Bianca Frauscher (10)

Der Fremde

Eines Tages, als für Anna - sie ist 10 Jahre alt - die Schule aus war, sprach sie ein Fremder an: »Ich bin ein Freund deiner Mutter. Sie hat mich beauftragt, dich von der Schule abzuholen, da sie einen Unfall hatte, aber keine Sorge, es ist nicht viel passiert.«

Anna erlitt einen Schock und stieg zu dem Fremden in das Auto. Dieser sagte, er bringe sie in das Landeskrankenhaus. Sie fuhren eine Weile, und plötzlich bemerkte Anna, dass das nicht der Weg zum Krankenhaus war.

»Sie fahren in die falsche Richtung.«

»Natürlich«, antwortete der Fremde. Jetzt dämmerte es Anna. Sie hatte das Gefühl, mit einem Entführer im Auto zu sitzen.

Anna stotterte: »Sind sie ein Ki… Kidnapper?«

»Ja, das bin ich, und wenn du das Fenster öffnest und um Hilfe schreist, drücke ich ab.«

Der Mann hatte inzwischen eine Pistole aus der Jackentasche gezogen. Das Mädchen wich erschrocken zur Seite.

Nach einer halben Stunde Autofahrt parkte der Fremde in der Büringerallee. Anna konnte das Straßenschild lesen. Sie stiegen aus dem Auto, und der Fremde führte Anna in ein düsteres, nach Moder riechendes Haus. Anna setzte sich in ein Eck des Zimmers.

In den nächsten Tagen bekam das Mädchen nur Brot und Wasser. Der Entführer schlief im gleichen Raum wie Anna. In dem Zimmer gab es kein Fenster, und die Türe wurde stets zweimal verschlossen. So brauchte Anna ans Ausbrechen nicht einmal zu denken.

Einmal wagte sie es trotzdem, aber der Entführer war schneller und Annas Gesicht streifte an sein frisch geschliffenes Messer. Das Blut tropfte stark aus der Wunde. Anna riss ein Stück vom Ende ihrer Bluse ab und presste es auf die Wange. So konnte sie verhindern, dass noch weiteres Blut aus der tiefen Schnittwunde floss. Den Fremden interessierte es überhaupt nicht, was er seinem Opfer angetan hatte.

Kurz darauf verließ er den Raum. Anna sah, dass er sein Handy vergessen hatte. Sie rief die Polizei an: »Kommen Sie bitte schnell in die Büringerallee. Ich bin entführt worden. Leider kann ich keine Hausnummer nennen, kommen Sie schnell.«

Die Tür ging auf und der Kidnapper trat ein. Im letzten Moment konnte Anna noch das Handy weglegen. Er merkte nichts von dem Anruf.

Plötzlich hörte er Sirenengeheul. Es war zu spät, der Fremde konnte sich nicht mehr aus dem Staub machen.

Anna erzählte den Polizisten und ihrer Mutter alles sehr genau. Danach wurde sie in das Krankenhaus gebracht, um ihre Wunde zu versorgen. Annas Schnitt musste genäht werden. Ihre Eltern waren dankbar, dass sie Anna wieder hatten.

Ein paar Tage vergingen, dann wurde Anna gebeten, bei Gericht gegen den Kidnapper auszusagen. Anna erzählte dass sie bereits das zehnte entführte Kind war. Die Kinder wurden als »Versuchskaninchen« in einem chemischen Labor für neue Säuren gebraucht. Es ist Gott sei Dank noch kein Kind daran gestorben.

Nach dieser Aussage wurde die ganze Verbrecherbande eingesperrt und die Kinder freigelassen.

Annas Wunde heilte schnell, doch jeder Blick in den Spiegel erinnerte sie an die grauenhafte Entführung. Diese wird sie ein Leben lang nicht vergessen.