Lisa Heidinger (11)
Eine Woche mit Tante Frida
»Maaamaaaaaa! Ich mag die Tante Frida aber nicht!«
»Martin, wenn du nicht sofort aufhörst, kauf ich dir nie mehr eine Action-Man-Figur!«
»Maaamaaaa! Ich will aber nicht, dass sie kommt!«
Die gestresste Mutter blieb stehen und zog Martin an sich. »Gut, kleiner Mann! Hör zu: Wenn du jetzt ganz brav bist, dann kauf ich dir auch dieses hässliche Gummiskellett, dass du dir schon so lange wünscht. Abgemacht?«
Martin überlegte einen Moment, fing aber gleich wieder an zu heulen. »Ich scheiß auf diese Gummiskellett!«
»Martin! Wo hast du denn solche Ausdrücke her?! Was willst du denn machen? Tante Frida am Flughafen stehen lassen, oder was?!«
»Wuäääähhhh!« Die Mutter zog den sechsjährigen Buben grob an sich und beschleunigte ihre Schritte. Sie zog Martin durch unzählige Hallen und Gänge, bis endlich die Tante gefunden war.
Als Tante Frida sie sah, fing sie an, herumzuhopsen und zu winken und ganz schrill zu schreien, sodass die Ticketverkäuferin sie vorwurfsvoll anschaute.
Tante Frida war spindeldürr, hatte knochige Finger, trug ein knöchellanges, schwarzes Kleid, hatte schwarze Lackschuhe an und trug einen ebenfalls schwarzen 70er-Jahre-Hut mit Rüschen an der Krempe. Ihr Haar war weiß mit Dauerwelle, und der Geruch von drei Flaschen Haartaft schlug einem schon von Weitem entgegen. Außerdem hatte sie rosaroten Lidschatten und rosaroten Lippenstift, und das Make-Up schien Zentimeterdick auf Stirn und Wangen aufgetragen zu sein.
Martin erschrak, als er sie erblickte, und versteckte sich hinter Mutters Rock.
Tante Frida schrie: »Martin, mein kleines Schätzchen! Komm zu Tantchen!«
Martin packte den Pulli seiner Mutter und klammerte sich daran fest.
Die Tante startete auf ihn zu und begann, ihm wie wild in die Backen zu kneifen. »Hach! Bist du aber groß geworden! Und gehst du schon in den Kindergarten?«
»Nein Tante, ich geh schon in die Schule!« murmelte er trotzig.
»Ach! Ich sags ja! Wie die Zeit vergeht! Also, wie ich das letzt Mal da war, warst du noch viel, viel kleiner! Du schießt ja richtig in die Höhe!«
»Ja«, murmelte Martin kaum hörbar. »Und wie du das letzt mal da warst, warst du noch viel, viel jünger, aber der beschissene Carakter ist leider geblieben!«
Seine Mutter warf ihm einen strafenden Blick zu, doch Frida überhörte das.
»Ach! Diese Kinder! Kaum dreht man sich einmal um, und schon sind sie einem davongewachsen, sind erwachsen und gehen zur Arbeit!« Tante Frida seufzte laut, so wie es eben üblich ist, wenn Leute in die »Guten, alten Zeiten« zurückdenken, oder über die »Lieben Kleinen« reden.
Martins Mutter nam Fridas Tasche, und sie gingen wieder durch die vielen Hallen nach draußen zum Auto.
Endlich zu Hause angekommen, haute sich Martin sofort vor den Fernseher, schloss seine Playstation an und spielte Dinokiller.
Wies der Teufel wollte, kam Frida herein. »Oh! Was spielst du denn da? Bist du ein Dinosaurierforscher?«
»Nein, ein Dinokiller!«
»Was ist ein Dinokiller?«
»Schau her«, sagte Martin, wechselte von einer Uzi auf die Bazooka und heizte auf einen Rex, sodass die Hautfetzen nur so über den Bildschirm flogen. Doch nicht nur Haut flog. Auch Frida taumelte ein paar Schritte, bis sie ohnmächtig auf den Boden sank. Dieses Spiel hatte sie mitgenommen. Für den Rest des Tages blieb sie ohnmächtig am Boden liegen.
Frida schimpfte die nächsten Tage nur über die Brutalität der Jugend von heute und redete die ganze Woche kein Wort mehr mit Martin über dieses Spiel, was dem nur mehr als recht war.
Endlich! Der Abreisetag war da! Tante Frida würde endlich wieder nach Deutschland fliegen. Am Flughafen sagte sie dann noch zu Martin: »Ach ja, fast hätt ichs vergessen ! Das ist für dich!« Sie drückte Martin einen Sack mit einigen Geschenken in die Hand. »Aber erst zu Hause öffnen!« fügte sie dann noch mit geheimnissvoller Mine hinzu. »Lebt wohl!« rief sie und verschwand mit Sack und Pack auf Gate 9.
Zu Hause öffnete Martin die Geschenke. Er erwartete sich ein Bilderbuch für Dreijährige, oder Ähnliches. Doch nein! Es war die superneue Action-Man-im-Dschungel-Figur, und noch dazu das Gummiskellet!
Und siehe da, drei Minuten später: »Buääähhh! Mamaaa! Ich will, dass die Tante Frida wieder kommt! Wuäääähhhh!«