Klara Jiranek (13)
Das Biest
Es war stockfinstere Nacht, der Mond ließ sich nicht blicken. Ich war auf dem Heimweg von einer Party meiner Freundin, aber ich war wohl total besoffen, denn ich schaffte es nicht, auch nur in die Gegend meines Hauses zu kommen. Ich torkelte völlig benommen durch dunkle Gassen und hatte das Gefühl, ständig im Kreis zu gehen. Ich beschloss, nach dem Weg zu fragen. Mit bleischwerem Kopf wankte ich zu einem ziemlich mitgenommen aussehenden Sandler, der auf einer Holzkiste saß. Er schien noch nicht sehr alt zu sein, aber sein Aussehen war einfach abstoßend. Doch das war mir in meiner jetzigen Situation vollkommen egal.
Bevor ich auch nur den ersten Schritt in die Richtung des Mannes machen konnte, ging in einem nahe stehenden Haus plötzlich die Tür auf, und Hundegebell ertönte. Meine Augenlider waren schwer, und im Grunde genommen war es mir völlig egal, was dort vor sich ging, aber auf einmal sprang der ungepflegte Mann auf und rannte eiligst davon. Kurz wurde das Hundegebell noch lauter, dann verstummte es endgültig. Ich war viel zu erschöpft, um über dieses Ereignis nachzudenken, vielleicht hatte der Mann auch einfach nur Angst vor Hunden.
Kraftlos setzte ich mich auf die Holzkiste. Da bemerkte ich, dass am Boden neben mir ein Gegenstand lag. Es war ein schwarzes Säckchen, nicht besonders groß. Geistesabwesend hob ich es auf. Möglicherweise hatte es der Sandler hier vergessen. Ich öffnete es. Darin befand sich ein kleines Fläschchen mit einer grünlichen Flüssigkeit. Angeekelt stellte ich es zurück auf den Boden. Nun war ich schon viel zu müde, um wieder aufzustehen und nach dem Weg zu fragen, also beschloss ich, erst einmal hier sitzen zu bleiben.
Ich döste ein wenig ein, dann bekam ich einen fürchterlich Durst. Ich versuchte endlich einzuschlafen, indem ich mich auf der Kiste zusammenrollte, aber mein Verlangen nach etwas Trinkbarem wurde immer stärker. Mir blieb nur eine Möglichkeit: Das Fläschchen mit der grünen Flüssigkeit. Ich streckte die Hand aus und griff danach. Im Dunkeln schien die Substanz richtig zu leuchten. Mir graute, aber in diesem Moment war mir alles egal. Ich entfernte den Korken, es machte leise blop. Die Flüssigkeit schien förmlich zu brodeln, trotzdem führte ich die Flasche an den Mund. Der Gestank war unerträglich, er betäubte mich so, dass ich weiterhin nicht zögerte und einen Schluck machte. Und mit diesem einen Schluck war das Fläschchen auch schon leer.
Plötzlich schien es in meinem ganzen Körper zu kribbeln, meine Fingernägel wurden innerhalb weniger Sekunden fast drei Zentimeter lang, überall an meinem Körper wucherte schwarzes, dichtes Haar. Ich spürte, wie ich eine bucklige Haltung einnahm, sich mein Gesicht in eine grässliche Fratze verzog und meine Augen doppelt so groß wurden als zuvor. Ich wollte schreien, aber aus meiner Kehle kam nur ein heiseres Krächzen. In kürzester Zeit schien ich mich in einen werwolfartigen Zombie zu verwandeln.
Ich verlor nun endgültig die Kontrolle über meinen Körper. In riesigen Sätzen rannte ich davon. Ich wollte morden, Blut sehen. Mein gesamter Wille, mein richtiges Ich, stemmte sich dagegen, aber die andere Hälfte meines Körpers, der stärkere Teil, dieser »Werwolf«, konnte sich durchsetzen.
Ich lief in die Richtung des Hauses, aus dem zuvor das Hundegebell zu hören gewesen war. Nicht einmal die hölzerne Eingangstüre konnte mich mehr aufhalten. Ich zerstückelte sie kurzerhand mit meinen Nägeln. Holzspäne flogen durch die Luft und ich fand mich in einem großen Vorzimmer wieder. Mit wütendem Gebrüll stürzte ich mich auf die völlig verschreckte Frau, die in der Türe aufgetaucht war. Ein furchtbarer Drang zu töten trieb mich zu dieser schrecklichen Tat: Mit einem gewaltigen Hechtsprung brachte ich die Frau zu Fall. Sie kam nicht einmal mehr dazu, zu schreien, so schnell handelte ich. In diesem Augenblick schien nichts mehr von meinem früheren Ich übrig geblieben zu sein. Abermals benutzte ich meine spitzen Fingernägel um meine Aggressionen abzubauen. Diesmal flogen jedoch Körperteile durch die Luft. Blut spritzte, und nach einer halben Minute war von der Frau fast nichts mehr übrig geblieben.
Jetzt betrat der Mann den Raum. Wie angewurzelt und mit geöffnetem Mund starrte er die Überreste seiner Gattin an. Sein Mund ging auf und zu, Ton war keiner zu hören. Dann fiel er in Ohnmacht. Für mich ein leichtes Spiel. Ich setzte zum Sprung an, aber plötzlich flitzte etwas Braunes durch die Luft direkt auf mich zu. Es war der Hund des Ehepaares. Zwei spitze Zähne bohrten sich in meinen Unterarm, trotzdem versuchte ich, mich auf den Mann zu stürzen. Der Köter ließ meinen Arm nicht los, so verletzte ich nur die Schulter des Mannes. Erst jetzt nahm ich den stechenden Schmerz in meinem Arm wahr und schüttelte den Hund ab.
Blutend und keuchend rannte ich aus dem verwüsteten Haus, der Hund selbst war zu erschöpft, um mir nachzusetzen. Die Wunde an meinem Unterarm war tief und schwoll an. Ich war mir nicht mehr bewusst, was ich tat. In einer verlassenen Sackgasse brach ich schließlich zusammen. Mir wurde schwarz vor Augen, helle Punkte blitzten auf. Dann war ich endgültig weg.
Gleißendes Licht traf meine müden Augen. Ich blinzelte. Plötzlich schaltete sich mein Radio ein, um mich zu wecken. Mein Schädel brummte, ich hatte absolut keine Ahnung, wer ich war, wo ich war und was passiert war. Ich hatte einfach alle Geschehnisse des Vortages vergessen! Ich hielt mir die Ohren zu, aber das Radio war so laut, dass ich praktisch gezwungen wurde, die Nachrichten mit anzuhören.
»Heute Nacht kam es in einem abgelegenen Viertel unserer Stadt zu einem blutrünstigen Mord. Es gibt eine Tote und einen Schwerverletzten. Der Einbrecher zerfetzte die Wohnungstüre, die Kripo vermutet mit einer Motorsäge, und verwandelte anschließend das Vorzimmer in eine einzige Blutlache. Der treue Hund Max bewahrte sein Herrchen vor schlimmeren Verletzungen, indem er dem Mörder, angeblich einem richtigen Biest, kurzerhand in den rechten Unterarm biss, wie der Mann behauptet «
Bis hierher hatte ich dem Bericht mit einer Gänsehaut gelauscht, jetzt schrie ich plötzlich gellend auf. Ich konnte meinen rechten Arm nicht mehr bewegen! Der Anblick war furchterregend: Er war vollkommen verschwollen und rot und in der Mitte prangte eine tiefe Fleischwunde