkel des Fast-Food-Restaurants und begann, obwohl sein Aussehen pure Angst in mir auslöste, ihn eingehend zu betrachten. Ich weiß nicht, weshalb ich mir das antat, aber schon zum zweiten Mal an diesem Tag trieb mich eine ungeheure Kraft dazu an. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm wenden.

Da war etwas Fremdes an diesem Kind, etwas Abstoßendes. Dabei sah er wie jeder andere Bub in seinem Alter aus, es war nichts Ungewöhnliches an ihm zu erkennen. Seine kurzen Haare waren brünett, er selber war schlank und modisch angezogen. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ein Skateboard unter dem Arm eingeklemmt hielt. Er saß da total unauffällig an einem Tisch und betrachtete die Speisekarte. Keiner hätte Notiz von ihm genommen, ich jedoch begann immer mehr Angst vor ihm zu bekommen. Ja, es war ANGST, was ich empfand. Das erste Mal an diesem Tag beschlich mich ein Gefühl der Beklemmung. Die Sache mit dem Jungen war doch nur eine bloße Erfindung meiner Fantasie. Ich versuchte aufzuhören ihn anzustarren, und mir die verrücktesten Sachen über diesen Jugendlichen auszudenken.

In diesem Moment stand er auf. Ich zuckte jäh zusammen und wollte aufs Klo zu flüchten, der Junge versuchte mich jedoch zurück zu halten. Jetzt packte mich das pure Entsetzen! Ich versuchte mich loszureißen, und der Bub rief: »Was ist denn los, ich wollte doch nur fragen, um wie viel Uhr die erste Stunde in der Schule hier um die Ecke angeläutet wird. Oder gehst du nicht in dieses Gymnasium?«

Ich wurde kreidebleich, ja ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Kopf floss. Diese Stimme, diese fürchterlich monotone Stimme. Beinahe blechern klang sie. Ich versuchte »cool« zu bleiben und beantwortete seine Frage. Er nickte mir zu und verließ den Mc Donald’s. Nie werde ich diese Augen vergessen! Sie waren blau, stechend blau, und wenn man genau hinsah, konnte man darin eine Spur von Grün entdecken.

Hastig sah ich auf die Uhr und erschrak, als ich bemerkte, dass ich mich schon beeilen musste. Erst als ich schon im Keller bei meinem Spind war, begann ich mich zu wundern, dass der Junge die Uhrzeit des Beginns der ersten Stunde wissen wollte. Mein Gott, war er womöglich Schüler an dieser Schule? Warum war er mir dann nicht schon früher aufgefallen, wenn er doch solch überaus seltsame Gefühle in mir auslöste? Oder war doch alles nur ein harmloses Missverständnis? Fragen über Fragen, aber keine einzige Antwort. Ich verscheuchte abermals meine Gedanken und raste in einem Höllentempo zwei Stockwerke hinauf. Vor der Klassentür blieb ich stehen. Sie war zu! Jetzt musste ich meiner Mathematikprofessorin irgendwie mein Zu spät Kommen erklären. Ich atmete noch einmal tief durch und öffnete die Türe.

Sechsundzwanzig Augenpaare starrten mich gleichzeitig an. Eines der Augenpaare war stechend blau! Mir wurde schwindlig. Mein Magen schien sich umzudrehen. Wie im Traum ging ich zum Lehrertisch und stammelte der Lehrerin etwas von »verschlafen« vor. Ich spürte förmlich die Blicke des mysteriösen Jungen wie Messerstiche in meinem Rücken. Ich stolperte zu meinem Platz und packte schnell meine Mathematiksachen aus. Die ganze Stunde konnte ich mich nicht konzentrieren und dachte nur an den Jungen. Ich fühlte seine Gegenwart. Er hatte etwas Unmenschliches an sich, das mir Angst machte. Seine Augen, seine Stimme, sein Aussehen, sein Gang, all das hatte etwas Fremdes an sich. Und immer wieder fragte ich mich, was er wohl in meiner Klasse wollte. Würde er wirklich ein Schüler in dieser Klasse werden?

Das Läuten der Schulglocke riss mich aus meinen Gedanken. Schnell winkte ich Susanna zu mir herüber, mit der ich mich gut verstand. Ich deutete auf den Jungen, wobei ich wieder eine Gänsehaut bekam, und fragte Susanna, wer das sei.

»Er ist süß, nicht?« flötete sie mir ins Ohr und am liebsten hätte ich die Augen verdreht, aber ich wollte noch mehr von Susanna hören. »Er heißt Lukas Sehner und ist übersiedelt. Aber das ist doch unwichtig. Schau dir nur seine Augen an. Sind sie nicht wunderschön?!«

»Lukas heißt er also«, dachte ich mir. Während ich weiter über die Tatsache, dass dieser abstoßende Bub jetzt in meiner Klasse war, nachdachte, schwärmte Susanna aufgeregt weiter von Lukas und merkte nicht, dass ich ihr gar nicht zuhörte. Kurz darauf verließ Susanna meinen Platz und ging zu ihren Freundinnen hinüber, wo sie weiter über Lukas quatschte.

Allem Anschein nach war Lukas nicht nur bei den Mädchen beliebt, auch die Buben aus meiner Klasse umringten ihn jetzt. Er schien es zu genießen, so im Mittelpunkt zu stehen. Mir jedoch begann es immer schlechter und schlechter zu gehen. Und plötzlich fiel mir etwas ein: Die Mädchen werden heute im Nachmittagsunterricht, anders als sonst, mit den Buben turnen. Normalerweise hätte ich mich schon darauf gefreut, da die Buben in Völkerball schärfer schießen als die Mädchen, heute aber wünschte ich, der Vormittag würde nie zu Ende gehen.

Ich riskierte einen Blick zu Lukas und zuckte jäh zusammen, als ich merkte, dass er mich schon eine längere Zeit anstarrte. Ich wendete mich ab und richtete meine Schulsachen für die nächste Stunde, Deutsch, her. In dieser Stunde lasen wir in unserer Klassenlektüre weiter und ich musste mir einmal mehr Lukas’ monotone Stimme anhören. Dabei wurde mir so flau im Magen, dass ich aufs Klo rannte, in der Befürchtung, ich müsse mich übergeben.

In der nächsten Pause überkamen mich Schweißausbrüche, als ich erneut feststellen musste, dass mich Lukas schon wieder musterte. Mir wurde es in der Klasse zu eng und zu heiß, und ich stürmte die Treppen zum Buffet hinunter. Unten angekommen, musste ich mich an einer ellenlangen Schlange anstellen. Plötzlich stand Lukas neben mir. Ich wurde bleich und bekam einen Hustenanfall. Ich zwang mich zu einem gequetschten »Hallo«, mehr war nicht aus mir herauszubekommen.

»Kannst du mir Geld borgen?« fragte er mich höflich.

Wortlos gab ich ihm meinen letzten Zwanziger.

»Du warst doch das Mädchen im Mc Donalds?!«

Anscheinend versuchte er, ein Gespräch mit mir zu führen. Ich nickte stumm, kaufte mir einen Mars-Riegel und wollte weggehen. Lukas kaufte sich auch ein Mars und sah aufmerksam dabei zu, wie ich die Plastikhölle abzog und in den Riegel biss. Langsam begann er, mich zu nerven, wie er so neben mir herschlenderte und nun auch von seinem Mars kostete. Ich merkte, dass ich keine ANGST mehr hatte, Lukas wirkte nur noch abstoßend auf mich, nicht wie ein normaler Mensch, ganz einfach FREMD!

Ich betrat die Klasse, und im nächsten Moment läutete es. Ich ließ mich auf meinen Sessel fallen und atmete tief durch. In den letzten drei Stunden hatte ich fürchterliche Kopfschmerzen und konnte mich noch weniger konzentrieren als bisher.

Endlich war Schulschluss, und ich rannte befreit aus der Klasse. »Nur raus!« war mein Gedanke. Ich war schon fast bei der Türe angekommen, als ich plötzlich Lukas’ Stimme hörte. Diesmal klang sie eher bittend, fast hilflos, und ich blieb stehen. »Warte!« rief er, »Gibt es hier eigentlich eine Nachmittagsbetreuung?« fragte er.

»Ja, aber da müsstest du angemeldet sein. Vielleicht machen sie bei dir eine Ausnahme.« Ich versuchte, meine Angstzustände zu verbergen, und machte mich schnellstens aus dem Staub.

Der Bus ließ nicht lange auf sich warten und schon bald stand ich zu Hause am Herd und kochte mein Essen auf. Das erste Mal an diesem Tag hörte ich auf, die Sache mit Lukas zu glauben, meinte, das sei alles nur Einbildung und hänge bloß mit dem heutigen Datum zusammen.

Ich hatte keinen großen Appetit und ließ die Hälfte meiner Portion stehen. Ich machte alle meine Hausübungen in Rekordzeit, richtete das Turngewand her und machte mich schließlich auf den Weg.

Der Turnsaal liegt im Kellergeschoss unserer Schule und wurde vor kurzem erst renoviert. Das ist auch der Grund, weshalb es noch keine Turngeräte gibt und wir die meiste Zeit Völkerball spielen. Ich war recht früh dran und hörte, während ich mich umzog, eine Unterhaltung zweier Mädchen meiner Klasse mit an. Es ging um Lukas. Abermals hörte ich nur Schwärmereien. Langsam begann mir die ganze Sache auf die Nerven zu gehen. Lukas, Lukas und nochmals Lukas! Gab es denn kein einziges Mädchen, das meine Empfindungen verstand? War ich denn die Einzige, die Lukas einfach nicht ausstehen konnte?

Ich hatte mich fertig angezogen, ging in den Turnsaal und begann Volleyballservice gegen die Wand zu machen. Allmählich füllte sich der Turnsaal mit Mädchen und Buben. Lukas war nicht dabei. Ich schöpfte ein wenig Hoffnung, wünschte, er hätte auf das Turnen vergessen. Wir setzten uns schon an der langen Seite der Wand hin, um für das Völkerballmatch zu wählen, als plötzlich die Türe aufging und Lukas hereintrabte. Während er ein paar Worte mit dem Turnlehrer der Buben wechselte, entstand bei den Mädchen eine allgemeine Unruhe. Es wurde gekichert, getuschelt und gegrinst, Lukas lächelte nur verlegen in die Runde und setzte sich danach auch an die Wand.

Das Spiel verlief eher eintönig, ich konnte mich nicht sehr konzentrieren. Lukas spielte in der Position des Freigeistes, er war mittelmäßig. In den Augen der anderen Mädchen war er jedoch »umwerfend gut«, »fantastisch« und ein »grandioser Spieler«. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Zwanzig Minuten vor Stundenende schickte der Lehrer die Mädchen zum Umziehen und die Jungen in den Duschraum. Er selber verschwand in der Lehrergarderobe.

Ich beeilte mich, um meine Lieblingsfernsehserie nicht zu verpassen. Plötzlich stieß mich Susanna an und flüsterte mir ins Ohr: »Kommst du mit, wir wollen mal in die Bubengarderobe schauen?!« Sie hatte immer so schwachsinnige Ideen, die anderen Mädchen waren aber Feuer und Flamme, so schloss ich mich ihnen an. Leise gingen wir über den Gang in den danebenliegenden Raum. In der Garderobe stank es furchtbar nach Schweiß, den anderen schien das aber nicht das geringste auszumachen. Ich hielt mir die Nase zu und schlich, während die übrigen Mädchen in den Gewändern der Buben herumstöberten, zu der Türe des Duschraumes, aus dem laute Stimmen und Grölen drangen. Ohne zu wissen was ich tat, öffnete ich die Tür. Direkt vor mir, ca. drei Meter entfernt stand, mit dem Rücken zu mir gewandt, Lukas! Der Duschvorhang war zwar ein wenig zugeschoben, ich wusste aber sofort, dass er es war. Zum Glück hatte er noch seine dunkelblauen Boxershorts an, sonst wäre ich wahrscheinlich auf der Stelle mit einem Herzinfarkt in mich zusammengebrochen! Mein Herz begann zu rasen. Obwohl ich am liebsten augenblicklich weggerannt wäre, blieb ich wie versteinert stehen.

In diesem Moment drehte sich Lukas um. Meine Augen weiteten sich, ich versuchte zu schreien, aus meinem Hals kam jedoch nur ein klägliches Krächzen, das von dem Gejohle der Buben übertönt wurde. Mir wurde schwindlig. Lukas hatte weder Brustwarzen, noch einen Nabel, dafür aber einen grünlichen Oberkörper!

Ich taumelte rückwärts und schlug die Türe zu. Mir war speiübel. Ich konnte noch immer nicht fassen, was ich gerade gesehen hatte. Für mehr Überlegungen hatte ich keine Zeit, denn Susanna kam zu mir herüber.

»Du bist ja ganz kreidebleich!« rief Susanna erschrocken.

»Wenigstens nicht grün«, dachte ich, sprach diesen Gedanken jedoch nicht aus. »Das kommt von diesem Gestank hier drin«, log ich, um weiteren unangenehmen Fragen zu entgehen. Ich hastete in die Umkleideraum der Mädchen zurück, rannte dort aufs Klo und übergab mich.

Als die anderen Mädchen von dem kleinen Ausflug zurück kamen, befand ich mich schon längst außerhalb der Schule. Es bemerkte aber keiner, nicht einmal Susanna. Ich war total schockiert, rannte blind über Straßen und Kreuzungen und hoffte insgeheim, eine Auto würde mich überfahren.

Das geschah nicht, und ich kam heil in meiner Wohnung an. Dort warf ich mich aufs Bett und begann lauthals zu schluchzen. Ich versuchte, wieder klare Gedanken zu fassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das, was ich gesehen hatte, wirklich passiert war. Wenn er nun aber wirklich ein »Mensch« von einem anderen Planeten war? Diese Vorstellung war absolut absurd und widerte mich an. Allerdings wären dann die abstoßenden Gefühle, die ich für ihn empfand, wenigstens ein bisschen vorstellbarer. Ich schüttelte meinen Kopf. Von einem anderen Stern, womöglich sogar einer anderen Galaxie – ein absoluter Schwachsinn! Erst jetzt merkte ich, wie müde ich war. Der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrte, war die Frage, wie es morgen weitergehen sollte. Dann schlief ich ein.

Ein durchdringendes, helles Geräusch weckte mich auf. Erschrocken sprang ich auf. Hatte ich verschlafen? Da fiel mein Blick auf die Uhr. Es war erst kurz vor zwölf. Ich hatte ganze sieben Stunden vor mich hingedöst! Da fiel mir wieder die Sache mit Lukas ein. Es traf mich wie ein Keulenschlag, und ich musste mich hinsetzten. Das seltsame Geräusch hatte einstweilen nicht aufgehört. Es klang fast so, wie wenn man einen Fernseher aufdreht. Ich hielt mir die Ohren zu, um weiterschlafen zu können, obwohl ich mich noch nicht einmal ausgezogen hatte, aber das Sirren hörte nicht auf. Also versuchte ich herauszubekommen, von wo es kam. Schließlich öffnete ich das Fenster und blickte auf die fast menschenleere Straße hinab. Plötzlich sah ich einen hellen Schein, der vom Himmel kam. Neugierig sah ich nach oben. Ich traute meinen Augen nicht! Da flog doch tatsächlich ein Ufo über das dunkle Firmament! Zumindest stellte ich mir genauso eine fliegende Untertasse vor. Zum zweiten Mal an diesem verflixten Freitag wurde mir fast schwarz vor Augen. Ich kniff beide Augen fest zu und starrte gebannt zum Himmel hinauf. Das grau-glänzende Objekt entfernte sich rasch, ich versuchte verzweifelt festzustellen, ob das alles nur Einbildung, oder doch Realität war. Jetzt hatte sich das Ufo aus meinem Blickfeld entfernt, aber ich spürte, dass das alles wahrlich passiert war, ich fühlte etwas, was mir schon sehr bekannt war: Dieses anwidernde, abstoßende, in einem Wort gesagt fremde Gefühl, das ich schon so oft in Lukas’ Gegenwart erlebt hatte! Und in genau diesem Moment wurde mir klar, dass die Idee, dass Lukas von einem anderen Planeten stammt, kein Quatsch war. Ich spürte, ja ich wusste, dass sich Lukas in diesem Ufo befand!

Todmüde schloss ich das Fenster und ließ mich aufs Bett fallen. Und wieder einmal war der letzte Gedanke, den ich dachte, der, was morgen wohl passieren würde.

Als ich am nächsten morgen aufwachte, dachte ich sofort an Lukas und daran, dass meine Eltern heute wieder nach Hause kommen würden. Da ich mir so sicher war, dass sich Lukas nicht mehr auf dem Planeten Erde befand, überlegte ich mir, wie ich wohl in der Schule reagieren sollte. Ich beschloss, Susanna in einem günstigen Moment ganz unschuldig zu fragen, ob sie wüsste, wo Lukas denn heute sei. Ganz so, als würde ich mich auch für ihn interessieren. Ich zog mich blitzartig an und rannte dann zur Bushaltestelle.

Während ich im Bus saß, dachte ich auf den gestrigen Tag. Dafür, dass ich gestern so depressiv war, fühlte ich mich ausgezeichnet. Kein einziges Mal stellte ich meine Idee, dass Lukas sich in dem Ufo befand und nun in einer anderen Galaxie frühstückt, in Frage. Ich war mir einfach zu hundert Prozent sicher. Als ich schließlich viel zu früh vor der Klassentür stand, begann ich plötzlich zu schwitzen. Ich verscheuchte alle meine wirren Fragen, auf die es sowieso nur eine Antwort gäbe, wenn ich die Klasse betreten würde. Also gab ich mir einen Ruck und trat ein.

Susanna empfing mich freudig und plapperte irgendetwas von einer gelungenen Deutschschularbeit. Kein Wort von Lukas. Ich war ein wenig irritiert und beschloss daraufhin Susanna zufragen, ob sie wüsste, was los sei. »He Su, weißt du, ob Lukas heute noch kommt?«

»WER?«, fragte Susanna zu meinem Erstaunen. Vielleicht hatte sie mich ja nicht richtig verstanden.

»Na Lukas, der neue …« Weiter kam ich nicht.

»Ach so, du meinst Ludwig Molkop, den neuen in der 3.C!«, rief Susanna.

»Nein, LUKAS«, entgegnete ich. Da wurde mir klar, dass wohl nur noch ich mich an den gestrigen Tag erinnern würde. Trotzdem war ich mir nicht sicher und fügte rasch hinzu: »Ach nein, das hab ich jetzt verwechselt. Ludwig, na klar. Ich dachte, der wurde unserer Klasse zugeordnet?!«

»Aber nein. Wir hatten doch schon seit fast zwei Jahren keinen neuen Schüler mehr!« sagte Susanna und drehte mir daraufhin den Rücken zu. Mir wurde schlecht. War der gesamte Freitag der 13. denn nur in meiner Fantasie abgelaufen? Ich fragte schnell den nächstbesten nach dem Datum. Heute war der 14.! Ich konnte das einfach nicht glauben! Weitere Gedanken konnte ich mir nicht machen, da unser Klassenvorstand schon die Klasse betrat.

Ich rannte jede Stunde fast viermal aufs Klo und ich dachte, ich müsste mich übergeben. Ich war auf alles vorbereitet gewesen, nur nicht auf das! Endlich war die Schule aus, aber als ich aus dem Schulgebäude hechten wollte, hielt Susanna mich zurück. »Ich dachte mir, du willst vielleicht Ludwig kennen lernen?!« flötete sie mit zuckersüßer Stimme, »Kannst du dich noch erinnern? Ludwig, der Neue!« Susanna schob einen Jungen nach vor. Und als ich ihn sah, schien mein Herz stillzustehen. Obwohl Ludwig aussah, wie jeder andere Junge, ging von ihm ein Hass, eine Kälte, ja eine Fremde aus, dass mir schlecht wurde…