Thomas Flecker (11)

Fremd

Ein Tuscheln und Kichern ging durch die Klasse. Der Lehrer, der draussen am Lehrertisch stand, rief in die Klasse, die langsam verstummte. Neben dem Lehrer stand ein kleiner, dunkelhäutiger Junge. Mit seinen großen, hellen Kulleraugen blickte er in die Menge.

»Das ist Mohammed Butho. Er ist vor einer Woche nach Österreich gekommen. Bitte macht ihn mit den Schuleinrichtungen vertraut und behandelt ihn nett.«

»Du darfst dich neben Christoph setzen«, sagte der Professor zu dem Jungen.

Plötzlich rief ein Schüler: »Na hoffentlich schmilzt das Schokomännchen nicht!« »Ruhe!« rief der Lehrer und schlug das Sprachbuch auf. Die Kinder taten das Gleiche, alle ausser Mohammed. »Ach, du hast ja noch gar keine Bücher!« rief der Lehrer und überreichte ihm einen Stapel, gab ein paar Übungsnummern an, und die Schüler begannen zu arbeiten.

Alle außer Mohammed. »Du schlägst jetzt bitte Seite 154 auf und schreibst Beispiel 206 bis 210«, erklärte der Professor zum zweiten Mal. Mohammed schrieb noch immer nicht. Darauf erklärte ihm Christoph noch einmal, was zu tun war, und der Neue verstand. »Beim nächsten Mal übernimmst doch besser du das Erklären«, flüsterte der Lehrer lächelnd.

Endlich läutete die Pausenglocke und alle Schüler stürmten mit ihrer Jause auf den Gang und auf den Hof.

Alle außer Mohammed, denn er hatte keine Jause mit. Als das Christoph bemerkte, erklärte er ihm freundlich, dass er morgen eine Jause mitnehmen sollte. Dann gingen sie zusammen in den Hof.

»Der wird ganz schön heulen, dieses halbe Schokostückchen!« rief plötzlich jemand auf dem Hof. Mohammed wirbelte herum und erkannte, dass der Junge mit einem Stein auf ihn warf. Er blieb ruhig, fing den Stein in der Luft auf, ließ ihn auf den Boden fallen und ging weiter. Wegen seiner Stein-Abwehrnummer verliefen die nächsten Schulstunden sehr ruhig.

Gleich nach der Schule verabredeten sich Mohammed und Christoph. »Also um 16 Uhr beim Stadtbrunnen,« sagte Christoph zum Abschied und ging davon.

Zwei Wochen später waren die beiden schon gute Freunde. Eines Tages lud Mohammed Christoph zu sich nach Hause ein. Um die besagte Uhrzeit klopfte er bei den Buthos. Mohammed öffnete und ließ Christoph herein. Mohammeds Familie begrüßte ihn herzlich. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Keksen und bunte Teetassen.

»Du bist unser erster Besuch seit dem Umzug nach Österreich. Das müssen wir schon ein bisschen feiern«,erklärte Mohammed. Nachdem sie einige Kekse gegessen hatten und einen Tee getrunken hatten, zeigte Mohammed seinem Freund seine Spielsachen. Er hatte einen Haufen Bücher, einige Actionfiguren und Brettspiele. Sie spielten gemeinsam und tollten später auch noch gemeinsam im Garten umher. Nach einem schönen Nachmittag ging Christoph nach Hause.

Am nächsten Tag in der Schule standen alle Kinder in einer Reihe in der Klasse, als Mohammed eintrat Die Kinder begannen sich nacheinander bei Mohammed für ihr Verhalten zu entschuldigen. Mohammed wollte seinen Augen nicht trauen, doch da kam Christoph mit einem großen Paket in der Hand. Mit geheimnisvoller Stimme begann er: »Deine Eltern haben mir verraten, dass du heute Geburtstag hast und da haben wir uns alle dieses Geschenk ausgedacht.«

Neugierig beugte sich Mohammed über das Paket und öffnete es. Darin lag ein Zettel. Er las laut vor: »Mit diesem Schreiben verpflichten wir uns, dich nie mehr zu verspotten. Wer es trotzdem tut, macht sich strafbar. Die Strafe lautet: Die anderen dürfen ihn so lange kitzeln, bis er nicht mehr lachen kann.«

An diesem Tag fiel das Schreiben und Rechnen besonders leicht. Mohammed war überglücklich.