Klara Jiranek (13)

Mein Rennschwein

24. Dezember: Meine Mutter, mein Vater, meine Schwester, meine Oma und ich warteten schon gespannt auf die Bescherung. Schließlich war es so weit – wir betraten das Kinderzimmer. Obwohl der Christbaum riesengroß und wunderschön geschmückt war, hatte ich nur Augen für einen mit einer Decke zugedeckten Quader. Ich hatte absolut keine Vorstellung davon, was sich darunter befinden könnte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir endlich die Geschenke auspacken durften. Meine Mutter entfernte mit einem Ruck die Decke ,– es war ein Meerschweinchenkäfig! Ein Jahr zuvor war unser letztes Meerschweinchen gestorben, und ich wünschte mir nichts mehr, als wieder einen solchen Nager zu bekommen. Trotzdem hätte ich nie damit gerechnet, schon zu Weihnachten so beschenkt zu werden. In dem Käfig hockte ein völlig verschrecktes, ca. 6 cm großes, kohlrabenschwarzes Meerschweinchen. Mir gelang es, den Kleinen, es war ein Männchen, gleich beim ersten Versuch zu schnappen und ihn aus dem Käfig zu heben. Es war ein tolles Gefühl!

Mohrli, so nannten wir unser neues Haustier, weil es vollkommen schwarz war, lebte sich schnell bei uns ein. Bald ließen wir ihn in unserem Wohnzimmer frei herumlaufen, und bald stellte sich heraus: Mohrli war ein richtiges Rennschwein. In unserem Wohnzimmer befindet sich ein Parkettboden, nur in der Mitte des Raumes liegt ein großer Teppich mit einem Tisch. Und da es für Mohrli ziemlich schwierig war, auf Holz zu laufen, drehte er seine Runden immer rund um den Tisch auf dem Teppich. Und wie!! Er legte sich förmlich in die Kurven, so ein Tempo hatte er drauf. Wenn man im Nebenzimmer saß, hörte man immer nur Mohrlis rasend schnelles Getrappel. Nach ca. 2 Monaten bekam er einen sogenannten »Laufrappel«, er hielt es nicht mehr in seinem Käfig aus. Dann knabberte er wie verrückt an den metallenen Gitterstäben, bis wir ihn wieder heraus ließen. Aber man konnte Mohrli echt toll streicheln. Er machte sich nämlich immer total flach, streckte seine Hinterbeine aus und schloss beide Augen. Er war der Liebling der ganzen Familie!

Im Mai war es dann schon so warm, dass wir Mohrli in unserem Garten in Niederösterreich frei herumlaufen lassen konnten. Das heißt: Richtig »frei« konnten wir Mohrli nicht laufen lassen, er, mit seinem Laufwahn, wäre sicher abgehauen. Also bauten wir ihm eine viereckige Begrenzung aus Holz, ca. 25 cm hoch.

An einem Tag in diesem sommerlichen Mai hatten wir gerade Besuch, als Mohrli in seinem Geviert Gras fraß. Meine Mutter hatte zusätzlich noch ein Gitter über das Holz gelegt, da aber nicht alle vier Seiten genau 25 cm hoch waren, entstand ein ungefähr 4 cm großer Spalt. Wir trafen diese ganzen Vorsichtsmaßnahmen, weil uns Mohrli schon einmal, hinweg über die Begrenzung, weggelaufen war. Zum Glück konnten wir ihn damals gleich wieder einfangen. Ich machte mir wegen den, im Grunde genommen lächerlichen, 4 cm noch Sorgen, aber schließlich ging ich doch auf mein Zimmer und sah fern. Als ich zwei Stunden später nach der Jause in den Garten ging, traf mich der Schlag: Mohrli war weg!! Er war einfach verschwunden!! Er musste 25 cm hoch gesprungen und dann durch einen 4 cm schmalen Schlitz entflohen sein! Fast unvorstellbar, aber eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Sofort lief ich zu meinen Eltern, und gemeinsam mit unserem Besuch begannen wir den gesamten Garten abzusuchen. Es war der reinste Alptraum! Wir gingen sogar auf das verwilderte Grundstück unterhalb von uns, um nach dem kleinen Ausreißer zu suchen. Ohne Erfolg! Meine Schwester und ich heulten die ganze Zeit, wir konnten und wollten uns nicht vorstellen, wie es ohne Mohrli weitergehen sollte. Wir schrieben Zettel, damit, falls Mohrli von irgend jemandem gesichtet werden sollte, uns derjenige verständigen könnte. Selbst spät in der Nacht, als unser Besuch schon längst abgefahren war, streifte ich noch mit meiner Mutter und einer Taschenlampe durch den Garten und rief ganz leise seinen Namen. Alles erfolglos.

In dieser und vielen folgenden Nächten konnte ich nicht gut schlafen. Meine Mutter versuchte mich damit zu trösten, dass es schließlich Mohrlis Entscheidung gewesen war, und dass er es so gewollt hatte. Ich konnte aber nur daran denken, wie Mohrli da draußen in der Kälte leiden und einen möglicherweise sogar qualvollen Tod erleiden würde. Aber ein wenig kleines bisschen Hoffnung hatte ich noch, als eine Frau bei uns anrief, die glaubte Mohrli gesehen zu haben. Ich machte mir umsonst Hoffnung! Nach diesem Anruf hat niemand Mohrli jemals wiedergesehen. Lange noch konnte ich mir nicht vorstellen, je wieder in unser Ferienhaus in Niederösterreich zu kommen, ohne an Mohrli denken zu müssen. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis ich mich damit abfand. Gerne hätte ich wieder ein neues Meerschweinchen bekommen, aber inzwischen war meiner restlichen Familie die Lust auf ein neues Haustier vergangen.